Von Treue, Rittern und Geistern

 

Deutsche Balladen – gesungen von Kay Stiefermann, erschienen bei Capriccio (C 3002): Wer mit so einem CD-Titel auf den Markt geht, braucht Mut und noch mehr Selbstbewusstsein. Heutzutage steht die Ballade als Kunstgattung nicht unbedingt in dem Ruf, Zeitgeist ausdrücken und befördern zu können. Ob nun gesungen, gesprochen oder als instrumentale Gattung. Zwar werden immer noch balladeske Werke geschaffen, ihre beste Zeit dürfte die Form hinter sich haben. Stiefermann, Jahrgang 1972 und noch deutlich jünger aussehend, kümmert das offenbar wenig. Er setzt sich darüber hinweg. Und das ist ihm hoch anzurechnen. Es ist gut, dass sich ein Sänger seiner Generation an solchen Stücken versucht, denen gern ein langer weißer Bart angedichtet wird. Balladen gibt es zuhauf. Berühmte und weniger berühmte. Nicht allein für Zugnummern hat sich der Sänger entschieden.

In einer Kundenrezension auf einer Online-Einkaufsplattform wurde kürzlich vor dem Kauf einer Balladensammlung des vielleicht berühmtesten Vorlesers deutscher Zunge, Gert Westphal (1920-2002) gewarnt. Das sei ja nicht mehr zum Anhören. Seine Kinder hätten sich erst ausgeschüttet vor Lachen und seien dann schreiend aus dem Zimmer geflohen, schrieb der Mann. In derlei Reaktionen, die durchaus ernst zu nehmen sind, weil dem Alltag entnommen, zeigt sich das Problem, das oft in den Texten selbst veranlagt ist und sich in der musikalischen Ausdrucksform möglicherweise verstärkt, wenigstens aber fortsetzt. Wer Balladen hört oder liest, der begibt sich auf eine so genussvolle wie anstrengende Bildungsreise. Mal mit dem Fuß zum Takt wippen, bringt nichts. Man muss sich viel Zeit nehmen und genau hinhören. Warum ziehen denn zwei Grenadiere, die in Russland gefangen waren, ausgerechnet nach Frankreich? (Die beiden Grenadiere von Robert Schumann nach Heine.) Wer ist dieser Tyrann Dionysos? Gab es den wirklich? (Die Bürgschaft von Franz Schubert nach Schiller.) Was hat es damit auf sich, wenn Herr Oluf spät und weit ausreitet, um auf seine Hochzeitsleute zu bieten? Wieso bieten? Und wer soll Oluf sein? (Herr Oluf von Carl Loewe nach Herder.) Was hat es mit der roten Mütze am Fenster auf sich? (Der Feuerreiter von Hugo Wolf nach Mörike.) Und was, bitte, ist ein Pfühl, zu dem ein Greis im Waffengeschmeide seinen Schild niederlegt? (Die Vätergruft von Franz Liszt nach Uhland).

Balladen sind voll von Symbolen, historischen Bezügen, die ins Mittelalter reichen, Topi und veralteten sprachlichen Wendungen. Nicht jeder hat derlei Hintergrundwissen ständig parat. Stiefermann, auch auf der Opernbühne und im Konzert erfolgreich, begegnet den oft schwer verständlichen Vorlagen mit Deutlichkeit und Klarheit, wobei er von seinem Pianisten Alexander Schmalcz unterstützt wird. Er geht über nichts hinweg, hält nichts im Unbestimmten. Weil er so genau singen kann, immer auf dem Wort, gelingen ihm die Balladen ganz selbstverständlich. Als handele es sich um allgemein verständliche zeitgenössische Texte, deren Schwierigkeit er nicht allein den Zuhörern aufbürdet. Er wird selbst lange daran gearbeitet haben, nimmt sein Publikum mit auf diese Bildungsreise, macht neugierig, regt an. Bei seinem Lehrer Kurt Moll, der auch ein glänzender Balladengestalter gewesen ist, scheint er gut gelernt zu haben. Auf seiner CD teilt der Sänger die vierzehn Balladen in drei thematische Gruppen ein: Freundschaft und Treue, Könige und Ritter sowie Geister und Gelichter ein. Auch dies eine zusätzliche Herausforderung.

Deshalb hätte es sich gut gemacht, die Texte – zu den schon genannten Komponisten kommt noch Alexander von Zemlinsky hinzu – in ihrer Textform im Booklet abzudrucken. Denn die Zeiten, als die Bürgschaft oder der Feuerreiter noch in der Schule und damit fürs ganze Leben gelernt wurden, sind auch vorbei. Zum Nachschlagen braucht es aber keine private Bibliothek. Ausnahmslos alle Balladen finden sich ganz leicht und schnell im Netz. Rüdiger Winter

 

Maximilian Schmitt OehmsUnd dann ist da noch der ehemalige Regensburger Domspatz Maximilian Schmitt mit einer sehr willkommenen, in der Entscheidung für Flotow, Lortzing, Marschner, Nicolai (sowie Schubert, Weber und Wagner) fast schon mutigen Auswahl deutscher Arien in der Folge von Jonas Kaufmanns, freilich schwergewichtigerer Sehnsucht. Schmitt hat recht: „Wenn wir uns die Arien-Platten der letzten Jahre auch von berühmteren Kollegen anschauen: da fehlt so etwas“. Vorsichtig begleitet vom WDR Sinfonieorchester Köln unter Patrick Lange singt Schmitt Arien, die einst Grundpfeiler des Repertoires darstellten (Oehms Classics OC 1836). Noch fehlt es seinem filigranen, leichten Tenor an Gesicht, um Lyonels „Ach so fromm“, Stradellas „Wie freundlich strahl der Tag“, der hier etwas verhangen und grau erscheint, und Chateauneufs „Lebe wohl mein flandrisch Mädchen“ mit Poesie, Charme und Persönlichkeit zu umschmeicheln; da ist das Vermächtnis von Wunderlich und Anders einfach übermächtig und man hofft, seine romantisch-blässlichen Jünglinge mögen sich am Riemen reißen und mehr Mut und Draufgängertum aufbringen. Schmitt singt ehrlich, mit Geschmack, Stilgefühl und zarter Lyrik, hält die Gesangslinie schlank und findet in Fentons „Horch, die Lerche“ zu unverkitschter Süße, für Walthers Einwurf (“Den Bronnen, den mir Wolfram nannte“) würde ich mir die Emphase wünschen, die er für den Max durchaus aufbringt, und insgesamt auch einen bezwingenderen Umgang mit dem Text; sympathisch ist sein ungewohnt jungendlicher Rienzi. Rolf Fath