Zu neuen Ufern!!!

 

Eher wie eine Harpyie als eine Verismo-Heldin präsentiert sich Anna Netrebko mit schwarzem Flügelkleid auf ihrer neuesten CD, die sie gemeinsam mit Antonio Pappano und dem Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia eingespielt hat, aber sie soll mit zackenreicher Krone wohl Turandot  darstellen, die neben Liù und mehr (Butterfly,Tosca) oder weniger (Gioconda, Wally) überaus bekannten Heldinnen der Epoche, leider eben nicht mit den fast vergessenen,  vertreten ist. Wer Anna sagt, muss auch Gatten Yusif meinen, und so kann man den Gatten des Soprans nicht nur als Calaf, sondern auch im vierten Akt von Manon Lescaut hören, der den Abschluss der insgesamt 16 Tracks bildet.

Man kann sich über jede der Darbietungen freuen und sie genießen, ein besonderes Erstaunen aber erzeugt gerade „In questa reggia“, wo der Sopran in schöner Getragenheit beginnt, viel Farbe auch noch in den Extremhöhen zeigt und das Stück eher als melancholischen, reflektierenden Rückblick denn als hasserfüllte Rachearie auffasst, die Stimme immer weich bleibt, unangestrengt klingt und große Bögen zaubert. Ihre Liù klingt deliziös und preziös, wie aus fernen Sphären kommend und nicht mehr so ganz als ihr Fach erkennbar.

Insgesamt vermeiden Sängerin und Dirigent alles, was den Verismo suspekt macht, alles Knallige und Vordergründige, auch Übersentimentale. Adrianas „Umil’ancella“ klingt versonnen geheimnisvoll, frei schwebend zeigt sich die Stimme in der Höhe mit einer Schlussfermate, die eine perfekte Atemkontrolle voraussetzt. Behutsam, aber wirkungsvoll gehen der Sopran und das Orchester mit der Agogik um. Für Maddalenas „Mamma morta“ kann eine stabile, ausdrucksvolle Mittellage eingesetzt werden, die dunkle Farbe wird bis in die Höhe hinaus beibehalten, die Stimme ist wie aus einem Guss ohne jeden Registerbruch. Schön ist der trauervoll verhangene Beginn, ehe es dramatischer wird, aber immer bleibt der Gesang wie selbstverständlich klingende Gefühlsäußerung ohne merkbare Anstrengung. In sanftem Fluss der Stimme auch in der Höhe gibt Butterfly ihre Visionen preis, gut gelingt Neddas dramatisch gestaltetes Rezitativ, während die Arie weniger  gelingt, als wäre der Sopran ihr bereits entwachsen. Von tiefer Empfindung erfüllt, in weit ausschwingenden Bögen erscheint Wallys Abschied, während „L’altra notte“ in der Interpretation Netrebkos zeigt, wieviel Raffinesse neben tiefdunkler Trauer in dieser Musik steckt, und Pappano lässt diese bereits im Vorspiel anklingen.

Machtvoll und zugleich immer geschmeidig bleibend, mit einem Aufbrausen ohne Brüche in der Gesangslinie meditiert Gioconda über ihren „Suicidio“, lässt „la tenebra“ tiefdunkel leuchten. Nach eher damenhafter Gefasstheit vor dem Verzweiflungsschrei am Schluss beteuert Tosca „Vissi d’arte“, wobei hier, aber weniger deutlich ganz generell, die Diktion etwas verwaschen ist.

Das Glanzstück des letzten Akts von Manon Lescaut ist „Sola, perduta, abbandonata“, das Anna Netrebko noch einmal mit einer zu allen Modulierungen fähigen, reifen und wissenden Stimme ohne technische Probleme zeigt, während ihr Partner und Ehemann Yusif Eyvazov über ein durchaus angenehmes, viriles Timbre, einen in der Höhe etwas gepresst klingenden Tenor und im Vergleich mit seiner Partnerin eine weit weniger raffinierte Interpretation zeigt, was natürlich zum Teil auch daran liegt, dass die Komponisten des Verismo die Damen mit weit mehr Möglichkeiten in dieser Hinsicht bedacht haben (DG 479 5015). Ingrid Wanja