Eine Stimme wie in Samt gehüllt

 

Dietrich Fischer-Dieskau singt Arien aus Opern von Giuseppe Verdi: Mitunter fällt einem die originale Langspielplatte der Electrola noch in einem Antiquariat in die Hände. In Lizenz ist sie sogar unter dem DDR-Label Eterna erschienen in einer Reihe, die sich „Musikalische Kostbarkeiten“ nannte. Als eine Kostbarkeit habe ich sie vor vielen Jahren kennengelernt – und wahrgenommen. Noch bevor ich Bastianini, Warren, Cappuccilli oder Panerai bewusst gehört hatte. Produziert wurde sie 1959 mit den Berliner Philharmonikern unter Alberto Erede. Zur besten Zeit des Sängers. Als er auf dem Höhepunkt stand. Die Stimme hatte für mich diesen samtigen Klang, der Verdis Bariton-Partien so einzigartig macht. Und zugleich so menschlich. Das gefiel mir auf Anhieb. Die italienisch gesungenen Arien stammen aus dem Trovatore, Rigoletto, Vespri Siciliani, Don Carlo, Ballo in Maschera und Falstaff. Bis auf den Luna im Trovatore sind alle andere Rollen in Mitschnitten bzw. Gesamtaufnahmen überliefert. Verdi ist ein großer Posten in der Diskographie des Baritons. Falstaff gibt es mindesten siebenmal. Er kehrt immer den Intellektuellen heraus, der mit dem Kopf singt und nicht mit dem Bauch. Schon in den beiden Szenen, einschließlich Monolog mit dem rasenden Vorspiel. Nur einmal, nämlich 1952, in der großen Szene „Brav, alter Hans“ mit Josef Metternich, dem RIAS Symphonie-Orchester unter Ferenc Fricsay schlüpfte er in die Rolle des Ford, mit der er am Ende noch mehr hermacht als in der Titelpartie. Die fast achtzehn Minuten lange Szene in deutscher Sprache gilt als ein Kabinettstück der Schallplattengeschichte – nachzuhören in einer bei operalounge.de bereits besprochenen Metternich-Box von Membran.

The Intense Media hat die Verdi-Platte eins zu eins in eine Box übernommen, die aus zehn CDs besteht (600295). In das Cover-Bild ist die originale Erstausgabe in Kleinformat eingeklinkt. Auf diese Weise wird die Erinnerung auf eine sehr sinnliche Weise geweckt. Nicht selten verbindet sich ja die Liebe zu einer bestimmten Aufnahme mit dem äußeren Erscheinungsbild einer LP, auf der sie einem das erste Mal begegnet ist. Zumindest mir ergeht es oft so. Diese nostalgische Karte ist offenbar ein erfolgreicher Stich und den Verkaufszahlen förderlich. Viele Wiederauflagen unter allen möglichen Labels – zuletzt die Neuausgabe der Soloplatten von Elisabeth Schwarzkopf bei Warner – werden in Tüten gesteckt, die äußerlich genau den Plattentaschen nachempfunden sind. Nun hat auch Intense Media dieses ästhetische Verfahren für sich und seine Kunden entdeckt. Eine derartige Präsentation alter Bestände ist nur gerecht, weil sie die ursprünglich produzierenden Labels zumindest äußerlich wieder in die alten Rechte einsetzt. Insgesamt wurden „16 Original Vinyl Albums“ übernommen. Remastered, wie es ausdrücklich heißt. So viel Eigenwerbung ist erlaubt. Nur manchmal ist der Klang etwas verwaschen und weist Tendenzen zur Übersteuerung auf, was dann stört, wenn der Klang bei Liedern ganz intim wird. Nur noch hingehaucht, geflüstert. Vieles lässt sich den alten Platten nachsagen, nicht aber, dass sie zur Übersteuerung neigten. Hier wurde offenkundig zuviel remasterd.

