Dass Hermann Levi in Bayreuth die Uraufführung des „Parsifal“ dirigiert hat und trotz Wagners antisemitischer Vorbehalte ein treuer Sachwalter seiner Werke war und blieb, ist unter Opernfreunden weitgehend bekannt. Dass er von Mozarts drei da-Ponte-Opern gute deutsche Übersetzungen geschaffen hat, wissen dagegen nur diejenigen, die noch die Zeit erlebt haben, als diese Werke bei uns in der Landessprache gespielt wurden. Und dass er auch komponiert hat, erfahre zumindest ich aus Anlass der vorliegenden Veröffentlichung seiner Lieder zum ersten Mal.
In Karlsruhe, wo er seit 1864 als Musikdirektor am Großherzoglichen Hoftheater tätig war, lernte er den von ihm hoch verehrten Johannes Brahms kennen, mit dem er sich bald anfreundete und dessen Werke er regelmäßig (und in einigen Fällen, etwa Alt-Rhapsodie, ur-) aufführte. Umso härter traf es ihn, dass ausgerechnet Brahms ihm den Rat gab, mit dem Komponieren aufzuhören. Er soll daraufhin alle seine Manuskripte vernichtet haben, nur die wenigen im Druck erschienenen Werke sind erhalten geblieben. Darunter die Sechs Lieder op. 2, die er 1861 mit 22 Jahren geschrieben hatte. Sie lassen ein außergewöhnliches Talent erkennen. Von einiger Erfindungsfrische im Melodischen, dringen sie tief in die vertonten Dichtungen Heines, Eichendorffs und Chamissos ein und verweisen in der Klavierbegleitung eindrucksvoll auf die ruhmvolle Vergangenheit Levis als pianistisches Wunderkind. Vor allem die Lieder Die Glocken läuten das Ostern ein (Text: Adolf Böttger) und Eichendorffs Der letzte Gruß, das dem Album den Titel gibt, prägen sich schon beim ersten Hören nachdrücklich ein und könnten auch im heutigen Repertoire heimisch werden.
Kaum weniger profiliert erscheinen Shakespeares Narrenlied Komm herbei, Tod (aus Was ihr wollt) und die drei Vertonungen von Goethe-Gedichten: Wanderers Nachtlied, das ungemein spritzige Frühling übers Jahr und Dämm’rung senkte sich von oben. Hier wird Levis Version die Bearbeitung desselben Textes von Johannes Brahms gegenübergestellt, was im Falle eines kritischen Vergleichs nach meiner Auffassung zu einem Unentschieden führen würde. Wie überhaupt die das Album ergänzenden Kompositionen von Brahms, Schumann und Heinrich von Herzogenberg verdeutlichen, welchen Rang Levi unter diesen hätte einnehmen können, wenn er weitergemacht hätte. Sozusagen als Bonus schließen die Kollektion vier Lieder des französischen Zeitgenossen Henri Duparc ab, der mit Levi das Schicksal teilt, einen großen Teil seiner Arbeiten vernichtet zu haben. Dass er, im Banne Wagners, auch Musikdramen schreiben wollte und dann resignierend aufgab, spürt man an den dramatisch aufgewühlten Stücken Phidylé und La vague et la cloche, die deutlich vom Charakter der „mélodies“ abrücken, der das französische Liedschaffen dieser Zeit prägte.
Der Sänger René Perler und der Pianist Edward Rushton sind nicht nur für die Initiative zu loben, Levis kleine Liedperlen wieder ans Licht gebracht zu haben, sondern auch für ihre ernsthafte und eindringliche Interpretation. Auf dem Cover ist Perler als Bassbariton ausgewiesen und er hat auf der Bühne Basspartien wie die Dr. Bartolos von Mozart und Rossini und Puccinis Colline gesungen. Die Stimme, die er hier hören lässt, ist allerdings ein schlanker Bariton von tenoralem Gepräge mit sicherer Höhe, mehr charaktervoll als lyrisch, nach meinem Geschmack eine ideale Beckmesser-Stimme. Seine Diktion ist sehr ausgestellt, mit offenen Vokalen und einer Tendenz, die Töne anschwellen zu lassen, die fast etwas Zeigestockartiges hat. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber man muß anerkennen, dass Perlers Stimme und Vortrag unverwechselbar sind, und das kann man heutzutage nicht mehr von allzu vielen Sängern behaupten. Edward Rushtons Klavierbegleitung ist imaginativ und insbesondere bei Levi brillant. In summa: eine warme Empfehlung für diese originelle Publikation. (Prospero PROSP 0018) Ekkehard Pluta