Die neue CD von Max Emanuel Cencic bei Decca (483 3235) mit Opernarien von Nicola Porpora erlaubt einen interessanten Vergleich mit einer Platte von Franco Fagioli, der bei seiner früheren Stammfirma naïve bereits 2013 ein solches Programm unter dem Titel Il maestro aufgenommen hatte. Allerdings überschneidet sich bei den zwei Countertenören nur ein einziger Titel – Valentinianos Arie „Se tu la reggi al volo“ aus Ezio, mit der beide Interpreten ihr Programm eröffnen. Fagioli singt sie mit einer Stimme von vibrierender Erregung, auftrumpfend und in souveräner Bewältigung der langen Koloraturpassagen. Cencic dagegen bringt sie mit weniger Vehemenz, nicht so aufregend, mit warmem, gerundetem Ton. In der Virtuosität steht er Fagioli in nichts nach. Auch seine Interpretation wird vom begleitenden Orchester, der Armonia Atenea unter George Petrou, pompös mit festlichem Bläserglanz eingeleitet. Das Ensemble besticht bis zum Ende mit ungemein farbigem Spiel und raffinierten Klangeffekten.
Selbst wenn die Auswahl sonst voneinander abweicht, ermöglicht sie doch eine aufschlussreiche Gegenüberstellung der beiden Sänger mit ihren Stimmen, dem Ausdrucksradius und Interpretationsstil. Hier soll der Fokus natürlich auf der Neuveröffentlichung von Max Emanuel Cencic liegen, der seine Platte anlässlich des 250. Todestages von Porpora vorlegt und 14 Arien offeriert, davon sieben Weltpremieren. Dazu zählt eine weitere Arie aus Ezio – diesmal die des Titelhelden „Lieto sarò“, die in freudigem Jubel das Leben und die Liebe besingt und dem Sänger jauchzende Emphase ermöglicht.
Aus dem Jahre 1726 stammt die in Venedig uraufgeführte Meride e Selinunte, aus der Ericleas „ Torbido intorno“ ertönt, in der sich Stimme und Streicher kunstvoll verflechten.
In den 1730er Jahren komponierte Porpora in London drei Opern im direkten Wettbewerb mit Händel: Arianna in Nasso 1733, aus der als letzter Titel der Anthologie Teseos „Nume che reggi“ erklingt. Ein Jahr später kam Enea nel Lazio zur Uraufführung, aus dem des Titelhelden „Chi vuol salva la patria“ zu hören ist – ein patriotischer Aufruf für Vaterland und Ehre mit effektvollem Zierwerk. Und 1735 kam Ifigenia in Aulide heraus, aus der die Arie des Agamemnone „Tu, spietato“ ertönt, welche einen existentiellen Ausnahmezustand der Figur mit rasenden Koloraturgirlanden schildert. Cencic zeigt sich hier erneut als virtuoser Meister seines Fachs. Die folgende Arie des Filandro aus der gleichnamigen Oper, „Ove l’erbetta“, ist ein wunderbar getragenes Stück, das ein Naturbild malt und Cencic Gelegenheit bietet, seine lyrische Stimmkultur zu demonstrieren. Der nächste Titel, Poros „Destrier, che all’armi usato“, sorgt mit seinem energisch-kämpferischen Duktus wieder für einen spannungsreichen Kontrast.
Alle drei Arien des Lottario aus dem in Rom 1738 uraufgeführten Carlo il Calvo sind Ersteinspielungen und von höchst unterschiedlicher Stimmung. „Se rea ti vuole“ ist geprägt von einem rasanten Koloraturfeuerwerk in exponierter Tessitura. „Quando s’oscura il cielo“ gibt sich sanft und getragen, bringt die klangvoll-sonore Mittellage des Counters zu schöner Wirkung. „So che tiranno“ in eiligem Tempo bedeutet erneut eine große Herausforderung an die Bravour des Interpreten, die Cencic glänzend besteht.
Aus Il trionfo di Camilla, 1740 im Teatro San Carlo Neapel uraufgeführt, bietet Cencic zwei Arien des Turno von ganz unterschiedlicher Couleur – „Va per le vene“ in scheinbar endlos langen Phrasen von düster-beklommener Stimmung und „Torcere il corso“ als bewegtes Sinnbild eines Flusses, dessen Verlauf man ändern kann, nicht aber die Gefühle eines Herzens. Auch Filandros „D’esser già parmi“ schildert als Metapher einen Apfelbaum im Sturm in Form von aufgewühlten Koloraturketten.
Nach seiner überzeugenden Interpretation des Titelhelden in der Einspielung von Porporas Germanico in Germania (ebenfalls bei Decca) hat Max Emanuel Cencic mit diesem Recital dem großen Gesangslehrer und Komponisten eine gelungene Reverenz erwiesen, die für die Verbreitung von Porporas Werk von eminenter Bedeutung sein dürfte. Bernd Hoppe