Schubert „modern“

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Nicht Die sondern Eine schöne Müllerin verspricht der Titel der Neuerscheinung bei ET’CETERA (KTC 1827). Der Name Schuberts, der sich dem Betrachter des Covers zwangsläufig einstellt, findet keine Erwähnung. Es gibt auch keinen Hinweis drauf, ob jemand singt. In auffälligen Lettern treten das Ensemble Spectra hervor – und Daan Janssens, beim dem es sich um den 1983 in Brügge geborenen belgischen Komponisten handelt, der auch Opern schuf. Mehr nicht. Dabei hätte es der ebenfalls aus Belgien stammende Tenor Thomas Blondelle, dem auch in dieser Müllerin eine gewichtige Rolle zukommt, durchaus verdient gehabt, nicht erst auf der Rückseite genannt zu werden. Er ist auch in Deutschland sehr gut bekannt – und geschätzt. Mit Berlin fühlt er sich besonders verbunden. Dafür spricht, dass er bereits in mehr als zwanzig Produktionen an der Deutschen Oper mitwirkte. Seinen Einstand gab er 2009 mit dem Ersten Geharnischten in der Zauberflöte. Es folgten Loge, Tambourmajor, Erik, Eisenstein und etliches mehr. Und da er noch nicht sehr viele Einspielungen vorweisen kann, wäre sein Name für die neue CD gewiss verkaufsfördernd. Nach wie vor lassen sich Musikfreunde bei Neuerwerbungen oder beim Streamen auf diversen Plattformen im Netz von der Bekanntschaft mit Sängerinnen und Sängern auf Bühnen und Konzertpodien leiten. Sie sind und bleiben Zugpferde, schaffen Verbindungen zwischen gewohnten Werken und neuen Schöpfungen. Blondelle jedenfalls lässt sich unvoreingenommen und mit großem Enthusiasmus auf die Produktion ein und hinterlässt mit schönem, sensiblem und flexiblem Tenor sein individuelles Gütesigel. Gern würde man ihn auch mit dem Schubertschen Original hören. Er wäre – auch wegen seines perfekten Deutsch genau richtig. Nicht nur, dass er die Texte exakt vorträgt. Er findet den Sinn heraus, weiß also, worum es geht

Der Tenor Thomas Blondelle auf einem Foto im Booklet / © Simon Payly

Bei dieser Müllerin handelt es sich um ein Auftragswerk des Festivals 20/21 im belgischen Leuven, das – wie es der Name schon in seinem Bezug auf zwei Jahrhunderte sagt, eine Brücke zwischen morgen, heute und gestern schlagen, die unglaublich vielen Facetten der jüngeren Musikgeschichte hörbar machen und am Puls der Zeit bleiben will. Ein Festival, das das Repertoire der letzten 118 Jahre in Ehren hält und zugleich furchtlos nach vorne blickt, was die musikalische Zukunft bereithält, ist aus erster Hand auf der eignen Website zu erfahren. Die Müllerin-Adaption entstand 2018. Der Wunsch sei es gewesen, eine Neuinterpretation dieses Meisterwerks zu schaffen, bei der das Original erkennbar bleibe, kann im Booklet nachgelesen werden. Es gehe aber um mehr, als um einer bloße „moderne Instrumentierung“. Den Angaben zufolge entschied sich Janssens dafür, seinem Werk zusätzliche textliche und musikalische Elemente hinzuzufügen. So würden zwei klangvolle und zwei poetische Welten in unterschiedlichem Maße miteinander verwoben. Die Rede ist von einem „Doppelzyklus“. Obwohl die Grundstruktur erhalten bleibt, wurden einige Titel mit neuen Versen oder instrumentalen Zwischenspielen – wie es heißt „überschrieben“. Dabei verwendet Janssens Texte des portugiesischen Schriftstellers Fernando Pessoa (1888-1935), der in seiner Heimat hochverehrt wird. Sie stammen aus seinem Buch der Unruhe. „Wie ein böser Geist / hat mich mein Schicksal damit gequält, / nur haben zu wollen, / was ich wohlweislich nicht haben kann“, beginnt – um ein Beispiel anzuführen – der Vers, der auf das Lied Der Neugierige im Original folgt. Romantischer könne ein Gedanke nicht sein. Diese Eingriffe erzeugten eine ständige Konfrontation zwischen zwei literarischen Welten (Müller / Pessoa) und zwei Musikstilen (Schubert / Janssens), wird im Booklet weiter erklärt. Die Absicht bestehe aber nicht so sehr darin, Gegensätze zu erzeugen, sondern vielmehr die eigentliche zeitgenössische Bedeutung des Stücks noch stärker hervorzuheben. Der Sänger geht mit den teils schroffen Übergänge dergestalt um, als sei es schon immer so gewesen.

Janssens hat sich hier dafür entschieden, Pessoas Texte in deutscher Übersetzung zu verwenden, um die Einheit von Schuberts Werk nicht zu stören, erfahren die Leser des Booklets weiter. Der Gesangspart bleibe erhalten und Janssens respektiere auch die formalen Strukturen der Lieder. „Der Hauptunterschied liegt also in den Begleitstimmen: Der ursprüngliche Klavierpart wird zu einem Ensemble aus neun Musikern (Violine, Viola, Cello, Flöte/Altflöte/Bassflöte, Klarinette/Bassklarinette, Horn, Akkordeon, Klavier und Schlagzeug) erweitert.“ Oft – insbesondere zu Beginn des Zyklus – bleibe Janssens den Noten von Schuberts Begleitung treu, reichere sie jedoch mit moderneren Elementen wie Geräuschen, Perkussionseffekten und speziellen Streichertechniken an. Dem aufmerksamen Publikum entgeht nicht, dass die Bearbeitung auch Deutung sein will. Im instrumental gehaltenen Einstieg klingt schon das Ende an. Nicht versöhnlich wie im Original sondern alsbald hart und brutal. Janssens schenkt seinem Publikum nichts. R.W.