Rarität

 

Nicht nur puren Hörgenuss verspricht und hält die neue CD von Daniel Behle, der bereits zum zweiten Mal Lieder von Richard Strauss eingespielt hat, sondern mit dem vorbildlichen Booklet, das das Label Prospero mit der Signatur 0011 vorstellt, werden auch den Augen und dem Intellekt viel geboten. Bereits der Titel UN-ERHÖRT lässt darüber nachgrübeln, ob es sich um Unverschämtheiten handelt, was das Bild des Eulenspiegel auf dem Cover nahelegt und was der freche Text des Krämerspiegel bestätigt. Es könnte damit aber auch der Block mit Texten von Hafis, dem dauerhaft und wohl un-erhört Schmachtenden gemeint sein. Der Eulenspiegel führt zunächst auf den Irrweg der gleichnamigen sinfonischen Dichtung des Komponisten, ist aber zugleich auch das absolut letzte Wort des absolut letzten Lieds, das wiederum mit dem Krämerspiegel-Zyklus den Spiegel gemeinsam hat. Mit einer kleinen Abwandlung kommt man auch auf ein UN-GEHÖRT, das davon kündet, wie selten die meisten der hier aufgenommenen Lieder zu hören sind, die es erst einer Anregung von Brigitte Fassbaender zu verdanken haben, dass sie der Tenor und sein Klavierpartner Oliver Schnyder 2007 für das Richard-Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen einstudierten und anschließend aufnahmen.

2020 sind die beiden Artikel im Booklet geschrieben worden, in denen der Leser und Hörer im Zusammenhang mit der Geschichte der Malven darüber aufgeklärt wird, dass sich Daniel Behle nicht nur als Sänger betätigt, sondern auch als Komponist mit dem Lied Der Schmetterling in das Programm geschmuggelt hat und in denen, was zum Verständnis des Krämerspiegels mit seinen vielen Anspielungen sehr wichtig ist, über die Entstehung des Zyklus berichtet wird, der als Affront gegenüber Musikverlegern im allgemeinen und dem Verlag Bote&Bock, dem der Komponist noch einen Liedzyklus schuldete, zu sehen ist. So sorgfältig wie die Machart der Texte ist, so gelang auch die Bild- und Fotoauswahl voller Witz und Anzüglichkeit.

Es beginnt mit Winterweihe, und mit dem ersten Ton erfreut der sanfte Tonansatz, der dem Stück eine feine Intimität verleiht, in dem „mild“ und „leise“ tatsächlich so klingen, Apostrophe zur Steigerung der Wirkung auch einmal aufgehoben werden können. Auch Winter-, aber Winterliebe vom selben Autor, dem Expressionisten Henkell, wird in seiner ganz anderen Charakteristik nicht nur erkannt, sondern noch verstärkt. In Demels Waldseligkeit macht sich besonders bemerkbar, wie vom Sänger gleichzeitig einzelne Worte wie „sacht“ (fast verhauchend) „allein“  (mit sehr langem Vokal) oder „dein“ (wie eine Umarmung durch Töne) aus dem Text zwar herausgehoben werden, aber doch stets der Zusammenhang gewahrt bleibt, die Gesamtstimmung durchgehalten wird. Gleichermaßen der Aussage des einzelnen Begriffs verpflichtet wie dem Fluss der Melodie, den Manierismus der einzelnen Lieder noch verstärkend, wird auch das populäre Traum durch die Dämmerung interpretiert. Im flatterhaften Vorspiel und wenn das Piano auch die Stimme quasi flügelschlagend begleitet, imitiert der Sänger den Komponisten mit seinem Der Schmetterling, und in Morgenrot wird der Beweis angetreten, dass auf „Strahl“ auch ein dunkles Glänzen möglich ist, so wie im ersten der Gesänge des Orients nach einem fast unhörbaren „deiner Augen wohnen“ aufbrausend „der Glanz“ zu schönster,strahlender Wirkung kommt. Auch in den folgenden Hafis-Liedern bleibt die Stimme stets schlank, der Eindruck von Volumen erwächst aus dem Agogikreichtum des Singens. Crescendi klingen nie gespreizt (so bei „Lebens“ in Die Allmächtige), ein falsettone lässt den „Himmel“ schwerelos erscheinen, die Höhe kann aber auch wie in Huldigung einer Fanfare gleichen.

Gleich alle denkbaren Musikverleger, nicht nur Bote&Bock, sondern Schott und Breitkopf&Härtel noch dazu bekommen ihr Fett ab als nimmersatte Ausbeuter der Künstler, auf deren Seite unübersehbar Alfred Kerr, Kritiker in der Weimarer Republik und Vater der Rosa-Kaninchen-Besitzerin, steht. Ganz besonders dankbar hat Strauss diesen Zyklus für das Klavier gestaltet, dass er in  Rosenkavalier- und Schicksals-Sinfonie-Anspielungen schwelgen lässt und das eigentlich ein Widerpart zum stets geistreichen, nie schroff beleidigenden Text für den Sänger ist, dem und damit dem Hörer seine beispielhafte Textverständlichkeit zugute kommt, die er mal mit einem schneidenden „Edelmut“ oder einem kontrastreichen Singen zwischen Pathos und Tändelei zu würzen weiß. Mindestens so viel Spaß wie die Künstler bei der Aufnahme (auch die Fotos künden davon) hat also der Hörer mit dieser so ungewöhnlichen wie rundum gelungenen Aufnahme (2020 Prospero 0011). Ingrid Wanja