„Ohne die Großmama hätte der Großpapa nicht 50 Prozent der Werke geschrieben, die er geschrieben hat.“ Diese Worte fand der Enkel von Richard Strauss, der auch dessen Vornamen trug, für seine Großmutter Pauline. Sie werden im Booklet einer bei Animato erschienen CD zitiert, die der Ehefrau des Komponisten gewidmet ist (ACD6164). Die Neuerscheinung ist ein vor allem musikalischer Versuch, das weit verbreitete Urteil über die 1863 in Ingolstadt geborene und 1950 in Garmisch-Partenkirchen gestorbene Pauline de Ahna, ein Haustyrann oder eine Xantippe gewesen zu sein, zu relativieren. Einige der auf CD versammelten Lieder sind auch von ihr gesungen worden. Ihre Entstehung ist ohne sie nicht denkbar. Alma Mahler schätzte ihren „starken musikalischen Instinkt“, verbindet in ihrem Zitat das Kompliment mit der Feststellung, dass man „sehr auf der Hut sein“ müsse, „um nicht irgendwie eine große Taktlosigkeit an den Kopf geworfen zu bekommen. Sie sagte alles heraus, was und wie sie es dachte“.
Als Pauline 1887 ihren späteren Ehemann kennenlernte, lag eine bedeutende Karriere als Sängerin vor ihr. Sie folgte ihm 1889 nach Weimar, wo sie als Pamina debütierte. Strauss selbst hatte den Posten des zweiten Kapellmeisters übernommen. Musikgeschichte schrieb sie dort als Hänsel bei der von Strauss geleitetet Uraufführung der Oper Hänsel und Gretel von Humperdinck. Weimar galt nicht nur als Zentrum der klassischen Literatur. Franz Liszt hatte der Stadt in Thüringen als Hofkapellmeister auch zu einem bedeutenden musikalischen Ruf verholfen, indem er Lohengrin und Samson und Dalila uraufführen ließ und zeitweise bedeutende Komponistenkollegen um sich scharte. 1852 und 1855 veranstaltete Liszt in Weimar Berlioz-Wochen, wobei er auch dessen Oper Benvenuto Cellini dirigierte. Einer Anregung von Liszts damaliger Lebensgefährtin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein – beide lebten gegen jede Konvention ganz offen zusammen – folgend, schuf Berlioz sein bedeutsamstes musikdramatisches Werk, die Trojaner, das er der Fürstin widmete.
Solcherart waren die künstlerischen Spuren, die Pauline und Richard Strauss in Weimar vorfanden, wo 1894 auch dessen erste Oper Guntram über die Bühne ging. Pauline sang die Freihild, eine ans Hochdramatische grenzende Partie, die ahnen lässt, über welche glänzenden stimmlichen Mittel sie verfügt haben dürfte. Im selben Jahr wurde geheiratet. Bereits 1891 war sie einem Ruf nach Bayreuth gefolgt. Cosima Wagner hatte den Tannhäuser erstmals im Festspielhaus angesetzt. Wie in der Geschichte des Bayreuther Festspiele von Oswald Georg Bauer nachzulesen ist, wollte sie „um keinen Preis eine Heroine mit langer Schleppe“. Unter Berufung auf das Drama habe ihr eine „jungfräuliche, kindliche Gestalt“ vorgeschwebt – mit glänzenden Stimmitteln. Diese Voraussetzungen erfüllte Pauline, die gemeinsam mit der jungen Norwegerin Elisa Wiborg engagiert wurde. Bei der Premiere war Pauline allerdings indisponiert und musste durch die Kollegin ersetzt werden. Als sie selbst zum Zuge kam, wurde ihr von der Kritik („Bayreuther Tageblatt“) bescheinigt, eine „herrliche Elisabeth“ zu sein. „… noch einen Schritt weiter, noch mehr von der Seele heraus, und die Künstlerin wird eine vollendete Elisabeth bieten.“
