Zum zweiten

 

1999 brachte Cecilia Bartoli bei ihrer Stammfirma Decca ein Vivaldi-Album mit mehreren Weltersteinspielungen heraus, das eine ganze Serie von Recitals einleitete, die speziell einem Komponisten (Gluck, Scarlatti u.a.) gewidmet waren und viele Entdeckungen offerierten. Nun, nach fast 20 Jahren, widmet sich die Sängerin erneut dem Werk des venezianischen Komponisten und stellt auf ihrer neuen CD (Decca 483 475) zehn Arien aus seinen Opern vor, die sich auf Vivaldi I nicht finden.

Der Schwerpunkt dieser Auswahl liegt eher auf lyrisch-getragenen Arien, welche den gereiften Ausdruck der Interpretin zeigen. Zu Beginn allerdings gibt es mit einer Arie der Zanaida aus dem Argippo von 1730 noch ein Beispiel für Bartolis erregten Gesang, der sich geradezu in wildem Fauchen, Keifen und Zischen äußert. Das Ensemble Matheus unter Jean-Christophe Spinosi liefert dafür die klangliche Folie mit aufgewühlten Akkorden voller Temperament und Energie. Es ist aber auch ein idealer Partner für die schwebenden, entrückten Gefühlsäußerungen durch das delikate Spiel mit feinen Soli der Instrumente, wie man es in der folgenden Arie des Ruggiero, „Sol da te“ aus dem Orlando furioso von 1714 vernehmen kann, die von der Soloflöte lieblich umspielt wird. Bartoli besticht hier mit schmeichelndem Gesang und superb ziselierten Ornamenten. Aus derselben Oper erklingt noch die Arie des Astolfo „Ah fuggi rapido“, die wiederum einen ungestümen Zornesbruch schildert und mit  entsprechend furioser Attacke geboten wird. Virtuos und rasant laufen die Koloraturgirlanden ab – ein Markenzeichen der Sängerin und von unverminderter Meisterschaft. Il Giustino von 1724 ist die einzige Oper, die sich schon auf Vivaldi I fand, allerdings nicht die hier ausgewählte Arie des Anastasio, „Vedrò con mio diletto“, die ganz verinnerlicht und in exquisiter Phrasierung ertönt, begleitet von leise pochenden Akkorden des Orchesters, das zu den international führenden Ensembles der Alte-Musik-Szene zählt und mit der Künstlerin schon mehrfach öffentlich aufgetreten ist. Spinosi selbst begleitet sie in der folgenden Arie der Titelheldin aus La Silvia („Quell’ augellin che canta“) mit der Solovioline und sie bezaubert mit so anmutigem wie bravourösem Gesang, der den eines Vögelchens imitiert. Betörend ist die folgende Arie des Caio aus Ottone in villa von 1713, welche in ergreifenden Tönen die unverbrüchliche Treue preist. Rosanes Arie „Solo quella guancia“ aus La verità in cimento (1720) ist mit ihrem koketten, plappernden Duktus ein schöner Kontrast und Bartoli tupft die Töne mit höchster Kunstfertigkeit.

Perseos „Sivente il sole“ aus Andromeda liberata (1726) ist wieder ein bewegendes Stück, bei dem die Sängerin die Stimme ganz zurücknimmt, schweben lässt wie ein  Hauch und mit zärtlichen abbellimenti ausschmückt. Danach sorgt der kämpferische Ruf des Lucio „Combatta un gentil cor“ aus Tito Manlio (1719) unter auftrumpfendem Trompetengeschmetter und energischem Koloraturfuror wieder für ein heroisches Element, bevor die Anthologie mit Cesares wiegendem „Se mai senti“ aus dem späten Catone in Utica (1737) berührend und höchst kunstvoll endet. Cecilia Bartoli hat sich mit dieser Ausgabe, deren Veröffentlichung im Rahmen von 30 Years Bartoli Decca erfolgt, zu ihrem Jubiläum ein wunderbares Geschenk gemacht. Bernd Hoppe