So richtig entfaltet sich der Duft der Linde noch nicht, doch bei „Dich lieb ich immerdar“ nimmt die Stimme im zweiten der Rückert-Lieder „Liebst Du um Schönheit“ einen magischen Schimmer an. Auf ihrem ersten Solo-Recital singt der Met-Liebling (Jezibaba, Giovanna Seymour, Adalgisa) Jamie Barton, Gewinnerin des Haupt- und Liedpreises 2013 bei der BBC Cardiff Singer of the World Competition und weiterer Preise, darunter des Tucker–Wettbewerbs 2015, Mahler, Dvořák und Sibelius, also eine klassische Auswahl mit den Rückert-Liedern und dem Ciganské melodie im Mittelpunkt. Man mag nicht kleinlich sein angesichts einer solch majestätischen Stimme und des würdevollen Singens, denn Barton legt mit All who wander fraglos ein bemerkenswertes CD-Debüt vor (Delos DE 3494). Die langsam-breiten Passagen liegen ihr besser als die hurtige Raffinesse, bei „Herr über Tod und Leben, Du hältst die Wacht um Mitternacht“, der letzten Zeile in „Um Mitternacht“, entfaltet die weiche Textur ihres Mezzosoprans eine kernige Strahlkraft, demonstriert sie eine stupende Atemführung und volle Tiefe, schöpft mühelos aus der Fülle ihrer üppigen Stimme, verfügt in „In meinem Lieben, in meinem Lied“ (in „Ich bin der Welt abhanden gekommen“) zudem über eine bemerkenswerte Zartheit, die man ihr nicht zugetraut hätte. Ein bisschen mag man an die ebenfalls aus Georgia stammende Jessye Norman denken. Nahtlos folgen drei Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit, darunter „Ich ging mit Lust“, das sie mit Ansätzen von Eleganz und sorgfältiger Textausgestaltung singt, der satte Klang und der noble Vortrag wirken gleichwohl oft ein bisschen gesetzt, um nicht zu sagen matronenhaft. Barton trifft den melancholischen Touch der Dvořák-Lieder, darunter das bekannte „Als die alte Mutter“ (Barton singt, man merkt es nicht auf Anhieb, natürlich tschechisch, wie auch die Sibelius-Lieder im originalen schwedisch erklingen), aber auch die feurige Enflammiertheit von letzten drei Lieder, wo Brian Zeger, wie auch in den sechs Sibelius-Liedern, seine pianistische Bravour und Individualität beweisen kann. Barton bietet für die Sibelius-Lieder ihre reiche Ausdruckskraft auf, ihre Fähigkeit, Stimmungen und nach innen gekehrte Momente auszumalen und festzuhalten. Sie greift weit aus, wobei die Stimme ein klein wenig an Farbe verliert und in der Tiefe auch mal ein wenig plump klingt, und setzt mit dem bekannten Var det en dröm einen wunderbaren Schlussakzent. Viel zu schnell sind die 60 Minuten vorbei.
Nanu! Ist das Simone Kermes? Die wilde, rote Lockenmasse würde stimmen. Es handelt sich allerdings um Laura Claycomb. Die Koloratursopranistin aus Texas ist schon gut zehn Jahre länger im Geschäft als ihre Kollegin Barton und machte als Giulietta, Gilda, Lucia, Zerbinetta und Cleopatra Karriere. Diesmal öffnet sie ihr Herz ihrem Gitarristen Marc Teicholz und nahm ein Programm mit Liedern für Sopran und Gitarre auf (Open your heart) – nicht alles Originalkompositionen wie die beiden Villa-Lobos-Lieder Modinha und Aria aus den Bachianas Brasileiras, die vier französischen Lieder des Kodály-Schülers Mátyás Seiber und sechs des ursprünglich für Tenor geschriebenen Zyklus Anon in Love von William Walton – sondern wie Debussy, Blitzstein und de Fallas Siete canciones Bearbeitungen. Open your heart ist sowohl der Titel eines Lieds von Marc Blitzstein wie der Aufnahme (Delos 3483), „not just to love, but to the possibilities the world has to offer in live and friendship“. Claycomb singt mit Geschmack und Stilsicherheit, hat Temperament und Elan, etwa im abschließenden bolerohaften Ouvre ton coeur von Bizet, verfügt in den de Falla-Liedern über ein rauchiges Timbre, das sich in den witzig- charmanten und manchmal drollig-naiven Liedern von Seiber nach volkstümlichen Gedichten glücklicherweise verliert. Dennoch zeigt die Stimme, die Aufnahme stammt bereits aus dem Jahr 2006, trotz aller zarten Schönheit, etwa in der Aria von Villa-Lobos, bereits eine fragile Angegriffenheit, die in den Walton-Bearbeitungen von Gedichten aus dem 16. und 17. Jahrhundert wie weggewischt ist; im elisabethanischen Duktus dieser Lieder kann Teicholz sein Gitarrenspiel besonders zur Geltung bringen.
Mit Il bel sogno lässt Carolina López Moreno einen Versuchsballon steigen (ARS 38 754), denn weder die Magda, deren „Chi il bel sogno di Doretta“ der Titel zitiert – wie denn „all die schönen Träume, die in jedem von uns schlummern“ – noch Louise, Liù, Violetta, Juliette und Ilia hat die aus einer albanisch-bolivianischen Familie stammende, in Stuttgart u.a. von Francisco Araiza und Ulrike Sonntag ausgebildete Sopranistin auf der Bühne gesungen. Das merkt man der vorsichtig tastenden Herangehensweise und den unausgereiften Interpretationen an, was dann gelegentlich auch etwas langweilig („Depuis le jour“) und flach gerät („Addio del passato“), die Magda und Ilia stechen da vorteilhaft heraus und zeigen das Potenzial, und die Begleitung durch die tüchtige Pianistin Doriana Tchakarova ebnet ihr auch nicht den Weg durch das fordernde Repertoire. Eine Orchesterbegleitung wäre in vielen Fällen gefälliger gewesen. Mit Freude registriert man, dass López Moreno auch Arien ausgewählt hat, die auf Recitals nicht gar so häufig vertreten sind, neben Ellen Orfords Stickerei-Arie, vor allem die letzte Arie der Blanche aus Previns A Streetcar named desire „I can smell the sea air“, und als gelungenste Interpretationen das Vilja-Lied sowie das reizvolle „Du sollst der Kaiser meiner Seele sein“ aus der Robert Stolz-Operette Die Favoritin. Rolf Fath