1906 gab Pauline Strauss ihren Beruf als Sängerin auf, der sie gemeinsam mit Richard auch auf einer Tournee drei Monate lang durch die großen Städte der USA geführt hatte, und widmete sich fortan der Familie, die mit der Geburt des Sohnes Franz 1897 aus drei Personen bestand. In der Villa in Garmisch, die von 1908 an zunächst als Sommerhaus, wenig später dann als fester Wohnsitz genutzt wurde, spürt der Besucher noch heute ihr sicheres Gespür bei der Einrichtung und Auswahl der vielen Kunstwerke. In den neunziger Jahren wollte es ein glücklicher Zufall, dass ich an einem schönen Vormittag mit meiner Familie zu einer Besichtigung eingelassen wurde. Wir hatten wohl einen vertrauenswürdigen Eindruck gemacht, denn die Villa wird nach wie vor von der Familie genutzt. Obwohl mein vordergründiges Interesse dem einstigen Hausherrn galt, der in diesem Haus seine bedeutendsten Werke erdacht und in Noten gesetzt hatte und am 8. September 1949 hier auch sein Leben beschloss, führte kein Schritt an der Frau vorbei, die das Schaffen des Komponisten durch ihre ordnenden und fürsorglichen Hände erst ermöglicht haben dürfte. Alles oder fast alles stand noch an seinem Platz. Nicht, dass es wie in einem Museum nicht verrückt werden durfte, um so auch äußerlich dem Meister zu huldigen. Möbel, Bilder und zeitlose Accessoires hatten deshalb ihre unverrückbare, ja ewige Position, weil sie wo anders gar nicht hingepasst hätten oder zur Geltung gekommen wären. So sicher und zugleich selbstverständlich waren sie platziert. Es hätte keines Porträts von Pauline an einer Wand bedurft. Die auffällig behagliche Behausung war ihr Abbild.
Als sie geboren wurde, waren Frauen in Deutschland faktisch ohne Rechte. Mit der Ehe wurden sie ihren Männern wirtschaftlich und gesellschaftlich ausgeliefert, bedurften für alles, was sie taten, deren Zustimmung und blieben von der politischen Meinungsbildung ausgeschlossen. Das Wahlrecht für Frauen wurde erst 1919 eingeführt. Bis dahin war es ein sehr langer Weg. Wen wundert es also, wenn sich Frauen wenigstens innerhalb der eigenen Familie und ihres engeren Umfeldes durchzusetzen wussten – und das nicht immer zum Vorteil der Hausherren. Auf der Internetseite Fembio, die sich der Frauen-Biographieforschung widmet, ist unter Berufung auf Kritiken zu lesen, dass die Stimme von Pauline „meisterhaft geschult“ gewesen sei, „nicht heroisch“ sondern ausgestattet „mit anmutiger Poesie, Tiefe seelischen Ausdrucks … (sowie) einem sicheren und schönen Darstellungstalent“. Strauss selbst habe noch 1947 gesagt: „Schade, dass sie sich zu früh dem schönen Beruf einer … ausgezeichneten Hausfrau und Mutter zugewandt hat!“ Obwohl es technisch bereits die Möglichkeiten gab, Tonaufnahmen sind nicht überliefert.
Gesungen werden die Lieder auf der Pauline gewidmeten CD von Julia Küßwetter, die von Georg Schütz begleitet wird. Wie Pauline hat auch sie schon den Hänsel gesungen, nämlich bei den Bad Hersfelder Festspielen. Sie verfügt über einen sehr hoch gelegenen Sopran, der sie in die Lage versetzt, auch mit der extremen Notierung der Brentano-Lieder fertig zu werden. Hingegen fallen solche Lieder wie „Ruhe, meine Seele“ „Cäcilie“, „Heimliche Aufforderung“ und „Morgen“ etwas trocken aus und lassen stimmlichen Überschwang und Üppigkeit in der mittleren Lage vermissen. Den Abschluss des Programms bilden die „Malven“, jenes Lied, das erst lange nach dem Tod des Komponisten an die Öffentlichkeit gelangte. Strauss hatte es 1948 zu Papier gebracht und der Sängerin Maria Jeritza verehrt, die es bis zu ihrem Tod 1982 unter Verschluss hielt. 1985 wurde es in New York durch Kiri Te Kanawa uraufgeführt. Für ein Konzert der Staatskapelle Dresden stellte Wolfgang Rihm eine Orchesterfassung her, die – eingebettet in die „Vier letzten Lieder“ – 2014 bei den Salzburger Osterfestspielen von Anja Harteros, begleitet von der mit der Staatskapelle Dresden unter Christian Thielemann, gesungen wurde. Der Mitschnitt einer Aufführung in Dresden wurde von C Major auf DVD veröffentlicht.
