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Langer weißer Bart, Anzug mit Weste, Hemd, Schleife, Drahtbrille, eine Ordensspange am Revers. Der Schein trügt. Der würdige Herr mit der eindrucksvollen Denkerstirn ist kein Gelehrter und kein hoher Staatsbeamter. Wir haben den Komponisten Christian Fink vor uns, geboren 1831 in Dettingen bei Heidenheim, gestorben 1911 in Esslingen am Neckar. Hänssler Classics, als Firma in der Gegend ansässig, hat dem Landsmann ein Doppelalbum mit Liedern und Klavierwerke gewidmet (HC21037). Es kommen fast zweieinhalb Stunden zusammen. Hintereinander gehört, ist das viel ziemlich viel. Doch nicht zu viel. Fink erscheint ungemein vielseitig und durchaus auch unterhaltsam. Für einen, der gelehrt hat, der Musikdirektor an der Stadtkirche St. Dionys in Esslingen war und als Chorleiter des Liederkranzes der Stadt wirkte, das Lehrerseminar mit einem musikalischen Festgruß zum fünfzigsten Gründungstag und auch das Stadtmuseum aus gleichem Anlass kompostirisch bedachte, dem die Ehrenmitgliedschaft des evangelischen Gesangsvereins verliehen wurde, klingt er weniger akademisch als zu erwarten gewesen wäre. Fink lässt durch manche Texte, die er vertonte, tief in sein Innerstes blicken. Er ist der Einsiedler von Eichendorff, den die Welt vergessen hat, der die „stille Nacht“ als „Trost der Welt“ heraufbeschwört. Und er ist auch der junge Mann, dem die Brust zerspringen will, wenn er das Liedchen klingen hört, das „einst die Liebste sang, den es mit „wildem Schmerzendrang“ „zur Waldeshöh‘“ treibt, wo sich sein „übergroßes Weh‘“ in Tränen auflöst. Heine, Buch der Lieder. Ein Gedicht, das Schumann – als Künstler Heine ebenbürtig – in seine Dichterliebe aufgenommen hat. Daran sollte besser nicht denken, wer sich die Version von Fink anhört. Durch Schumann wird er dann doch auf die hintersten Plätze verwiesen und ist nur einer von mehr als achtzig Komponisten, die sich der Verse von Heine angenommen haben. Aus der entsprechenden Liste des LiederNet – dem für die Beschäftigung mit Liedern unverzichtbaren Onlinearchiv – stechen bis auf Frederik Delius, Zdenek Fibich und Giacomo Meyerbeer keine prominenten Namen heraus.
Im Booklet gibt es einen kurzen und Präzisen Überblick zu Biographie und Werk von Fink. Autor ist Joachim Kremer, der seit 2001 als Professor für Musikwissenschaft an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellenden Kunst Stuttgart wirkt und ein Buch über den Komponisten vorgelegt hat, das erst vergangenes Jahr im Rockel-Verlag erschien (ISBN 978-3-95675-032-8). Gewiss ist das CD-Album – und so dürfte es auch beabsichtigt sein – die ideale musikalische Begleitung für die Lektüre. Wie sollte sich der musikalische Laie sonst vorstellen können, wie Fink komponierte. Orgelwerken bei Gallus Sonorus von 2001 dürfte die bislang einzige CD mit seiner Musik gewesen sein. Fink könne aber nicht auf einen „schwäbischen Orgelmeister“ reduziert werden, so Kremer. Vielmehr präge „eine Fülle von Liedkompositionen für Sologesang, Männerchor und gemischten Chor sein Werk“. Schon dem jungen Fink habe der Stuttgarter Kapellmeister Peter von Lindpainter attestiert, dass seine Lieder auf „Einfachheit basiert, gesangvoll und nicht ohne Gemüth“ seien. Eindrücke, die sich bei der Beschäftigung mit den Stücken auf CD – neben Liedern zwei Klaviersonaten – auch heute noch mitteilen. Ein im Booklet nicht namentlich genannter Zeitgenosse gelangte zu dem Schluss, bei Fink komme alles „wie aus der Pistole geschossen“. Nicht also „romantische Entgrenzung, sondern ein „von romantischem Geist erfülltes impulsives Gefühlsleben“ zeichne seine Musik aus, auf der Basis einer klaren formalen Diskposition. Kremer: „Am Text entlang entwickelt sich die Musik, und stets unterstützt das Klavier den Sänger.“ Dies gewährleiste die Direktheit seiner Musik.
Der Pianist Robert Bärwald, der auch für die Konzeption der Neuerscheinung verantwortlich zeichnet, begleitet die Solisten Christine Reber (Sopran), die am meisten zu tun hat, Carmen Mammoser (Alt) und den Bariton Teru Yoshiba. Sie entledigen sich nicht nur einer Aufgabe, für die sie engagiert worden sind. Vielmehr scheinen sie hörbar entschlossen, durch ihr Können und ihren professionellen Einsatz diesen Komponisten dem Vergessen zu entreißen. Gemeinsam setzen Sopran und Alt in zwei Duetten op. 49 – Maibrünnelein und Tanzlied der Mücken – einen aparten Höhepunkt. Mit drei Liedern für Männerstimmen op. 15, darunter Wandrers Nachtlied von Goethe, weiß das Ensemble Perplex zu gefallen. Es setzt sich aus den vier Stuttgarter Musikstudenten Daniel und Georg Schmid, Martin Höhler sowie Frederic Mattes zusammen. Rüdiger Winter