In Italien werden seine Opern gelegentlich noch gespielt, im übrigen Europa ist wenigstens seine Römische Trilogie noch immer fester Bestandteil des Konzertrepertoires. Was für ein vielseitiger und eigenartiger Liedschöpfer Ottorino Respighi (1879-1936) war, haben jetzt der Tenor Ian Bostridge und die Pianistin Saskia Giorgini in einer mustergültigen Interpretation beim Label Pentatone unter Beweis gestellt.
Mit den teilweise zur selben Zeit entstandenen Romanzen eines Francesco Paolo Tosti und den Gelegenheitsarbeiten von Puccini, Leoncavallo und Mascagni haben seine als „liriche“ bezeichneten Lieder nicht viel gemein. Sie stellen hohe literarische Ansprüche und ihre Besonderheit liegt nach Auffassung der Pianistin Giorgini in der völligen Verschmelzung von Dichtung und Musik. Dabei ist die Auswahl der Texte ein Spiegel der literarischen Strömungen des Fin de siècle und des frühen 20. Jahrhunderts. Gabriele d’Annunzio, der Dichterheros seiner Generation, steht da obenan, aber auch hier weniger bekannte Autoren wie die Lyrikerin Ada Negri, der dem Jugendstil nahe stehende Antonio Rubino, der sich später vor allem als Illustrator einen Namen machte, oder der französische Symbolist Jean Moréas kommen zum Zuge.
Die meisten Gedichte kreisen um das Thema Mensch und Natur, die oft eine mythologische Überhöhung erfährt, in Deità silvane (Waldgottheiten, 1917) etwa befinden wir uns unter Faunen und Nymphen. Titel wie Nebbie und Pioggia oder Notte und La sera beschreiben in erster Linie Seelenzustände.
Respighi war, das zeigt sich in dieser Liedersammlung noch mehr als in seinen Opern und Orchesterstücken, ein literarisch und musikalisch umfassend gebildeter Komponist, ein Eklektiker im besten Sinne des Wortes, der seine Vorbilder nicht leugnet, dabei aber zu einem eigenständigen Stil findet. Vor allem die frühen Arbeiten, darunter das Klavierstück Notturno, zeigen Einflüsse von Debussy und den französischen Impressionisten, andererseits hat auch Wagners Tristan Spuren hinterlassen. Ob er eher den Traditionalisten als den Avantgardisten zuzurechnen ist, lässt sich schwer entscheiden. Die italienische Musikwissenschaft zählt ihn neben Casella, Malipiero und Pizzetti zur „generazione dell’ottanta“ (der Generation der 80er Jahre), die in strikter Abkehr von Puccini und den Veristen einen Neo-Klassizismus kultivierte, dabei aber harmonischen Experimenten nicht abgeneigt war. Anders als etwa Alfredo Casella, der mit der 12-Ton-Technik spielte, hat Respighi die Tonalität aber nicht aufgegeben, seine Spielart der Modernität ist in der Nähe von Prokofjew anzusiedeln.
Sein besonderes Interesse galt von Anfang an dem Volkslied, das deshalb auch den starken Abschluß des Albums bildet. Die Beschäftigung damit umspannt ein Vierteljahrhundert, von der mittelitalienischen Stornellatrice (1906) bis zum Gesang aus den Abruzzen La furtanella (1930). Doch der polyglotte, weitgereiste Komponist wurde auch im Ausland fündig. 4 Scottish Songs (1924) zeigen seine Kunst der Aneignung. Das populäre Lied My heart’s in the Highlands gewinnt in der kunstvollen, aber nicht gekünstelten klavieristischen Ummantelung einen zusätzlichen Reiz.
Respighi zeigt sich in allen Liedern als Erzähler und Maler in einem und Saskia Giorgini bringt diese Qualitäten in ihrem im Wortsinne zauberhaften Vortrag optimal zur Geltung. Man atmet beim Zuhören die Gerüche der mythischen Welten förmlich ein. Und Ian Bostridge, dessen Schubert-Interpretationen ich immer mit etwas distanzierter Bewunderung gegenüberstand, offenbart hier eine vokale Farbpalette, die ich ihm nicht zugetraut hätte. Da ist nicht nur die helle, etwas ephebenhafte Klangfarbe, die in arkadische Gefilde entführt, sondern auch eine kernig-virile baritonale Grundierung zu bewundern, und – wie bei diesem Sänger gewohnt – eine markante Durchdringung der Texte. Und immer wirkt er idiomatisch, vor allem in den grandios gestalteten schottischen Volksliedern, aber auch in den italienischen Pendants in regionalen Dialekten (Sardinien, Abruzzen). Klavier und Stimme verschmelzen, ganz im Sinne des Komponisten, überall zu einer Einheit. Deshalb meine vorbehaltlose Empfehlung (Pentatone PTC 5186 872). Ekkehard Pluta