Virtuoses und Träumerisches

Viel zu kurz ist für mich die neue (und letzte) CD von Valer Sabadus bei OEHMS, denn inzwischen ist der rumänische Countertenor zur Sony gewechselt, wo er mit Gluck-Arien („Le belle immagini“) bereits sein erstes Recital vorgelegt hat. Hier nun präsentiert er unter dem Titel Mozart Castrato Arias (OC 1814) einige jener Kompositionen, die der Salzburger Genius berühmten Kastratensängern der Zeit auf deren Stimmbänder geschrieben hat. Das Programm, eine Live-Aufnahme, beginnt mit zwei Arien des Ramiro aus der Finta giardiniera, die 1775 in München mit dem Sopranisten Tommaso Consoli uraufgeführt wurde. Sabadus hat mit der Tessitura der Partie kein Problem, denn gerade die strahlende, unangefochtene Höhe ist sein absoluter Trumpf. „Se l’augellin sen fugge“ schmeichelt mit weichem, zärtlichem Stimmklang und imponiert mit mühelos geformten Verzierungen. Ähnlich betört „Dolce d’amor compagna“, das der Sänger träumerisch schwebend vorträgt und Spitzentöne mit delikater Süße tupft. Der Cecilio in Lucio Silla wurde gleichfalls für einen Sopranisten, Venanzio Rauzzini, komponiert, der für seine Starallüren bekannt war. „Pupille amate“ lobpreist die schönen Augen der geliebten Giunia in berührendem Melos – für Sabadus Gelegenheit, in seinen Vortrag eine tiefe Empfindung einfließen zu lassen, die gleichwohl von wunderbarer Schlichtheit ist. Das ausgedehnte, bewegte „Il tenero momento“ bietet vielfache Möglichkeiten für den Solisten, Bravour und Expressivität zu zeigen. Virtuose Koloraturen, das Ausreizen der Register von der Tiefe bis zur exponierten Höhe und eine stupende Kadenz machen diese Nummer zu einem Höhepunkt der Sammlung. Den Sesto in seiner letzten Oper La clemenza di Tito schrieb Mozart für den Kastraten Domenico Bedini. Das Rondo „Deh, per questo istante solo“ ist erfüllt von introvertiertem Ausdruck, der dann zu leidenschaftlichem Ausbruch wechselt – Sabadus erfüllt beide Aspekte  imponierend. Große Probleme hatte der Komponist mit dem Kastraten Vincenzo del Prato, der in Idomeneo den Idamante sang, mit seinen vokalen Defiziten jedoch am hohen Anspruch der Partie fast gescheitert wäre. Davon kann bei Sabadus keine Rede sein, denn „No ho colpa“ zeugt von seiner souveränen Beherrschung aller geforderten Fähigkeiten. Cherubinos zweite Arie aus Le nozze di Figaro beschließt die Auswahl, die durchaus noch um ein weiteres Solo von Idamante und Sesto hätte ergänzt werden können. Was den Cherubino betrifft, so ist dieser eine klassische Hosenrolle für einen Mezzosopran und keineswegs eine Kastratenpartie. Aber mit Sabadus’ delikatem Vortrag und seiner hier besonders süßen und berückenden Stimme ist „Voi che sapete“ in der Auswahl durchaus willkommen. Michael Hofstetter begleitet den Sänger mit dem Ensemble recreation – Großes Orchester Graz mit meist moderaten Tempi, weiß aber in der Ouvertüre zu Lucio Silla mit dramatisch pulsierendem Zugriff einen starken Akzent zu setzen.

Ebenfalls bei OEHMS erschien eine CD mit Werken von Sergej Rachmaninov, bei der Valer Sabadus als Interpret der Vocalise cis-Moll op. 34 Nr. 14 mitwirkt und das kantable Stück mit träumerischer Melancholie und schwelgerischem Klang ausbreitet (OC 441). Das Gürzenich Orchester Köln begleitet den Sänger und sorgt außerdem unter Dmitrij Kitajenkos Leitung für eine mitreißende Wiedergabe der Symphonie Nr. 2 e-Moll op. 27, die alle Facetten der Musik – slawische Schwermut, packende Dramatik, überschäumendes Temperament und vitale Lebensfreude – auslotet.

Bernd Hoppe