Nachschöpfungen

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Glossa veröffentlicht eine weitere CD mit dem italienischen Countertenor Filippo Mineccia (GCD 923534), die im September 2021 im Teatro Municipale von Piacenza aufgenommen wurde. Nach der Orientierung auf das Barock-Repertoire wendet sich der Sänger nun Wolfgang Amadeus Mozart und dessen für Kastraten geschriebenen Arien zu. Die CD mit dem Titel „Mozart Italian Arias“ beginnt mit einer Aria der Betulia, „Parto inerme“, aus dem Oratorium Betulia Liberata, das 1771 als Auftragswerk für Padova komponiert, aber wahrscheinlich zu Lebzeiten des Komponisten nie aufgeführt wurde. Es ist ein sehr bewegtes, pulsierendes Stück, in dem der Sänger die obere und untere Lage attraktiv ausstellen kann. Gelegentlich hat die Stimme einen heulenden Beiklang, der bei seinen Barock-Interpretationen nicht zu bemerken war. Später folgt noch eine weitere Aria der Titelheldin,„Prigionier che fa ritorno“, bei der Mineccias Stimme klangvoll und emotional stark beteiligt ertönt.

Der junge Mozart erhielt noch weitere Aufträge aus Italien – für das Mailänder Teatro Ducale die Oper Mitridate, re di Ponto (1770) und die Serenata Ascanio in Alba (1771). In der Oper waren drei Partien mit Kastraten besetzt, dem berühmtesten, Giuseppe Cicognani, war der Farnace anvertraut. Zwei seiner Arien stellt Mineccia vor: „Già dagli occhi il velo“ und

„Venga pur“. Erstere ist von kantablem Melos und stellt mit anspruchsvollen Verzierungen hohe technische Anforderungen an den Solisten. Die zweite ist das Bravourstück des Programms, in welchem Mineccia sein virtuoses Können zeigen kann. Die Titelrolle des Ascanio komponierte Mozart für den gefeierten Virtuosen Giovanni Manzuoli. Hier erklingt seine Aria „Al mio ben“ in starker emotionaler Beteiligung des Solisten.

Überraschend finden sich in der Anthologie auch Arien anderer Komponisten. Wolfgang Amadeus und Vater Leopold wohnten im Januar 1770 im Teatro dell’Accademia von Verona der Aufführung von Pietro Alessandro Guglielmis Ruggiero bei, in welcher der gefeierte Kastrat Gaetano Guadagni in der Titelrolle reüssierte. Mineccia singt dessen Aria „Nel suo dolor ristretto“ und bietet damit eine der Weltpremieren des Programms. Sie fordert dem Interpreten gewagte Registerwechsel ab, denen sich der Sänger furchtlos stellt. Guadagni wirkte auch in Wien bei Glucks Orpheus und Eurydike mit. Der Counter wählte für sein Recital aber ein anderes Werk dieses Komponisten, Le feste d’Apollo, und daraus die Aria des Aristeo, „Numi offesi“. Der Interpret dieser Partie bei der Uraufführung 1769 in Parma war der Kastrat Vincenzo Caselli, den Mozart 1770 in Mantova in Hasses Demetrio hörte. Die Arie ist getragen und wird von Mineccia empfindsam wiedergegeben.

Das Arien-Programm wird komplettiert mit der des Tobia Padre, „Quando il vaso in colmo“ aus Mysliveceks Oratorium Il Tobia, das 1769 in Padova seine Premiere erlebte. Mozart schätzte diesen  Komponisten wegen seines raffinierten Stils, wovon die ausgewählte Nummer zeugt. Mineccias Stimme klingt hier sanft und eindringlich.

Den Sänger begleitet das Orchestra Farnesiana unter Leitung von Luca Oberti, das mit Mozarts Sinfonia in G-Dur  KV 74 (Mailand, 1771) auch in einem wirkungsvollen orchestralen Beitrag zu hören ist (21.10.22). Bernd Hoppe