Lieber der erste in Australien als der zweite in Irland oder auf dem Kontinent. Das dachte sich womöglich William Vincent Wallace (1812-65), dem man Down Under 1835 als erstem einigermaßen bedeutenden Komponisten, Geiger und Pianisten den roten Teppich ausrollte und ihn als „Australian Paganini“ feierte. In Sydney gründete er die erste Musikschule des Kontinents. Schon drei Jahre später trieben Wallace, von dem es heißt, er betrat Gegenden, in die zuvor kein anderer Ire einen Fuß gesetzt hatte, Reise- und Abenteuerlust oder die Trennung von der Familie nach Südamerika, wo er in Mexiko-City als Maestro eine italienische Stagione leitete, dann nach New York, Deutschland, die Niederlande und zuletzt heimwärts nach London, wo er die Woge des Erfolgs, auf der sein irischer Landsmann Michael William Balfe mit seinem Bohemien Girl segelte, ausnützte und 1845 seine Oper Maritana herausbrachte, die bis ins 20. Jahrhundert in England regelmäßig aufgeführt wurde. Es folgte eine Handvoll weiterer Opern, darunter 1859 die Loreley-Oper Lurline. die 2010 Richard Bonynge aufführte (und Naxos veröffentlichte). Die Songs von Wallace müssen ihm von Jugend auf vertraut gewesen sein. Was lag näher, als einige davon mit der Lurline Sally Silver aufzunehmen. Die gebürtige Südafrikanerin hat sich durch das gesamte Repertoire gesungen, das das 19. Jahrhundert für Koloratursopran von Lucia bis zur Violetta bereithält, ich erinnere mich an ihre Marguerite de Valois in Metz, dazu einige modernen Partituren.
20 Songs haben Bonynge und Silver ausgewählt, die sich wesentlich von den phlegmatischen viktorianischen Balladen unterscheiden. Viele sind ausgesprochene Bravourstücke. Sie zeigen, dass Wallace für einige der ersten Sänger der Zeit komponierte, wie die romanza espanola „The gipsy Maid“ für Jenny Lind. Andere stammen aus seinen Opern, wie das Beispiel aus The Desert Flower, das auch Donizettis Amina singen könnte, oder die Ballade „Bird of the Wild Wing“ (aus Matilda of Hungary). Nahezu alle dieser Lieder sind ausgesprochen ansprechend und reizvoll – die Barcarolle für zwei Frauenstimmen „Over the Silvery Lake“, die beiden Canzonetten aus dem Zyklus The Seasons oder die opernhafte Tyrolien „Good Night and Pleasant Dreams“. Man wünscht sich, dass Bonynge früher auf die Idee gekommen wäre und La Stupenda bei diesen Songs am Klavier begleitet hätte. Aber Sally Silver singt die Stücke auf der 2011 entstandenen Aufnahme (Somm CD 0131) so leicht und gefällig, wie sie geschrieben sind, dabei ausreichend virtuos und delikat im Ausdruck. Rolf Fath