Ideologischer Anspruch zum Zweiten

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Ohne Bekenntnisse und Offenbarungen scheint es nicht mehr zu gehen, kann keine Debüt-CD und sogar eine darauf folgende zweite Aufnahme nicht auskommen, und so bekennt auch die seit 2017 bei der Deutschen Grammophon unter Vertrag stehende amerikanische Sängerin Nadine Sierra im Booklet zu ihrer neuen CD mit dem Titel Made for Opera, die Aufnahmen seien auch im Gedenken an ihre portugiesische Großmutter entstanden, die zwar eine schöne Stimme besaß, aber nie den Beruf einer Sängerin erlernen, geschweige denn ausüben durfte. Im Debütalbum war noch von Diversität und Gleichberechtigung die Rede gewesen, hatte sich der Sopran recht verzottelt aussehend vor allem amerikanischem Liedgut unter dem Titel There’s a place for us gewidmet, nun wehen zwar auch, aber sichtbar gepflegte Haare im Wind, aber nicht über einem braven Krägelchen, sondern über einer Federboa und einem Abendkleid.

Schon bei dem erst drei Monate alten Baby will die Mutter eine besondere Affinität zur Musik entdeckt haben, seit dem zarten Alter von sechs Jahren nahm sie Gesangsunterricht, mit zehn Jahren kam Nadine Sierra zum ersten Mal mit der Oper in Berührung, nachdem ihre Mutter ein Band mit der Zeffirelli-Inszenierung von La Bohéme ausgeliehen hatte. Mit zwanzig Jahren erregte sie die Aufmerksamkeit von Marilyn Horne, die sie unter ihre Fittiche nahm und von da ab errang sie einen Preis nach dem anderen, oft als jüngste Teilnehmerin in der Geschichte des jeweiligen Concorso.

Drei der bekanntesten und beliebtesten Damen der Operngeschichte ist die neue CD gewidmet: Violetta, Lucia und Juliette. Für alle drei hat Nadine Sierra eine frische, helle und doch von einem leichten Schleier der Melancholie geadelten Sopran, der den Konsonanten mehr Aufmerksamkeit schenken könnte, sich für Violettas große Arie einer raffinierten Agogik bedient und dem auch eine gewisse Naivitätsattitüde gut steht, wo es passt. Filigran wird „la delizia“ gestaltet, und ein Wunder an raffinierter Technik ist die Cabaletta der Violetta. Ein sehnsüchtiges „amore“ mischt sich in den Gesang Alfredos, und der Spitzenton ist vollkommen unangestrengt.

Das „Addio al passato“ überzeugt nicht zuletzt durch die Schlichtheit, das schmerzliche Schweben ohne übertreibendes Pathos, aber es fällt einem auch die Mahnung der Callas ein, sich nicht zu einer Wiederholung hinreißen zu lassen, auf den schönen Schwellton am Schluss hätte man trotzdem nicht verzichten müssen.

Leider ist im Booklet nicht vermerkt, wer für das schöne Harfensolo zu Beginn der Lucia-Arie verantwortlich ist. Die Sängerin entzückt durch die Leichtigkeit des Tonansatzes und der Emission, sie wirkt nie angestrengt, sondern eher verspielt. Die Wahnsinnsarie lässt die Sierra die einzelnen Phrasen auskosten, feine Decrescendi bis fast zum Verstummen lassen innerlich jubeln, ein leichter Perlmuttschimmer scheint auf der Stimme zu legen. Eine so virtuose wie die Stimmung treffende Kadenz voller feiner Facetten lässt aufhorchen.

Für Juliettes erste Arie gibt es neben nicht sehr ausgeprägtem französischem Klang einen schönen Glockenton und virtuosen Übermut, die große Szene „Dieu! quel frisson court“ schließt die Aufnahme auf würdige Weise ab. Das Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI und Riccardo Frizza sind die Garanten dafür, dass der Sängerin die optimale Unterstützung für ihr Unternehmen zuteil wird (DG 486 0942). Ingrid Wanja

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Und das schrieben wir bei der ersten CD: Eine schöne Stimme und eine einnehmende Optik scheinen nicht mehr die Garantie für den Beginn einer auch erfolgreichen CD-Karriere zu sein. Eine Botschaft muss sie legitimieren, und davon hat die CD von Nadine Sierra gleich eine auf dem Cover und eine weitere auf der Rückseite des Booklets. Bernsteins Maria verkündet : “There’s a place for us und will nach Aussage der amerikanischen Sopranistin mit puerto-ricanischen und portugiesischen Wurzeln allen „a little bit of hope“ geben, die sie hören (wenn sie denn die Gelegenheit dazu haben). Auf der Rückseite des Booklets meint die Sängerin: „Opera belongs to everybody“, was sich an dieser Stelle seltsam ausnimmt, denn auf der CD befinden sich ganze zwei Opernarien, eine gänzlich unbekannte und eine aus Strawinskys The Rake’s Progress. Ansonsten gibt es Musikstücke in englischer/amerikanischer und spanischer sowie portugiesischer Sprache, die, immer Ansicht des Booklets, „nicht nur die Grenzen der Oper sprengen“, sondern offensichtlich auch in ihrer Vielfalt ein Gegenbeweis dafür sein sollen, dass, wie Nadine Sierra in einem Interview erklärt hat, Amerika die Angewohnheit hat, sich von allem abgrenzen zu wollen. Wenn dazu noch, ebenfalls Aussage in einem Interview, der selbstgewählte Auftrag kommt, der klassischen Musik helfen zu wollen, „Mauern einzureißen, die die klassische Musindustrie selbst aufgebaut hat“, dann meint man, dass die sehr ansprechende, aber doch bei weitem nicht sensationelle CD mit dreizehn Titeln  total mit Ideologie überfrachtet sei.

Es beginnt mit Bernsteins „Somewhere“ und der Hörer lernt eine unverwechselbare, aparte, frische und schillernde Sopranstimme mädchenhaften Charakters kennen, die über eine gute Technik verfügt, wie u.a. ein schönes Decrescendo beweist. In Villa-LobosAria kann die Sängerin eine dichte Atmosphäre erzeugen, ein ausgeprägtes Vibrato, eine flirrende Höhe und zarte Tongespinste erfreuen in Gordons Stars, die Extremhöhe erweist sich als strapazierfähig im temperamentvoll gesungenen  Julia de Burgos“ von Bernstein. Mit niedlich naivem Ton wird Villa-Lobos‘ Liebeslied zärtlich schmeichelnd im „Amor, meu amor!“ gesungen, schlicht und innig erklingt Bernsteins „Take care“. Ihre Unschuld noch nicht verloren hat die Sängerin des berühmten Virtuosen-Glanzstücks „ Glitter and be gay“, und manchmal hört es sich noch mehr nach Bewältigung als nach Gestaltung an. Gordons „Morning“ klingt besonders strahlend, in der Höhe, da hört man gern darüber hinweg, wenn in der Tiefe Verhuschtes zu vernehmen ist. Poetisch kommt die Melodia sentimental daher, ekstatisch, die Grenzen des Wohllauts streifend Maia’s Aria von Theofanidis. Mit feinen Pianissimi kann der Sopran in einem Lied von Foster erfreuen, ebenso in Golijovs „blassem Mond“, und  Anne Truelove lässt in ihrer langen Arie zunächst einen keuschen, mädchenhaften Klang, dann ein schmerzliches Erkennen und schließlich eine schöne Entschlossenheit vernehmen. Hochkarätig ist die Begleitung durch das Royal Philharmonic  Orchestra unter Robert Spano (DG 483 5004). Ingrid Wanja