Pauline war nicht die einzige Sängerin, die die eigene berufliche Karriere zugunsten ihres Mannes aufgegeben hat. „Und du wirst mein Gebieter sein!“ Die Worte, mit denen sich Arabella in der Oper von Strauss ihrem auserwählten Mandryka hingibt, liegen in der Luft. Thea Linhard (1909-1981) reduzierte ihre Tätigkeit nach der Hochzeit mit dem Dirigenten Karl Böhm im Jahre 1927 beträchtlich und trat nur noch gelegentlich auf. Überliefert sind einige Aufnahmen, darunter anmutig vorgetragene Lieder des auch komponierenden Dirigenten Leo Blech, die in der von Michael Raucheisen betreuten Liedersammlung erschienen sind (Membran). Gottlob Frick war fünfundsechzig Jahre mit einer Kollegin verheiratet, die für seine Karriere auf eigene Ambitionen verzichtet. Margarete Frick (1900-1995) ist dennoch in wenigen Aufnahmen verewigt, die bei Uracant auf einer CD zum 10. Todestag ihres Mannes veröffentlicht wurden. Zu hören ist eine gut ausgebildete Sängerin, die über ein Timbre mit hohem Wiedererkennungswert verfügt. Die Stimme schwingt ganz leicht, was sie in die Lage versetzt, die Lieder von Schubert, Brahms, Schumann und Wolf mit innerer Erregung auszustatten. In eine berühmte musikalische Familie hatte der Tenor Peter Anders eingeheiratet. Seine Frau Susanne (1909-1979) war die Tochter der gefragten Gesangslehrerin und Altistin Lula Mysz-Gmeiner und hatte sich selbst zur Sängerin ausbilden lassen. In einem Querschnitt durch Mignon von Thomas, der 1936 mit Chor des Deutschen Opernhauses und den Berliner Philharmonikern unter Hans Schmidt-Isserstedt für Telefunken produziert wurde und bisher nicht wieder an die Öffentlichkeit gelangte, sind sie sogar gemeinsam zu hören. Erst nach dem frühen Unfalltod von Anders trat seine Frau noch einmal vor das Mikrophon – nicht singend sondern sprechend -, um für die Electrola-Serie „Die goldene Schallplatte“, anhand von Tonaufnahmen die Karriere ihres Mannes Revue passieren zu lassen. In zweiter Ehe war der Bariton Heinrich Schlusnus von 1933 an mit der 1904 geborenen Sopranistin Annemarie (Annamey) Kuhl verbunden, die ihrerseits auch schon eine Beziehung hinter sich hatte. Sie war zunächst die Frau des an der Berliner Musikhochschule wirkenden Gesangslehrers Louis Bachner, bei dem auch Schlusnus Unterricht nahm. Bachner stammte aus New York und genoss hohes Ansehen. Unter seinen Schülerinnen war auch Frida Leider, die sich in ihren Memoiren „Das war mein Teil“ noch viele Jahre später dankbar an ihn erinnerte. 1938 hat das Ehepaar beim Reichsrundfunk einige Lieder eingespielt, darunter „Vergebliches Ständchen“ von Brahms in einer als Duett angelegten Version. Eine kleine Volksliedauswahl veröffentlichte Deutsche Grammophon auf einer Singleplatte. Ihr Vortrag ist leicht und erinnert eher an eine singende Schauspielerin denn an eine professionelle Opern- oder Liedsängerin.
Es gibt aber auch gegenteilige prominente Beispiele dafür, dass beide Seiten auch in langjährigen Partnerschaften gleichzeitig gemeinsame und jeweils eigene Ziele verfolgen können. Zu nennen sind die 1925 in Siebenbürgen geborene Sopranistin Virginia Zeani und der Bass Nicola Rossi-Lemeni (1920-1991). Wie sie haben auch die Kanadierin Pierette Alarie, Sopran (1921-2011), und Léopold Simoneau, Tenor (1916-2006), einträchtig auf der Bühne und vor den Mikrophon gestanden und etliche mustergültige Einspielungen hinterlassen, darunter Händels Messias unter Hermann Scherchen (Westminster). Im Doppelpack wurden sie bei Festivals in Aix-en-Provence, Edinburgh, Glyndebourne, Wien, München, Baden-Baden und Würzburg gefeiert. Mirella Freni, geboren 1935, ging 1978 ihre zweite Ehe mit dem aus Bulgarien stammenden Nicolai Ghiaurov (1929-2004) ein. In zahlreichen Mitschnitte und Studioproduktionen, darunter Don Carlo (Filppo und Elisabetta) und Gounods Faust (Marguerite und Méphistophélès (beide EMI), sind sie zu hören. „Reich mir die Hand, mein Leben“: Mit dem deutschen Zitat aus Don Giovanni ist eine LP des DDR-Labels Eterna betitelt, auf der Evelyn Lear (1926 – 2012) und Thomas Stewart (1928-2006) Duette singen. Das Zitat ist durchaus wörtlich zu verstehen. Das Paar kam Ende der 1950er Jahre aus den USA nach Deutschland, das nach langen Jahren in West-Berlin Ausgangspunkt einer regen und erfolgreichen Gastspieltätigkeit wurde.
