Reizvolle Petitessen.

 

Einen wesentlichen Beitrag zum Liedschaffen des 20. Jahrhunderts hat Erich Wolfgang Korngold nicht geleistet, dazu war seine Beschäftigung mit diesem Genre zu marginal, doch als Ergänzungen oder Fußnoten zu seinen Opern und Filmmusiken sind diese Gelegenheitsarbeiten, die uns Naxos in einer zweiteiligen Edition präsentiert, die auch einige Ersteinspielungen enthält, sehr schätzenswert.

Die Texte für seine Lieder fand Korngold vornehmlich bei den Klassikern Eichendorff und Shakespeare, aber auch bei heute wenig bekannten Zeitgenossen wie der dichtenden Gräfin Eleonore van der Straaten oder dem früh verstorbenen Hans Kaltneker, dessen Roman Die Heilige auch Grundlage seiner Oper Das Wunder der Heliane war. Zu privaten Anlässen griff er gelegentlich selbst zur Feder, schrieb und vertonte etwa kleine Geburtstagsgedichte für seine Mutter.

Sein Vater, der berüchtigte Wiener Musikkritiker Julius Korngold, versuchte ein Wunderkind aus ihm zu machen. Und tatsächlich bewies E.W. schon im Knabenalter erstaunliche handwerkliche Reife bei einer natürlichen Veranlagung im Erfinden von Melodien. „So Gott und Papa will“ sind die Zwölf Lieder op. 5 untertitelt, die der 14jährige auf Gedichte Joseph von Eichendorffs komponierte. Da wird wie selbstverständlich die romantische Tradition des 19. Jahrhunderts fortgeführt, an Schubert, Schumann und Brahms angeknüpft.

Zur musikalischen Avantgarde Wiens hatte Korngold auch späterhin keinen Kontakt und keine Beziehung, auch wenn er in den 20er Jahren vereinzelte harmonische Experimente wagte, ohne dabei die Tonalität aufzugeben und seinen spätromantischen Background zu verleugnen. Die musikalisch anspruchsvollsten Titel sind die vier Lieder des Abschieds op. 14, die nach dem Erfolg der Oper Die tote Stadt entstanden, und die Drei Gesänge op. 18 auf Texte von Hans Kaltneker, die Korngold selbst als „Charakterstudien“ zu seiner folgenden Oper Das Wunder der Heliane bezeichnete, seinem ehrgeizigsten Bühnenwerk.

In den 30er Jahren, als seine amerikanische Filmkarriere beginnt, findet sein Stil zu größerer Einfachheit, schon in den Shakespeare-Gesängen op. 29 (Songs of the Clown, fünf Lieder aus Twelfth Night) und op. 31 (Four Songs aus Othello und As you like it) dominiert ein volksliedhafter Ton, der den Texten sehr gerecht wird. Der Hollywood-Komponist spiegelt sich in dem Filmsong The Constant Nymph op. 33 und den Five Songs op. 38, die anspruchsvolle Lyrik in englischer Übersetzung im Stile eines Broadway Musicals adaptieren.

Die Naxos-Edition (Naxos 8.572027/8.573083) die schon zwischen 2009 und 2012 entstand und deren zweiter Teil erst jetzt herauskommt, widmet sich unter der musikalischen Leitung des ausgewiesenen Korngold-Kenners Klaus Simon mit großem Engagement den reizvollen Petitessen. Die Sänger neigen gelegentlich dazu, sie mit mehr Expressivität aufzuladen als in ihnen steckt, aber das geschieht wohl in bester Absicht. Sowohl die Sopranistin Britta Stallmeister als auch die Mezzosopranistin Sibylle Fischer verfügen über sehr leuchtkräftige Stimmen, allerdings irritiert mich bei beiden die Tendenz, bei den crescendi „auf die Tube“ zu drücken. Einen wunderbar lockeren Ton findet Frau Stallmeister für die Shakespeare-Lieder. Der Bariton Uwe Schenker-Primus ist mit seinem emphatischen Vortrag der geeignete Interpret für die frühen Gesänge op. 5 und op. 9, zeigt aber auch in den anderen Liedern reiches Gestaltungspotential. Aus seinen Beiträgen spricht zugleich die schiere, naive Freude an der eigenen Stimme, und diese Freude ist berechtigt, denn sie verfügt nicht nur über eine satte baritonale Farbe und kann in der Mittellage breit ausschwingen, sondern auch über eine strahlend tenorale Höhe, die der Sänger oft mehr als nötig ausspielt.

Die Texte der gesungenen Lieder kann man sich, wie bei Naxos üblich, aus dem Internet herunterladen (wobei einige Titel aus Urheberrechtsgründen fehlen), die sehr sachkundigen Werkeinführungen von Cornelius Bauer sind im Booklet der ersten Folge merkwürdigerweise nur in der englischen Übersetzung abgedruckt. Informationen zu den vertonten Autoren fehlen völlig. Ekkehard Pluta