Nach dem Wotan und Wanderer in den konzertanten Aufführungen des Ring in Hong Kong widmet sich Matthias Goerne in einer groß angelegten Ausgabe bei harmonia mundi erneut der Musik des Komponisten (HMM 902250.51). The Wagner Project heißt diese Veröffentlichung auf zwei CDs, bei der das Swedish Radio Symphony Orchestra unter Daniel Harding nicht nur begleitet, sondern mit drei Vorspielen, einer Ouvertüre und zwei Instrumentalstücken maßgeblichen Anteil am Programm dieser Einspielung hat. Diese wird bestimmt von einer klugen Konzeption, welche die einzelnen Monologe inhaltlich und musikalisch einander zuordnet. Kein Arien-Potpourri also, wie häufig üblich, sondern eine Sinn stiftende Anordnung und programmatische Kombination mit den orchestralen Teilen zu großen, inhaltlichen Blöcken.
CD 1 ist betitelt „Of Gods and Men“ (in freier Variation von George Londons berühmter Platte „Of Gods and Demons“). Sie beginnt mit dem grüblerischen Vorspiel zum 3. Akt der Meistersinger von Nürnberg, das in seiner Stimmung und Motivik die Nähe zum drei Jahre zuvor entstandenen Tristan zeigt und in welchem die tiefen Streicher einen wunderbar sonoren Klang hören lassen. Danach folgt Sachs’ nachsinnender Fliedermonolog, der die Verwandtschaft zwischen Sachs und König Marke offenbart. Goerne beginnt ganz duftig und introvertiert, wechselt dann zu grimmigem Ausbruch und endet in dem liedhaft-kantablen „Der Vogel, der heut’ sang“. Die Palette des Sängers mit feinen Nuancen und subtilen Zwischentönen ist enorm, die Stimme mittlerweile dem Bassbariton-Fach zuzuordnen. Der frühere samtweiche Ton des Organs hat sich nunmehr zu einem markigen Klang verändert.
Dem Tristan-Vorspiel, das in seinem sehrenden Charakter die Handlungszüge – Sehnsucht, Ekstase, Resignation, Verzicht, Trauer – offenbart, leitet über in Markes erschütternden Monolog „Tatest du’s wirklich“. Die tiefe Enttäuschung des Königs über den vermeintlichen Verrat seines Neffen macht Goerne auf bestürzende Weise deutlich. Ganz organisch schließt sich danach Isoldes Liebestod an, der die hohe spielerische Kultur des Orchesters demonstriert.
In den beiden Szenen des Wotan aus dem Rheingold und der Walküre spürt man die Erfahrung des Sängers in diesen Partien durch die Konzerte in Hong Kong. „Abendlich strahlt der Sonne Auge“ lässt in seinem majestätischen Auftrumpfen noch den triumphierenden Gott erkennen, während „Leb wohl, du kühnes herrliches Kind“ vom Abschiedsschmerz von der geliebten Tochter gekennzeichnet ist. Hier hört man Töne der Resignation, bei „Der Augen leuchtendes Paar“ auch berührende Momente der Zuwendung. Respekt gebietende Autorität besitzt der Schluss mit „Wer meines Speeres Spitze fürchtet“.
CD 2 trägt den Titel „Redemption“ und beginnt mit Szenen aus dem Fliegenden Holländer. Der Ouvertüre mit ihrem aufgepeitschten Beginn und dem nachfolgenden Motiv von Sentas sehnsuchtsvoller Ballade folgt der Monolog des ruhelosen, Erlösung suchenden Holländers. Goerne variiert im Ausdruck von Düsternis und Überdruss bis zum grimmigen Aufbegehren gegen sein Schicksal. Die Stimme zeigt sich souverän in Höhe wie Tiefe und auch den dramatischen Ausbrüchen gewachsen.
Der Wolfram im Tannhäuser zählt zu Goernes Bühnenrollen. Im Lied an den Abendstern gelingt ihm nach all den dramatischen und heroischen Szenen ein Beispiel von sublimer Lyrik. Beinahe zärtlich formuliert er „Da scheinest du“, innig und zugewandt erklingt der Gesang an den Abendstern, vom Orchester mit warmen Klängen getragen. Irritierend ist der abrupte Ausklang dieser Szene mit den einleitenden Takten zu Tannhäusers Auftritt für seine Romerzählung.
Beim Thema „Erlösung“ darf Parsifal nicht fehlen. Im Vorspiel zum 1. Aufzug und dem Karfeitagszauber zaubert der Dirigent eine feierliche, erhabene Stimmung. Zwischen diesen orchestralen Teilen ertönt Amfortas’ schmerzliche Klage „Wehe! Wehe!“ aus dem 3. Aufzug, welche die einzigartige Stimme von Mathias Goerne mit ihrem persönlichen, zutiefst menschlichen Timbre noch einmal in aller Eindringlichkeit ertönen lässt. Vom lyrischen Bariton und exzellenten Liedsänger hat sich der Sänger inzwischen zum heldischen Bassbariton entwickelt, dessen Möglichkeiten wohl noch lange nicht erschöpft sind und sicher weitere Überraschungen erwarten lassen – wie sein Sarastro in der Salzburger Zauberflöte 2018. Bernd Hoppe