Sepia-Helden

 

Ob dereinst nochmals ein Tenor ein Tribute to Plácido Domingo oder Jonas Kaufmann aufnehmen wird? Zumindest erster hat auch in einigen Uraufführungen gesungen, darunter als bekannteste in Menottis Goya und in Torrobas El Poeta. In weit mehr Uraufführungen hatte naturgemäß in Zeiten, die nahezu nur neue Werke kannte, Gilbert Duprez mitgewirkt. An den „Erfinder“ des mit Bruststimme gesungen hohen C erinnert jetzt der amerikanische Tenor John Osborn in seinem ersten Solo -Album, das ihm Delos (DE 3532) 2016 ausrichtete, quasi punktgenau 20 Jahre nach seinen Met-Debüt 1996. Während seiner rund ein Vierteljahrhundert währenden Karriere hatte das Vorbild Duprez zentrale Partien kreiert, darunter 1835 in Neapel Lucia di Lammermoor, später in Paris, wo er neben seinem vier Jahre älteren Kollegen, dem Rossini- und Meyerbeer-Star Adolphe Nourrit, der sich bereits 1837 von der Opéra zurückzog und zwei Jahre später in Neapel aus seinem Hotel stürzte, in La favorite, Les Martyrs, Dom Sébastien sowie in Berlioz’ Benvenuto Cellini und Verdis Jérusalem rasch als Publikumsliebling etablierte. Osborn hat sich für seinen Tribut in der französischen Originalsprache „seine“ vier Donizetti-Opern ausgesucht, dazu Jérusalem, Benvenuto Cellini und Guillaume Tell, Nourrits Oper, in dessen italienischer Erstaufführung 1831 indes Duprez mit seinem erstmals voll ausgesungenen hohen C ein neues Zeitalter für die Tenöre einläutete.

Gilbert Duprez /Foto Nadar/ Taschen

Wie offenbar Duprez, der im Gegensatz zu Nourrit nicht im elaborierten Zierwerk glänzte, überzeugt Osborn mit der Morbidezza in den langsamen, melancholischen Arien, die er mit kontrolliertem Atem, geschmeidiger Linie, eleganter Phrasierung, klarer Diktion und perfekt angebundenen Höhen singt, wie in Gastons „Je veux encore entendre ta voix“ aus Jérusalem, der genauen Adaption von Orontes „La mia letizia infondere“ aus den Lombardi. Zu den Neukompositionen in Verdis Pariser Umarbeitung gehört Gastons von Osborn pianosanft gesungenes Rezitativ und Arie „O mes amis“, in dem er die Höhepunkte mit zärtlicher Emission an- und abschwellen lässt. Mit stilistischer Eloquenz verleiht Donizettis Figuren den Sepia-Glanz der romantischen Helden, eher fragil denn robust, stets von bezaubernder Lyrik, beispielhaft in Fernands „Ange si pur“ aus La favorite und Edgards „Bientôt l’herbe des champs croîtra“ („Tombe degli avi miei“) aus der vier Jahre nach der Uraufführung in Paris erstaufgeführten Lucie und Sébastiens „Seul sur la terre“. Mit seiner Kunst der dynamischen Schattierung, der majestätischen Anlage-Sorgfalt gelingt es Osborn, seine im Grunde weiße Stimme, das gelegentlich etwas nasale Timbre und eine Enge in der extremen Höhe nebensächlich erscheinen zu lassen. Mit hoher stilistischer Empfindsamkeit umgibt Osborn auch den seine Schweizer Eidgenossen zum Kampf aufrufenden Arnold, der mit Bryan Hymel und Michael Spyres – und eben John Osborn – derzeit fest in amerikanischer Hand ist. Vielleicht fehlt es hier etwas an heldischem Elan, das schmälert den Rang der Aufnahme mit dem Kaunas City Symphony Orchestra unter dem um Feinheit bemühten Constantine Orbelian nicht, die – wenn es auf diesen Seiten so etwas gäbe – die CD des Monats sein sollte. Rolf Fath