Ein hochinteressantes Stück stellt Thomas Hampson mit Notturno in den Mittelpunkt seiner gleichnamigen CD zum Richard-Strauss-Jahr, allerdings nicht in der noch originelleren Orchesterfassung mit Bläsern, sondern mit Klavierbegleitung und Geige. Letztere wird von niemandem Geringerem gespielt als Daniel Hope, und die drei Künstler machen aus dem textlich surrealistischen Werk, einem der beiden Zwei größeren Gesänge für tiefe Stimme, ein atembeklemmendes, wie von Vorahnungen geprägtes, bereits den Expressionismus streifendes Schauerstück im positiven Sinn. Der Hörer erschauert beim Einsetzen des unwirklich erscheinenden Klangs der Violine nach dem Wort „Tod“, wie andere bedeutungstragende und lautmalerisch eingesetzte Worte wie z. B. „fahl“ die unheimliche, geradezu gespenstische Atmosphäre des 13-Minuten-Werks unterstreichend. Es geht um eine herzzerreißende Geschichte um einen offensichtlich gewaltsam zu Tode gekommenen Freund, den Tod und das lyrische Ich, also den Dichter Richard Dehmel. In diesem Track erscheint auch eine Besonderheit im Vortrag Hampsons, die sonst manieriert erscheint, nämlich die Dehnung des Vokals a auf die Vokabel „starr“ als ein besonders eindrucksvoller Kunstgriff. Leider findet man im Booklet keine näheren Hinweise auf das Notturno, obwohl der Bariton es bereits auch in der Fassung für Orchester gesungen hat. Der Geiger trägt mit seinem filigranen, wie aus einer anderen Welt stammenden Spiel wesentlich dazu bei, dass dieser Teil der CD der beachtlichste ist.
Ansonsten wechseln sich in chronologischer Reihenfolge populäre mit weniger bekannten Liedern ab. In der bekannten Zueignung findet sich besonders ausgeprägt das langgezogene a, das kaum auf „krank“ und „Trank“, wohl aber im letzten „Dank“ seine Berechtigung hat. Bereits hier zeigt sich, dass die Stimme farbiger wirkt als bei manchen dramatischen Verdi-Partien, dass sie flexibel geblieben ist, vielleicht ein wenig grober, als aus der Jugend des Verfassers erinnerlich, klingt. Bewundernswert ist die Diktion und raffiniert der Umgang mit den Pausen, so in „Die Nacht“, wo „dich“ – „mir“ – „auch“ effektvoll voneinander getrennt werden. Mit schöner Energie wird „Winternacht“ ausgeglichen zwischen Kernigkeit und Geschmeidigkeit gesungen, in den letzten zwei Zeilen erhält jedes Wort durch eine besondere Farbgebung seine Bedeutung. In „Mein Herz ist stumm“ wird das „immer ferner“ wörtlich genommen, lachender Übermut kennzeichnet „Ach weh mir“, das Singen quasi mit verteilten Rollen wird deutlich hörbar.Immer wieder überzeugen Feinheiten wie in „Ruhe, meine Seele!“, wo der Kontrast des Lieds zum abschließenden „Sonnenschein“ beeindruckt wie das beschwörende „vergiss“. In der „Heimlichen Aufforderung“ beweist die Stimme, dass sie noch strahlen kann, wird über Zeilenenden hinweg großzügig phrasiert, die dem Lied innewohnende Steigerung ins Orgiastische deutlich gemacht. In „Morgen„ kann in einem empfindsamen Vor- und Nachspiel der Pianist Wolfram Rieger zeigen, dass er nicht nur ein vielleicht von der Technik zu sehr zurückgenommener, vorzüglicher Begleiter ist. Auf der CD finden sich viele Lieder mit wiederkehrendem Strophenschluss. Hier zeigt Hampson in der Variation und der Steigerung sein feines Empfinden für den Gehalt von Text und Musik. Das gilt für „Sehnsucht“ ebenso wie für „Befreit“ und „Und dann nicht mehr“. Im spätesten und letzten der Lieder „Im Sonnenschein“ scheint das Thema der CD verlassen zu sein, die nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass es darum geht, „die süße Müdigkeit des Lebens nun auszuruhn“. Ein schönes Geschenk ist diese CD für Strauss, für den Sänger selbst und natürlich für den Hörer (DG 4792943).
Ingrid Wanja