Rettungsversuch

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Lange schien es so, als würde sein Wirken für die Firma seines Stiefvaters sein Schaffen als Komponist bei weitem überstrahlen, ist doch Hans Sommer, dem das Musikstudium verwehrt wurde und der stattdessen Mathematik und Physik studieren musste, nicht nur ein Musiker, sondern auch ein Erfinder, der für viele Produkte von Voigtländer verantwortlich ist. Die Firma erfreut sich noch immer eines vorzüglichen Rufs, die Musik von Hans Sommer, der auch mehrere Opern komponierte, ist so gut wie vergessen. Zwar betätigte sich Sommer stets auch als Musiker, dazu noch als Agent und Kritiker, seine Kompositionen wurden von Richard Strauss geschätzt, der seine Oper Lorelei 1892 in Weimar uraufführte, und Bayreuth verdankte ihm eine intensive Förderung, aber zwischen den ersten Liedern und einer Wiederaufnahme der Tätigkeit als Liederkomponist liegen immerhin zwanzig liederlose Jahre, und die 1983 entstandenen ersten Lieder wurden erst 1900 mit einer orchestralen Begleitung versehen.

Unter dem Titel Orchestral Songs sind nun bei Pentatone endlich 22 Lieder erschienen, nur eines davon, nämlich Wanderers Nachtlied II, wurde schon einmal aufgenommen, alle anderen erscheinen zum ersten Mal auf dem Markt und das in durchaus prominenter Besetzung, seien es die Vokalsolisten, sei es das Rundfunk Sinfonieorchester Berlin. Der Einfluss Wagners lässt sich nicht verleugnen, die Stücke atmen durchweg spätromantischen Geist, die Instrumentierung ist raffiniert, das Opernschaffen Sommers lässt sich oft nicht verleugnen, am ehesten noch in den schlicht gehaltenen Lieder der Lorelei, die nun ausgerechnet aus der gleichnamigen Oper stammen. Die letzten fünf Lieder, vier davon stammen aus  dem Zyklus Hunold Singuf, sind für ein Kammerensemble aus Klarinette und Streicher komponiert.

Die meisten Lieder werden vom Bariton Benjamin Appl gesungen, der mit Freisinn beginnt, zunächst etwas verquollen klingt, sich dann in der Höhe freisingt und den Schluss mit Aplomb bewältigt. Auch Sommer vertonte den König von Thule, lässt einen bemerkenswerten Kontrast zwischen dem schlichten Volksliedtext und der aufwändigen Melodieführung sowie dem reichen Orchesterklang feststellen. Besonders gefallen kann der Säger in der Ballade Sir Aethelbert, er kann eine Geschichte aufbauen und zeigt hier besondere Timbrequalitäten. Die beiden Goethe-Wanderlieder werden weniger im Bemühen um das Schaffen einer Gesamtstimmung als in dem um die Herausarbeitung von Einzelheiten gestaltet. Das ist jedoch vom Komponisten so angelegt, beim zweiten Lied fällt der Kontrast zwischen dem schlichten Text und der raffinierten Instrumentierung auf. Ehe der Bariton sich mit den anderen drei Sängern zum Istud Vinum vereint, singt er noch drei Lieder aus Hunold Singuf und das mit viel Sinn gleichermaßen für den schalkhaften, sich volkstümlich gebenden Text wie für die anspruchsvolle Musik.

Die Sopranistin Mojca Erdmann ist mit zwei Liedern auf Goethe-Texte vertreten, hat für Beherzigung II ein schönes Aufblühen der Stimme auf „frei“ und „Götter“ und für die Rastlose Liebe bei mächtig auftrumpfendem Orchester eine auf der Strecke bleibende Diktion.  Der Sängerin sind auch die Lieder der Lorelei anvertraut, ihr Sopran kann im besungenen „Abendgold“ glänzen, schwebt schön über dem Orchester und umgaukelt es und hat für Auf dem Felsen eine sichere Höhe. Anke Vondung erfreut mit einer guten Diktion, mit einer blühenden Mezzostimme und in Mignons Heimath mit viel Sinn für die Kontraste. Von schöner Leichtigkeit und Beschwingtheit kann Im Dorfe blüht die Linde profitieren. Mauro Peter ist der Tenor, der mit schönem Timbre und ausgesprochen textverständlich und mit viel Elan Nachts in der Kajüte aufwertet.

Das RSB unter Guillermo Garcia Calvo tut alles, um Hans Sommer doch noch zu spätem Ruhm zu verhelfen. Rühmenswert ist das gehaltvolle, informationsreiche Booklet (Pentatone PTC 5187 023). Ingrid Wanja