Gebürtiger Amerikaner war auch der Heldentenor Jean Cox (1922-2012), der in zweiter Ehe die britische Altistin Anna Reynolds (1930-2014) geheiratet hatte. Gleichzeitig waren sie für mehrere Sommer in Bayreuth engagiert und standen sich als Parsifal und Kundry auf der Bühne gegenüber. Akustisch belegt ist die gemeinsame Festspielzeit durch den Mitschnitt der Meistersinger von Nürnberg unter Silvio Varviso von 1974 (Philips). Bereits bei den ersten Nachkriegsfestspielen waren Lore Wissmann (1922-2007) und Wolfgang Windgassen (1914-1974) dabei. Während er den Parsifal sang, ist sie eines der ersten Blumenmädchen gewesen. Beim letzten gemeinsamen Sommer auf dem Grünen Hügel 1956 erschienen sie auch auf der Bühne als Paar – als Eva und Stolzing in den Meistersingern. In einer seiner schönsten Operetteneinspielungen, dem Zigeunerprimas von Emmerich Kálmán, ist der Bariton Josef Metternich (1915-2005) an der Seite seiner Frau, der Sopranistin Liselotte Losch (1917-2011), zu hören (Membran). Mit seiner vierten Ehefrau Julia Varady, mit der er von 1977 an bis zu seinem Tod 2012 verheiratet war, ist Dietrich Fischer-Dieskau ebenfalls oft aufgetreten und hat sie als Dirigent bei Aufnahmen begleitet. Bis heute enttäuscht sind die Fans, als für ein in Berlin angesetztes Konzert mit dem Schlussgesang der Brünnhilde aus der Götterdämmerung erst Fischer-Dieskau als musikalischer Leiter und kurz darauf seine Frau als Solistin zugunsten von Carla Pohl zurücktrat.
In der DDR waren Irmgard Arnold (1919-2014), die „erste Sängerin“ des Intendanten der Komischen Oper, Walter Felsenstein und der vornehmlich an der Staatsoper wirkende Bass Gerhard Frei (1911-1989), der auch in Defa-Filmen („Der Teufel vom Mühlenberg“ und „Das tapfere Schneiderlein“) mitspielte, ein gestandenes Paar. Am Opernhaus Leipzig waren über viele Jahre die Sopranistin Christa Maria Ziese (1924-2012) und der Heldenbariton Rainer Lüdeke (1927-2005) engagiert. Während Lüdeke in der Verfilmung des Fliegenden Holländer durch Joachim Herz dem Darsteller der Titelfigur Fred Düren seine Stimme gab, ist die Ziese als Komponist in der Ariadne auf Naxos unter Herbert Kegel (Walhall) und als Elsa im Lohengrin-Brautgemach gemeinsam mit Ernst Gruber in einer diesem Heldentenor gewidmeten Edition (Ponto) dokumentiert. Christa Ludwig, Jahrgang 1928, und Walter Berry (1929-2000) wirkten oft in derselben Vorstellung und standen gleichzeitig im Aufnahmestudio vor dem Mikrophon. Ihre Einspielung von Bartóks Blaubarts Burg (Decca) – um nur ein Beispiel zu nennen, gilt bis heute als Referenz. Als ein bizarres Dokument ihrer 1970 vollzogenen Trennung mutet eine Aufnahme des Liederkreises op. 39 von Robert Schumann nach Texten von Eichendorff mit verteilten Rollen an, die bislang lediglich als LP vorliegt. Ob nun gewollt oder nicht: Auf CD sind im Rahmen einer Christa-Ludwig-Edition zu deren 90. Geburtstag lediglich ihre Lieder erschienen, die ihres Ex-Mannes wurden übergangen (Foto oben: Pauline Straus/ de Ahna, Foto BR Klassik Crescendo). Rüdiger Winter