Eine Neuerscheinung bei Decca mit Lise Davidsen weckt mit Wagner & Strauss das Interesse der Musikfreunde, ist die junge norwegische Sopranistin doch in diesem Sommer auf dem Grünen Hügel in Bayreuth im neuen Tannhäuser als Elisabeth besetzt. Die beiden Soli der Partie bilden dann auch den Auftakt dieses Recitals, bei dem die Solistin vom Philharmonia Orchestra unter Esa-Pekka Salonen begleitet wird (483 4883). Sogleich die Hallenarie erweckt den Eindruck, dass die stählern und robust klingende Stimme für diese Rolle weniger geeignet scheint. Ihr fehlen Innigkeit, Keuschheit und das Leuchten in der Höhe. Störend vor allem ist der steife Tonansatz, besonders in der oberen Lage. Mit dem Gebet kann die Sopranistin mehr überzeugen, es ist von grüblerischer Stimmung und wird getragen von langen Bögen.
Die Auswahl von Kompositionen Wagners beschränkt sich auf diese beiden Titel, der Rest ist Richard Strauss vorbehalten. Da findet sich allerdings mit dem Monolog der Ariadne, welche Davidsen bereits an der Wiener Staatsoper und in Glyndebourne interpretiert hat, nur ein Opernausschnitt. Bei „Es gibt ein Reich“ hört man gleichfalls unangenehm bohrende Töne in der exponierten Region. Gut bewältigt wird der ekstatische Aufschwung am Schluss der Szene.
Der größte Teil des Programms ist Liedern von Strauss gewidmet, darunter die „Vier letzten Lieder“ sowie „Malven“ – das allerletzte Lied des Meisters. Es wurde 2012 von Wolfgang Rihm orchestriert, erinnert im Tonfall an Capriccio und liegt der Interpretin mit den zarten Gespinsten besonders.
Bei den „Vier Liedern“ op. 27 überzeugt „Ruhe, meine Seele!“ anfangs durch die stark zurückgenommene Stimme, bis sich später ein herbes Vibrato breit macht. Darunter leidet auch „Cäcilie“, während bei der „Heimlichen Aufforderung“ (orchestriert von Robert Heger) wie markiert klingende Passagen irritieren. Ganz entrückt und mit reduziertem Stimmeinsatz interpretiert Davidsen „Morgen!“, bei dem der Sologeiger des Orchesters Zsolt-Tihamer Visontay delikateste Klänge zaubert. Fein gesponnen und in träumerische Stimmung getaucht wird das „Wiegenlied“.
Dem Auftakt der „Vier letzten Lieder“, „Frühling“, fehlt der Duft dieser Jahreszeit. In der oberen Lage klingt der Sopran grell, der schon mehrfach erfolgte Vergleich von Lise Davidsen mit ihrer norwegischen Landsfrau Kirsten Flagstad, die diese Gesänge 1950 in der Londoner Royal Albert Hall uraufgeführt hatte, erschließt sich mir nicht. Dass traumversunkene Schweben von „September“ wird gut eingefangen, im Nachspiel lässt der Solo-Hornist Nigel Black wunderbare Töne hören. „Beim Schlafengehen“ – wieder mit einem atmosphärischen Violinsolo von Visontay – demonstriert eindrücklich das Volumen und die Atemreserven der Sängerin. Der Schluss, „Im Abendrot“, zeigt die Stimme in schönem Fluss und delikaten piano-Momenten, besitzt auch die gebührende Stimmung des Abschieds und der Weltverlorenheit.
Insgesamt ist der Liedzyklus, der sich freilich gegen eine Vielzahl von legendären Interpretationen behaupten muss, der überzeugendste Teil der Platte. Daran hat das Philharmonia Orchestra großen Anteil, das die Sängerin einfühlsam begleitet und mit gleichermaßen rauschhafter Üppigkeit wie sublimsten Nuancen aufwartet. Bernd Hoppe
Eine andere Meinung: Dass andere Ohren anders hören, zeigt sich einmal mehr auch bei diesen Neueinspielungen, die ja die Visitenkarte von Lise Davidsen (Lise Davidsen singt Wagner & Strauss) für Bayreuth und den internationalen Markt sein soll – und da weiche ich doch mit meiner Beurteilung von der meines geschätzten Kollegen recht ab. Ich finde die neue CD nicht gut produziert und das Programm abenteuerlich für eine erste Aufnahme bei einer Weltfirma. Da mischt sich ein bisschen Wagner-Arien mit Liedern von Strauss nebst wiederum ein bisschen Arie von demselben. – es hätte nur noch der Monolog der Marschallin gefehlt. Ein musikalischer Gemüseladen.
Abgesehen von der fragwürdigen Zusammenstellung passt die Stimme zu einigem mehr und zu anderem nicht. Mir ist der Sopran in der Höhe zu gleißend, in der Tiefe scheint er mir ein wenig stumpf, und mir (mir allein und es ist ja auch nur meine Meinung angesichts der Hymnen vielerorts) will die Registeranbindung nicht immer wirklich gelungen scheinen. Die Farbe wechselt mir zudem zu oft innerhalb des Vortrags (Vier letzte Lieder namentlich, die der starken Konkurrenz nicht standhalten, nicht wirklich Eigenes bieten), und die Stimme selbst bleibt für mich im Timbre grau. Auf der Habenseite stehen die Fülle des Organs, die Kraft, die gewisse Vehemenz einer gut gelernten kommenden Brünnhilde oder Elektra (in der Ferne). Beeindruckend ist der Stimmumfang auch in der Ariadne-Arie, auch die Kraft, die Felsen bewegt, aber charmant ist sie nicht, ohne nennenswerte Persönlichkeit. Zumal – die ganz starke Kritik an der Sängerin auf dieser CD – die Diktion auch hier und stärker noch in den Strauss-Liedern mir viel zu verwaschen ist. Für eine Europäerin singt sie doch sehr sprachentfernt, zu viele Vokale und zu wenige (End-)Konsonanten. Lieder wollen erzählt werden, bringen eine Message herüber, beruhen oft auf Literatur – das alles ahnt man hier nicht. Mit der Hallenarie kann ich leben, aber man hat sie auch erfüllter, fraulicher, liebenswürdiger erlebt. Und wer „Ruhe meine Seele“ hören möchte, sollte sich Elisabeth Schwarzkopf unter George Szell vornehmen: Da ruht die Seele und schweigt.
Merkwürdig distanziert ist das Orchester unter Esa-Pekka Salonen, der seiner attraktiven Solistin nicht wirklich hilft. Man hat den Eindruck, beide bewegten sich in getrennten Welten – sie wird doch nicht wie einst Domingo – auf ein Band gesungen haben? Sicher nicht. In summa: für mich enttäuschend nach dem beginnenden Hype um diese newcomerin, die nun Bayreuth aufmischen soll. Decca hat ein gezieltes Marketing gelandet. Man hofft, die junge Sängerin erfüllt nach dieser Visitenkarte die Erwartungen (Foto Decca). Stefan Lauter