ÜBERZEUGENDES CHIAROSCURO

 

Spätestens seitdem es 2018 einen Gramophone Classical Music Award in der Kategorie „Recital“ für die Zusammenarbeit des Barockensembles Accademia Bizantina und Delphine Galou anlässlich der CD Agitata gab, gilt die Französin als eine der renommiertesten Altistin der Szene. Seit einigen Jahren singt sie schon in der Vivaldi-Edition des Labels Naïve, 2018 bspw. die Titelrolle in der maßgeblichen Aufnahme von Antonio Vivaldis Il Giustino (CD-Erscheinung Nr. 58 der Edition), ebenfalls mit der Accademia Bizantina unter der musikalischen Leitung Ottavio Dantone. Nun sind zwei weitere Einspielungen mit Werken von Antonio Vivaldi dieses erfolgreichen Teams verfügbar, die sich als ein emotionales Chiraoscuro aus Vivaldis Werk gekonnt kontrastieren und ergänzen. Rund 50 Werke geistlicher Musik von Vivaldi sind erhalten, Musica Sacra Per Alto (Nr. 59 der Vivaldi-Edition) vereinigt zwei Introdutione al Miserere (einer anscheinend von Vivaldi erschaffenen Variante der Solo-Motette) für Kontraalt („Filiae maestae“ RV 638 und „Non in pratis“ RV 641), eine Vesperhymne („Deus tuorum militum“ RV 612), bei der Galou durch den Tenor Alessandro Giangrande ergänzt wird, das fünfsätzige „Salve Regina“ RV 618 und ein „Regina coeli“ RV 615, das von Giangrande koloratursicher interpretiert wird. Als spannender Bonus ist das für die Feier von Mariä Himmelfahrt entstandene Violinkonzert RV 582 enthalten, das Konzertmeister Alessandro Tampieri mit Verve und Leidenschaft spielt.

Die zweite Neuerscheinung Arie E Cantate Per Contralto (Nr. 60 der Vivaldi-Edition) umfasst drei arkadische Kantaten über Liebe und Leid „Cessate, omai cessate“ (RV 684),  „O mie porpore piú belle“ (RV 685) und „Qual in pioggia dorata“ (RV 686). Da sich damit keine CD füllen lässt, ergänzte man mit Opernarien aus Tito Manlio, Il Giustino, La verità in cimento, Tieteberga und La Candace o siano Li veri amici. Das Ergebnis ist ein gut gelauntes Vivaldi-Recital. Die charaktervolle, flexible und stets angenehme Stimme Delphine Galous ist in der sakralen und profanen Sphäre sehr gut aufgehoben, auch hier widmet sie sich innig und ausgeglichen ihrer Aufgabe. Beim Zuhören stellt sich ein typischer Vivaldi-Zustand ein: irgendwie vertraut und schon mal gehört und doch wieder spannend und erstklassig interpretiert. Die Accademia Bizantina musiziert Vivaldi auf der Höhe der Zeit, dynamisch vorwärtsstrebend, die einzelnen Schönheiten stets auskostend und aufnahmetechnisch ausbalanciert. Die beiden Aufnahmen entstanden hintereinander innerhalb eines Monats und bieten als doppelter Querschnitt viel Hörfreude für Vivaldi-Fans  (Musica Sacra Per Alto, Naïve 30569. Arie E Cantate Per Contralto, 1 CD, Naïve 30584). Marcus Budwitius