Von Legrenzi bis Graun

Eine hochinteressante CD hat die schwedische Mezzosopranistin Ann Hallenberg bei harmonia mundi eingespielt. Sie nennt sich Agrippina, was eine Untertreibung ist, denn es geht gleich um drei Agrippinen, zwar miteinander verwandt durch den gemeinsamen Vater/Großvater, den Konsul Marcus Vipsanius Agrippa, aber mit sehr unterschiedlichen, wenn auch durchweg grausamen Schicksalen. Die Sängerin selbst hat sich damit gründlich beschäftigt, so wie sie es auch bei der Suche nach Barock-Opern tat, die eine der Drei zur Heldin haben, von denen nur die Händels allgemein bekannt sein dürfte. Agrippina I ist die ältere Halbschwester von Agrippina II und die Tante von Agrippina III, der Händelschen, die wiederum die Tochter von Agrippina II und die Nichte von Agrippina I ist. Sie ist gleichzeitig die Schwester der berüchtigten Wüstlings Caligula und die Mutter von Nero, dem sie zum Thron verhalf und der auf vielerlei Weise versuchte, sie umzubringen, was ihm schließlich erst mit Hilfe seiner

Soldaten gelang.

Das traurige Schicksal von Agrippina I bestand darin, dass sie sich von ihrem geliebten Mann, mit dem sie schon in der Wiege verheiratet worden war, scheiden lassen musste und trotz Wiederverheiratung bald danach starb. Agrippina II war die glückliche Ehegattin von Germanicus, Mutter seiner sechs Kinder und seine Witwe, als die sie auf eine einsame Insel verbannt wurde, wo sie Hungers starb. Gibt das Schicksal von Agrippina I nur wenig her für einen Opernstoff ( eine einzige erhalten gebliebene Oper), ist das bei Agrippina II schon etwas anders (drei Opern) und Agrippina III gar inspirierte eine Vielzahl von Librettisten und Komponisten, von denen sechs auf der CD vertreten sind. Die Sängerin und ihre Mitarbeiter haben offensichtlich keine Mühe gescheut, Agrippina-Opern aufzuspüren, wie viele davon verschollen sind, konnten sie natürlich auch nicht klären, wohl aber warum diese Figuren für das Barockpublikum so interessant waren, wovon im Booklet ausführlich und kompetent die Rede ist. Interessant sind auch die Ausführungen von Holger Schmitt-Hallenberg über die Musik, die auf der CD zu hören ist. Track 13 und 14 sind Agrippina I gewidmet, die Musik stammt von Giovanni Battista Sammartini und erscheint zunächst weniger tragisch als der Text, doch gibt es in 14 einen zwar kurzen, aber sehr schönen Adagio-Teil, in dem der wohllautende Mezzo geradezu baden kann, wird die Bruststimme wirkungsvoll als Ausdrucksmittel eingesetzt. Agrippina II fand auch die Aufmerksamkeit von Nicola Antonio Porpora, seit kurzem erst quasi wiederentdeckt. Eine feine Naturstimmung ist in der ersten Arie eingefangen, in schönem Ebenmaß und mit seelenvollem Klang nimmt sich die Sängerin in schwerelos erscheinendem Singen des Stücks an. Für „Deh, lasciami in pace“ hat sie einen schwermütig-holden Glockenklang zu düsterer Orchesterbegleitung. Ein interessantes Zwiegespräch mit dem Orchester schrieb Telemann in seiner Oper Germanicus für die unglückliche Agrippina II. Germanico sul Reno nennt sich das Werk von Giovanni Legrenzi, aus dem eine weitere Arie stammt. Opernreif und deswegen vielfach als Opernstoff benutzt ist natürlich das Schicksal von Agrippina III, sei es wegen der Intrigenhandlung um die Einsetzung Neros als Kaiser, sei es wegen der Art und Weise, in der der Sohn dies der Mutter dankte. Außer natürlich Händel sind noch die Komponisten Perti, Graun, Orlandini, Mattheson und Magni vertreten. In seiner Oper Britannico nach Racine komponierte Graun mit „Se la mia vita, oh figlio“ eine sanfte Klage, in der die Sängerin wunderschöne Bogen singt, und mit „Mi paventi il figlio“ raffinierte Koloraturen, wie hingetupft klingende Höhen, man vermeint auch einen leicht falschen Zungenschlag zu vernehmen, als wenn der Charakter der Figur so durchschimmern sollte, und ein ganz neuer Ton kommt mit dem beherzter Wut in die zweite Arie. Mit Giacomo Antonio Perti beginnt und endet die CD, wobei man mit den ersten Tönen bereits die sehr feminin klingende Stimme der feinen Konturen, die Fähigkeit zu Fermaten ohne Kontrollverlust über die Ebenmäßigkeit des Tons, die Wärme, die der Mezzo ausstrahlt, bewundern kann. Gift und Galle sprühen kann sie aber auch, so in Orlandinis „Tutta furie e tutta sdegno“. Drei Arien stammen aus Händels Agrippina-Oper, so „Ogni vento“, wo auch eine gesunde tiefe Lage zu hören ist sowie eine großzügige Phrasierung, „Pensieri, voi mi tormentate“ mit raffiniert furiosem zweitem Teil und „L’alma ma fra le tempeste“ mit leicht hingetupften Koloraturen. Durchweg ein kongenialer Begleiter ist der Sängerin Il Pomo d’Oro unter Riccardo Minasi, ausgewiesener Experte, der aus dem erst seit 2012 bestehenden Ensemble bereits ein weltweit akklamiertes geschaffen hat (deutsche harmonia mundi 88875055982). Ingrid Wanja