Von Elfen, Nixen und anderen

 

Den mittleren Teil der CD-Trilogie Dimensionen, gesungen von Marlis Petersen, am Klavier begleitet von Camillo Radicke, gibt es nun unter dem Titel Anderswelt, wo mit nach Welt, der uns umgebenden Wirklichkeit, das Reich der Elfen, Nixen, Wichtelmänner und anderer Geister gemeint ist. Aus steht nun noch die Innenwelt, damit der Zyklus vollendet wird.

Naturverbundenheit, ja Beseelung der Natur und die Gattung Lied gehören eng zusammen und beides zur Romantik, der Reaktion auf Rationalität, Fortschrittsglauben und Technisierung. So stammen die meisten Texte aus dieser literarischen Epoche, sie  interessierten durchaus aber auch Komponisten späterer Zeiten. Den Elfen und Nixen, also den Luft- und Wassergeistern, gelten die meisten Beiträge, dazu kommen die sagenhaften Gestalten aus Skandinavien. Der Bekanntheitsgrad eines Stücks war augenscheinlich nicht ausschlaggebend für die Wahl durch die beiden Künstler, eher wurden zwar früheren Generationen vertraute, heute aber eher vergessene oder belächelte Komponisten mit aufgenommen wie Christian Sinding (sein Frühlingsrauschen spielten höhere Töchter rauf und runter am Klavier) oder Carl Loewe, dessen Balladen, man denke nur an Die Uhr, äußerst populär waren. Beide sind mit je zwei Liedern vertreten, Brahms und Hugo Wolf nur mit je einem.

Sängerin und Komponist sind wohl ohne Wenn und Aber tief in die Welt der Geister eingetaucht, wovon die vielen Fotos im Booklet zeugen. Die sieht man sie als Nöck und Nixe bis zum Kinn im Wasser treiben, werden Blätterwerk und Baumstamm liebend gekost, auf moosbedeckten Felsen herumgekraxelt.

Es beginnt mit Hans Pfitzners Lockung, für das die Sopranstimme einen wie verwundert erscheinenden Klang annimmt, Waldeinsamkeit wird besonders bedeutsam gesungen, schwül und verlockend schlüpfrig klingt die zweite Strophe, und nicht nur dieser Text stammt von Eichendorf, dem liebenswertesten Vertreter der deutschen Romantik. Petersen legt viel Dramatik in den Schluss von Hans Sommers Lore im Nachen, wählt einen kindlichen Ton für Mit einer Wasserlilie, der in Einsame Nixe von Hermann Reutter deren „süße(n) kristallene(n) Stimme“ wiederzugeben scheint. Interessant wird die CD auch dadurch, dass viele unbekannte Lieder hier für viele Hörer sicherlich zum ersten Mal erklingen. Dazu gehört heute auch Loewes Der Nöck, dessen balladenhafter Aufbau die Stimme zu mehr Dramatik herausfordert. Keck und humorvoll wird Sindings Ich fürcht‘ nit Gespenster gesungen, in dem das Klavier eher als die Stimme trunken von der Schönheit des Nachtweibs zu sein scheint. In Harald Genzmers Stimmen im  Strom scheint der Sopran am Schluss unendlich zu gleiten, in Regers Mainacht das Aufblühen der Natur nachzuvollziehen. Damit wären wir bereits bei den Elfen, für die auch Bruno Walther ein Lied komponiert hat, das mit silbrigem „Mondesglanz“ verführt. Derselbe Text von Eichendorff wurde auch von Julius Weismann vertont, und sein Lied ist tändelnder, was die Stimme geschickt umsetzt.

Es folgen die Nordlichter, in denen Marlis Petersen in Sindings Majnat Wehmut und Grauen in einen Aufschrei münden lässt. Mit schöner Getragenheit wird in Kilpinens Berggeist der Schluss gestaltet, das bekannteste Lied der CD dürfte Wolfs Elfe auf einen Text von Mörike sein, in dem der Sopran den Kontrast zwischen Wächter und Elfe hübsch herausarbeitet. Mit feiner Leichtigkeit, wir sind zu den Elfen zurückgekehrt, wird von Friedrich Gulda der Eichendorff-Text, den auch Walther vertonte, in Musik gesetzt und von Marlis Petersen gesungen. Unheimlich und betont abgehackt schildert der Sopran die Tod bringende Begegnung mit den Elfen in Schrekers Spuk. Jede der vielen Elfen in Herman Zumpes Liederseelen erhält von der Sängerin ein unverwechselbares vokales Gesicht, Zemlinskys Und hat der Tag all seine Qual wird nicht so pathetisch gesungen, wie der Text es nahelegt, das Klavier betont dazu den Schreitrhythmus. Eine hochinteressante Auswahl, die das Gespanntsein auf den dritten Teil des Zyklus noch wachsen lässt (SM 294). Ingrid Wanja