Reichtum in der Beschränkung

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Unter strengen (2020) und weniger strengen (2021) Corona-Beschränkungen gab es in Salzburg Konzerte der Wiener Philharmoniker unter Christian Thielemann und unter Mitwirkung von Elīna Garanča, die jeweils einen Liederzyklus beisteuerte. Vervollständigt wurde das Programm in beiden Jahren von einer Bruckner-Sinfonie, 2020 von der Vierten und 2021 von der Siebenten. Eine DVD existiert vom Konzert im Jahre, die Auftritte der Mezzosopranistin liegen nun „Live from Salzburg“ auf einer CD der Deutschen Grammophon vor.

Es ist gar nicht so selten, dass ein CD- oder DVD-Booklet bereits die Kritik zu einer Aufnahme bereitstellt, und so ist es auch in diesem Fall, wo der lettischen  Sängerin bzw. ihrem Vortrag „berückende Dichte“ und „inniger Ausdruck“ bescheinigt werden, wo eher tiefgestapelt wird mit einem „schafft das Orchester die gelungene Basis“ für den Gesang, während es zwischen Werk, Interpretin und Publikum „unmittelbar von Herz zu Herz“ geht.

Dem Hörer können auch andere, nicht verachtenswerte Attribute zu den Darbietungen der Sopranistin einfallen, so die ausgezeichnete Diktion, die vom ersten Wesendonck– bis zum letzten Mahler-Lied beeindruckt, das kostbare Timbre, die feine Agogik wie auf „Engel“ im ersten der Wagner-Lieder, die Fähigkeit, quasi jedes Wort auszudeuten, was manchmal etwas auf Kosten einer einheitlichen Grundstimmung geht. Auch im dramatischeren Stehe still! bleiben die Konturen exakt, im „süßen Vergessen“ kommt die Musik fast zum Stillstand, das Orchester bleibt zurückhaltend, ehe es zum Schluss mehr von der Atmosphäre des Lieds vermittelt als der Gesang zuvor.  In Im Treibhaus fasziniert der zarte Tonabsatz in der Höhe, für die Gesamtstimmung zeigt sich wieder das Orchester verantwortlich, trägt die Stimme wunderbar und beide wetteifern um den Preis für absolute Schönheit am Schluss. Ein strahlendes „Glorie“ hat der Mezzosopran für Schmerzen, einen schönen Jubelton für „O wie dank ich“, und in Träume wirkt der Variationsreichtum des Ausdrucks recht kalkuliert, wenig spontan.

Auch in den 5 Liedern Mahlers nach Gedichten von Rückert ist es die Makellosigkeit des Vortrags, die frappiert, aber nicht unbedingt berührt. Duftig und klar lässt sich die Stimme vernehmen, erst die Begleitung lässt wahrnehmen, dass in Ich atmet‘ mehr steckt als eine Idylle. Selten ist die Textverständlichkeit so anfechtbar wie in Liebst du um Schönheit, aber schön der Jubel auf „immerdar“. Unangefochten hält der Mezzosopran dem Forte in Um Mitternacht stand, der Wandel im Schlüsselbegriff wird zwar auch in der Stimme, stärker noch in der Begleitung spürbar. Von Videoaufnahmen weiß man, wie sehr Christian Thielemann auf die Bedürfnisse seiner Gesangssolisten eingeht, hier meint man es zu hören, zu spüren. Huschend, aber nicht verhuscht klingt Blicke mir nicht in die  Lieder, getragen, aber keineswegs spannungslos Ich bin der Welt abhanden gekommen.

Die CD nötigt Bewunderung für die Schönheit der Stimme, für die perfekte Technik ab, vermag aber weniger zu berühren als der Beitrag des Orchesters, der auch im letzten Track den inneren Reichtum in der Beschränkung hörbar macht (DG 486 1929). Ingrid Wanja