Dass sechzehn Platten auf zehn CDs passen erklärt sich so. Der Platz, den beispielsweise die Eichendorff-Lieder von Hugo Wolf mit Gerald Moore am Klavier beanspruchen, lässt noch Raum für Schumanns Liederkreis op. 39, der 1954 auf einer 25-cm-LP erschienen war. Dagegen ist nichts einzuwenden, denn die Übersichtlichkeit und Zuordnung bleiben ja erhalten. Nur einmal, bei der Schönen Magelone von Johannes Brahms, bei der Fischer-Dieskau auch als Rezitator der Gedichte in Erscheinung tritt, gibt es die Fortsetzung auf der folgenden Scheibe. Fischer-Dieskau beherrschte dieses Metier souverän. Es kommt auch bei der Produktion von Schuberts Schöner Müllerin zum Einsatz, der er Epilog und Prolog hinzufügt, unterlegt von leichtem Rumpeln, als ob schon mal das Mühlrad in Gang gesetzt würde. Schubert hatte 1823 nicht alle Lieder des Gedichtzyklus von Wilhelm Müller komponiert. Weggelassen wurden „Das Mühlenleben“, „Erster Schmerz, letzter Schmerz“, „Blümlein Vergießmein“ und eben Prolog und Monolog. Konsequent wäre es gewesen, an den entsprechenden Stellen die übrigen Texte auch gesprochen einzufügen. Dann nämlich hätte Fischer-Dieskau im Epilog nicht die einleitenden zehn Zeilen wegzulassen müssen, die sich nämlich auf die Tatsache beziehen, dass der Zyklus aus insgesamt fünfundzwanzig Gedichte besteht. Eine Rumpflösung ist immerhin besser als gar keine. Ihre Berühmtheit verdankt die Aufnahme von 1961 – wieder mit Moore – gerade den Hinzufügungen.

Lieder bilden das Gros der Sammlung, deren späteste Aufnahme die Winterreise von 1962 ist. Früher entstanden ebenfalls im Studio Schuberts Schwanengesang, Beethovens Ferne Geliebte, Lieder von Richard Strauss, weitere Titel von Brahms, Dichterliebe und der Liederkreis op. 24 von Schumann, Schottische Lieder und Volkslieder von Haydn, Beethoven und Weber auf Platten. Bei „Duetten aus sechs Ländern“ ist Victoria de los Angeles die Partnerin. Eine Abteilung zeitgenössischer Komponisten enthält Werke – meist kleine Zyklen – von Reinhard Schwarz-Schilling, Wolfgang Fortner, Boris Blacher, Hermann Reutter und Aribert Reimann, der auch am Klavier sitzt. „Meine dunklen Hände“ von Reutter fallen durch den Untertitel „Fünf Negergedichte“ auf, der heutzutage gar nicht korrekt ist und mit dem sich der Komponisten den Vorwurf einhandeln würde, ein für heutige political correctness Unwort in Umlauf zu bringen. Was also tun, wenn dazu noch die Autoren der Gedichte, Langston Hughes und Arna Bontemps (nicht Anna, wie auf dem Cover zu lesen ist!), Afro-Amerikaner waren, Ikonen der Bürgerrechtsbewegung. Reutter, ein grundanständiger Mann, schuf seine Lieder 1956, als in den Vereinigten Staaten der Kampf der Schwarzen um ihre Rechte dramatische Fahrt aufnahm. Er ist seit dreißig Jahren tot. In sein Werk eingreifen, wie das bereits bei Schriftstellern geschah? Es also „bereinigen“, weil ein Wort mit einem konkreten historischen Hintergrund nicht mehr in der Zeit passt? Oder besser erst gar nicht mehr aufführen? Was also tun? Ich würde vorschlagen zuzuhören, die eindringlichen Gesänge auf sich wirken zu lassen. Sie gehen tief. Und auf einmal ist es völlig belanglos, das sich ein einziges Wort mit heutigem Wohlverhalten nicht in Übereinstimmung bringen lässt.   Rüdiger Winter

  1. Ulrich Bräunlich

    Lieber Rüdiger,
    habe soeben Deine Rezension gelesen und sofort meine Platten geprüft, und siehe da – ebendiese LP als Eterna-Lizenz habe ich 1976 bei einer Dienstreise in Schwedt gekauft. Damals war der Rigoletto meine Nummer 1 – zwischenzeitlich bin ich ja mehr zu Strauss und Wagner gewechselt.
    DFD ist auf der LP eben DFD. Mir fehlt z.B. bei der Rigoletto-Arie ein wenig die Dramatik von Wixell. Er erscheint mir manchmal zu „manierlich“, zu „vornehm“ für den Rigoletto, ebenso wie er mir auch als Orest nicht zusagt. Vor Allem in der Höhe fehlt mir die „Italiana“. Die beiden Maskenball-Arien dagegen gefallen mir mehr. Für mich ist DFD immer DER Liedsänger.
    Dank Deiner Rezension bin ich mir nun bewußt, eigentlich eine Rarität zu besitzen und werde sie mir bei passender Gelegenheit auflegen. Vielleicht hört mein Ohr jetzt mehr als früher.
    Viele Grüße aus Gera von Uli und Hannelore

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