Russische Opern-Perlen

Fast jede neue CD von Cecilia Bartoli ist eine editorische Großtat – so auch ihre Neuveröffentlichung bei Decca mit dem Titel St. Petersburg (478 6767). Die Mezzosopranistin stellt darauf Musik vor allem italienischer Komponisten vor, die auf Einladung am Hofe der russischen Zarinnen Anna Ioannovna (1730 – 40), Elizaveta Petrovna (1741 – 62) und Katharina II. (1762 – 96) wirkten. Dazu gehörte Francesco Araia, der mit Zephalos und Prokris 1755 die erste russische Oper schrieb. Mit seiner Musik eröffnet die Solistin das Programm – statt des gewohnt furiosen Auftaktes hört man mit der Arie der Minerva „Vado a morir“ aus La forza dell’amore e dell’odio jedoch ein sanft wiegendes Stück im siciliano-Rhythmus, in welchem sich ihre Stimme betörend entfaltet und den Abschiedsschmerz der Göttin bewegend formuliert. Später erklingt aus einer weiteren Oper des Komponisten, Seleuco, noch die Arie des Demetrio, „Pastor che a notte ombrosa“, die sich als pastoraler Dialog zwischen Stimme und Oboe entwickelt. Die Sängerin berückt hier mit feinen Trillern und vielerlei vokalem Raffinement. 1755 markiert auch den Beginn der künstlerischen Tätigkeit des aus Stralsund gebürtigen Hermann Raupach, der im Hoforchester zunächst Cembalist war und nach Entlassung von Araia 1759 neuer Hofkomponist wurde. Von ihm werden drei Opernszenen vorgestellt – zwei davon in Russisch, womit La Bartoli ihre ersten Ausflüge in dieser Sprache auf CD macht. Mit der Arie des Gerkules, „Razverzi pyos gortani“, aus Altsesta bekommt sie nun Gelegenheit für einen rasenden Ausbruch, in welchem sie furchtlos allen Schrecken der Hölle entgegen sieht, während die folgende ausgedehnte Arie der Titelheldin, „Idu na smert“, deren  Todesbereitschaft in getragenem Melos ergreifend ausdrückt. Es sind dies zwei konträre Beiträge, welche das breite Ausdrucksspektrum der Sängern eindrücklich widerspiegeln. Die Arie der Laodice, „O placido il mare“, aus Siroe, re di Persia schließlich belegt, dass der Komponist auch in der italienischen Sprache komponierte – und dies in höchst virtuoser Manier mit eilenden Koloraturläufen, zudem geschmückt mit getippten staccati, was die Bartoli zu einem Feuerwerk der Bravour macht. Das Ensemble I Barocchisti unter Diego Fasolis steuert noch den Marsch aus der Altsesta bei und erweist sich neben der inspirierten, affektreichen  Begleitung der Solistin auch in diesem pompösen Instrumentalbeitrag mit auftrumpfendem Musizieren als Klangkörper von Ausnahmerang.

Von Domenico dall’Oglio und Luigi Madonis stammt eine Arie der Rutenia, „De’ miei figli“, die als Prolog zu Hasses La clemenza di Tito verfasst wurde. Von der Flöte lieblich umspielt, handelt es sich um eine flehentliche Bitte an die Götter, den Schmerz der Mutter und ihrer Kinder zu lindern. Trotz der virtuosen Ausschmückungen wirkt die Szene in Bartolis schlichter Interpretation sehr würdevoll und erhaben. Vincenzo Manfredini ist mit drei Stücken aus seiner Oper Carlo Magno vertreten. Die Arie des Desiderio, „Fra lacci tu mi credi“, nimmt die Atmosphäre der vorangegangenen Komposition zunächst auf, wandelt sich dann aber zu dramatischem Aufbegehren gegen den Tyrannen, was im reizvollen Wechsel der Stimmungen der Solistin reiche Gelegenheit gibt zu Variationen in den Gefühlswelten. Die Arie des Carlo, „Non turbar que’ vaghi rai“, ist ein weiteres Beispiel für die in Ausdruck umgesetzte Virtuosität der Bartoli, die alles bravouröse Zierwerk so selbstverständlich einbindet, dass es den Sinn der menschlichen Szene nicht überdeckt. Den Schluss der Auswahl, die vorher mit der koloraturgespickten Arie der Idalide aus La vergine del sole noch ein Werk von Domenico Cimarosa vorgestellt hatte, bildet der Chor „A noi vivi“ aus dem Carlo Magno, in welchem sich Cecilia Bartoli, die Sopranistin Silvana Bazzoni und der Coro della RSI Radiotelevisione svizzera zu einem festlichen, auf Mozart verweisenden Gesang vereinen. Die CD ist – wie alle Neuerscheinungen mit der italienischen Diva –  prachtvoll ausgestattet und dürfte ein Schmuckstück auf jedem Gabentisch sein.

Bernd Hoppe