Zwiespältig

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Donnerwetter o meglio colpo di tuono denkt man und: „Erscheinen denn jetzt die CDs schon, ehe das Konzert, das sie wiedergeben, überhaupt stattgefunden hat?“  Genau die  futuristische Robe der Designerin Paloma Picasso ist auf dem Cover der CD mit dem Titel The Three Queens zu sehen, die Sondra Radvanovsky bei der halbszenischen Aufführung der Schlussszenen von Donizettis Anna Bolena, Maria Stuarda und Roberto Devereux Ende Februar im Teatro San Carlo in Neapel trug. Die CD jedoch wurde weit früher in Chicago aufgenommen, allerdings ebenfalls mit Riccardo Frizza am Dirigentenpult und Kräften des Hauses in den kleineren Partien. Eine CD aus Neapel hätte wohl eher den Titel Le tre Regine getragen, die amerikanische Sopranistin ist eher als Verdi-, denn als Donizettisängerin bekannt geworden, hat sich in den letzten Jahren mit Brocken wie Turandot, Tosca und Odabella herumgeschlagen, was nicht gerade für den Belcanto prädestiniert. Auch stimmt bedenklich, dass die drei überaus anspruchsvollen Schlussszenen ganz unterschiedliche Anforderungen an einen Sopran stellen, wenn er kurz nacheinander Gemütslagen wie die üble Situation verklärenden Wahnsinn, fromme Abgeklärtheit und das Eingeständnis des Scheiterns in vorgerücktem Alter darstellen soll, bei aller Verpflichtung gegenüber dem Schöngesang der Stimme unterschiedliche Farben abverlangen muss.

Den Schlussgesängen ist jeweils die entsprechende Sinfonia vorangestellt, was zur Schonung der Stimme, zur Schaffung längerer Erholungszeiten verständlich, künstlerisch allerdings weniger gerechtfertigt ist, da diese die Stimmung der Szenen kaum widerspiegeln, eher unverbindlich klingen. Allerdings sorgt der Dirigent mit dem Orchester der Lyric Opera of Chicago für das notwendige Brio.

Für die Maria Stuarda hat der Sopran helle, recht scharfe Töne, fällt häufig durch ein leichtes Flackern auf, lässt wenig engelsgleiche dolcezza einer Caballé oder Devia vernehmen, klingt  eher leidgeprüft als verklärt, entschädigt allerdings ab und zu durch schöne Bögen wie auf „tutto col sangue cancellerà“.  Die Höhe wird durchgehend erreicht, klingt allerdings manchmal recht dünn wie auf „conforto d’amor“, man vermisst Geschmeidigkeit und chiaro-scuro. Die beiden Bässe klingen hart (Cecil) oder dumpf (Talbot), Gefährtin Anna hell und scharf, und nur der Leicester von Mario Rojas lässt Tenore-di-Grazia-Qualitäten erkennen.

Weit mehr gefallen als die Maria kann die Kontrahentin Elisabetta in Roberto Devereux, als die Sondra Radvanovsky zu Beginn der zweiten Szene schöne Trauertöne mit reichen Schattierungen zur Verfügung stehen, ein seltsamer Schluchzer vor „vivi“ allerdings etwas befremdet, und morbidezza manchmal mit verwaschen klingenden Tönen verwechselt wird. In den Presto-Teilen führt das bis zur Unverständlichkeit.  Unangestrengt klingen die Intervallsprünge, doch ab „Quel sangue“ wird die Höhe dünn, scheint die innere Spannung zu fehlen, was vielleicht damit zusammen hängt, dass die Sängerin an der Zielgeraden ihres Gesangsmarathons angelangt ist.

In Anna Bolena hat zunächst der Damenchor das Wort und schlägt sich agogikreich mehr als gut. Mit Lauren Decker wurde auch ein vollmundiger Smeton gewonnen, Mario Rojas bewährt sich als Percy. Die Diva lässt erkennen, dass sie um die Bedürfnisse des Belcanto weiß, überzeugt auch mit schönen Decrescendi wie auf „al dolce guidami“, lässt den Hörer aber auch verstört über ein schneidendes „infiorito l’altar“  zurück, wenn das Orchester weit milder gestimmt ist als die Solistin. Immer wieder wechseln feine Klanggirlanden ab mit verwaschen Klingendem wie „Cielo, a miei lunghi spasimi“.  Als ideal erweist  sich weder die Zusammenstellung des Programms noch das Wechseln der Sängerin zwischen Hochdramatischem und Belcanto (Pentatone PTC 5186 970). Ingrid Wanja