Zigeunerlieder

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In Zeiten, wo „Zigeuner“ ein Unwort ist, wagt das wenig bekannte Label AVIE die Veröffentlichung eines Recitals mit dem Titel „La Zingarella“ (ital.: die Zigeunerin). Solistin ist die Sopranistin Isabel Bayrakdarian, deren Wurzeln im Libanon und in Armenien zu finden sind. Man erinnert ihr denkwürdiges Album „Cleopatra“ mit barocken Arien rund um die ägyptische Königin.

Auch bei ihrer neuen CD ist die dramaturgische Konzeption vorbildlich, denn die Anthologie umfasst Lieder und Liedzyklen sowie Arien aus Opern und Operetten. Sie beweist die Fülle und Vielfalt der Werke, in denen sich eine Zigeuner-Thematik findet. Und wenn beispielsweise das Staatsballett Berlin in seiner Produktion des Don Quichotte die im 2. Akt auftretenden Zigeuner in „Gitanos“ umbenennt, ist das einfach nur lächerlich, weil das Wort im Spanischen nichts anderes bedeutet als eben „Zigeuner“. Auch deshalb ist die Veröffentlichung der CD verdienstvoll und kann nicht hoch genug gelobt werden (AV2506). Streitbar sind allerdings die von Peter Tiefenbach und John Creer erstellten Arrangements für Geige (Mark Fewer), Viola (Juan-Miguel Hernandez) und ein Klavier-Trio (Annalee Patipatanakoon/Violine, Roman Borys/Cello, Jamie Parker/Klavier), die den Titeln ein ganz neues Gewand verleihen, das freilich zuweilen in die Nähe von Kaffeehausmusik rückt.

Der Einstieg in das Programm mit deutschsprachigen Liedern ist nicht glücklich, denn für Liszts „Die drei Zigeuner“ und Brahms’ „Zigeunerlieder“ fehlt es der Interpretin an idiomatischem Einfühlungsvermögen. Die verwaschene Artikulation macht die Texte nahezu unverständlich. Und der Brahms-Zyklus liegt einem Mezzosopran ohnehin besser in der Kehle. Es lag nahe, danach Dvoráks Zyklus „Cigánske melodie“ (Zigeunermelodien) folgen zu lassen, der einen günstigeren Eindruck hinterlässt. Inwieweit der tschechische Text authentisch wiedergegeben ist, kann man freilich nicht einschätzen. Mit drei canciónes von Sebastián Iradier (1809 -1865) stellt die Sängerin einen heute nahezu vergessenen Tonsetzer vor. Zuerst erklingt das übermütige „Juanita“ mit ausgelassenen Koloraturen am Ende. Das zweite ist eine Serenata andaluza, welche die Schönheit einer Zigeunerin besingt, das letzte ein Canción habanera, welches das Thema von Carmens berühmter Habanera, „L’amour est un oiseau rebelle“; aus Bizets Oper vorwegnimmt. Da verwundert es nicht, dass diese danach folgt. Der chansonhaften Interpretation kommt die kammermusikalische Begleitung entgegen. Das nächste Lied, die Zambra gitana „Clavelitos“ von Valverde, liegt in legendären Interpretationen von spanischen Diven vor: Victoria de los Angeles, Montserrat Caballé, Teresa Berganza. Gegen diese historische Übermacht behauptet sich Bayrakdarian achtbar.

Von Henry F.B. Gilbert sind 2 South American Gypsy Songs zu hören. Sie wurden in spanischer Sprache komponiert und atmen durch und durch mediterranes Flair, was die Sängerin mit ihrer Sinnlichkeit bestens bedient.

Der Titel des Albums ist dem gleichnamigen Air d’entrée aus der Operette Chanson gitane von Maurice Yvain entnommen. In diesem Titel in französischer Sprache schwelgt die Sängerin in Wohlklang und Temperament. Drei deutschsprachige Operettenmelodien beenden das Programm. Aus Lehárs Zigeunerliebe erklingen Zorikas Lied „Hör ich Cymbalklänge“ und der Csárdás. Sie gehören in ihrer überschäumenden Verve insgesamt zu den besten Titeln der Platte. Es folgt die Arie der Sylva „Heia, heia, in den Bergen“ aus Kálmáns Die Csárdásfürstin, der man ähnliche Qualitäten bescheinigen kann. Der Gipsy Love Song aus Herberts The Fortune Teller ist ein melancholischer Ausklang des Programms. Bernd Hoppe