Spätromantisches

 

Die britische Sopranistin Lucy Crowe ist vor allem auf dem Gebiet der Alten Musik eine international renommierte Interpretin. Jetzt legt sie beim Label LINN mit ihrer langjährigen Klavierpartnerin Anna Tilbrook beider erstes Solorecital vor (CKD 656). Es trägt den Titel Longing und präsentiert Lieder von Strauss, Berg und Schoenberg. Kompositionen von Strauss bilden den Schwerpunkt der Anthologie. Aus seinen Acht Gedichten aus Letzte Blätter sind fünf Titel zu hören, darunter so bekannte wie „Zueignung“, „Die Nacht“ und „Allerseelen“. Lucy Crowe führt ihre helle, klare Stimme sehr instrumental, was zu einer gewissen Einfarbigkeit führt. Doch der Klang ist stets gerundet und angenehm, auch in der exponierten Höhe leuchtend und nie grell.

Es folgen Sieben frühe Lieder von Alban Berg. Hier findet die  Interpretin zu flirrenden Tönen und träumerischem Ausdruck. Danach noch einmal Strauss mit vier Liedern unterschiedlicher Opus-Zahlen. Die bekanntesten sind „Ständchen“ op. 17, Nr. 2 und  „Morgen“ op. 27, Nr. 4. Hier kann sich auch die Pianistin mit feinsinnigem Spiel bewähren und Crowe mit schwebendem Klang betören. Weniger populär sind „Ich schwebe“ op. 48, Nr. 2 und „Nachtgang“ op. 29, Nr. 3. Hier wartet die Sopranistin mit besonders delikaten Nuancen auf.

Selten zu hören sind die Vier Lieder op. 2 von Schönberg, der Gedichte von Richard Dehmel und Johannes Schlaf vertonte. Sie wurden nicht als Zyklus uraufgeführt, sondern zwischen 1904 und 1910 in einzelnen Abteilungen. Zwischen sprödem Duktus und aufrauschendem Melos sind sie für die Sängerin eine große Herausforderung, welche sie beachtlich meistert.

Am Schluss kehrt die Sopranistin nochmals zu Strauss zurück und widmet sich seinen bekannten Vier letzten Liedern, womit sie sich einer großen Herausforderung stellt, sind diese doch auf dem Markt in unzähligen und singulären Interpretationen vertreten. Im „Frühling“ lässt sie gleißende, im „September“ melancholisch verschattete Töne hören. Von Schwermut erfüllt ist auch „Beim Schlafengehen“, wobei ihr die Melismen bei „Und die Seele unbewacht“ wunderbar gelingen. Das finale „Im Abendrot“ ist ein berührender Abgesang, mit dem Lucy Crowe ihre kompetente Interpretation bestätigt. Bernd Hoppe