Mehr geht nicht. Die Sopranistin Anna Lucia Richter hat eine CD mit einer Laufzeit von fast einundachtzig Minuten aufgenommen. Das Programm besteht ausschließlich aus Liedern von Franz Schubert. Es beginnt mit „An den Mond“ und endet mit „Der Hirt auf dem Felsen“. Die CD kam bei Pentatone heraus (PTC 5186 839). Auf dem hübsch ausgemachten Cover fällt die junge Sängerin vom Himmel herab wie ein Engel von Tintoretto. Es ist Brauch geworden, Liedproduktionen unter ein bestimmtes Thema zu stellen. Diesmal geht es um Heimweh. Ein weites Feld. Schubert und seine Textdichter versprechen reiche Ernte. Für das Vorwort im Booklet hat die Künstlerin sogar das Grimm’sche Wörterbuch befragt und erfahren, dass das Wort Heimweh Anfang des 18. Jahrhunderts in den allgemeinen Sprachgebrauch einging. Und sie fragt sich, ob denn Heimweh „nicht eigentlich der Wunsch“ sei, im Außen etwas zu finden, was sich eigentlich nur im Innen selbst erschaffen lasse.
Die lyrischen Titel liegen ihr mehr als der balladenhafte „Zwerg“, bei dem die Stimme in dem Bemühen, das dramatische Geschehen farbenreich auszuschmücken, an Grenzen kommt. Grelle, gar schrille Töne sind bewusst gewählt, können aber nicht recht überzeugen. Die sind in der so genannten Blumenballade „Viola“ nach einem Text von Schuberts Freund Franz von Schober nicht erforderlich. Sie besteht aus neunzehn Versen, denen Anna Lucia Richter mit dezenter Gestaltung Zusammenhalt gibt, so dass die dreizehn Minuten wie im Fluge vergehen. Dieses Werke ist selten zu hören und gleicht einer Entdeckung im CD-Programm. Innig schließen Ellens drei Gesänge mit dem „Ave Maria“. Es ist ja nicht so, dass dieses berühmte und fast schon überstrapazierte Schubert-Lied ein Selbstkäufer für jeden lyrischen Sopran ist. Eiserne Schlichtheit ist vonnöten, damit es nicht ins Gefällige abgleitet. Die Sängerin, die sich eindrucksvoll auch sprechend mit dem kleinen Melodram „Abschied von der Erde“ versucht, bringt sie auf. Am Flügel begleitet Gerold Huber, die Klarinette im „Hirt auf dem Felsen“ spielt Mattias Schorn.
Mit der Produktion der Lieder von Hugo Wolf auf Texte von Johann Wolfgang Goethe hat Stone records begonnen. Erschienen ist Vol. 1 mit neunzehn Titeln (5060192780918). Die Neuerscheinung ist Bestandteil einer Edition sämtlicher Lieder. Goethe war ein vom Komponisten bevorzugter Dichter. Schon der Fünfzehnjährige versuchte sich an seinen Versen. Um die fünfzig von Wolf veröffentlichte Lieder gehen auf Goethe-Gedichte zurück. Darunter sind einige der schönsten Erfindungen dieser Gattung. Wer sich nun zu neuen Aufnahmen anschickt, trifft auf eine schier übermächtige Konkurrenz. Schon zu Beginn der 1930er Jahre wurden in London Aufnahmen mit den seinerzeit besten Sängern vom Produzenten Walter Legge gemacht. Legges spätere Frau Elisabeth Schwarzkopf hat sich den Liedern von Wolf bis zur Perfektion im Studio und auf den Konzertpodien in aller Welt gewidmet. Wolf prägte auch die lange Karriere von Dietrich Fischer-Dieskau, der sogar ein Buch über den österreichischen Komponisten veröffentlichte. Diese Aufnahmen sind nie vom Markt verschwunden und werden unter Kennern wegen ihrer Maßstäblichkeit nach wie vor hoch geschätzt. Doch sie sind historisch, in Teilen sogar noch in Mono.
Es braucht also auch frische, unverbrauchte Ansätze. Heutiges Publikum will auf Tonträgern hören, wen es live erlebt. Solchem Begehren tragen die neuen Einspielungen voll und ganz Rechnungen. Dafür werden wohl auch gelegentliche Ungenauigkeiten in der sprachlichen Gestaltung hingenommen. Bis auf die schwedische Mezzosopranistin Katarina Karnéus stammen alle Mitwirkenden – nämlich Louise Alder, Fflur Wyn (Sopran), Rowan Hellier (ebenfalls Mezzo), Adrian Tompson (Tenor), Roderick Williams (Bariton) und Neal Davies (Bassbariton) – aus Großbritannien. Sie sind bestens präpariert, haben die Lieder gut studiert. Begleitet werden sie von ihrem Landsmann Sholto Kynoch, der schöne eigene Akzente setzt. Rüdiger Winter