An neuen aAufnahmen der Mélodies von Claude Debussy besteht kein dringender Bedarf. Trotzdem hat sich die britische Sopranistin Lorna Windsor im Januar und Februar in Perugia daran gemacht, eine beträchtliche Auswahl aufzunehmen (Brillant Classics 95741). Hundert Minuten lang durchschreitet sie auf zwei CDs Debussys Liedschaffen, angefangen von der Nuit d’étoiles bis zu Noël des enfants qui n’ont plus de maison, von Debussys ersten Lied bis zu seinem letzten. Dazwischen Lieder aus dem Album für Madame Vasnier, Beispiele aus den Fêtes galantes, den Chansons de Bilitis, den Ariettes oubliées auf Texte Verlaines mit den reizenden Green und Spleen, die Trois poèmes de Stéphane Mallarmé. Leider kann die Sopranistin ein gewisses Gleichmaß des Ausdrucks nicht überspielen und bleibt bei aller vorsichtigen Annäherung manchmal zu allgemein und wenig distinktiv im Klang, dagegen nimmt ihr feinsinniger Begleiter Antonio Ballista immer wieder durch nuancierten und visionären Ton gefangen und seine Fähigkeit, die Chansons aus der Dichtung entstehen zu lassen. Glücklicherweise kommt wenige Tage nach diesem eher frustrierenden Höreindruck eine andere Einspielung der Debussy-Lieder ins Haus, neben der Lorna Windsor eindeutig das Nachsehen hat.
Ebenfalls auf zwei CDs singen Sophie Karthäuser und Stéphane Degout rund 40 Lieder Debussys, zwischen denen einige wenige Klavierstücke eingestreut sind, sie begleitet von Eugene Asti, er von Alain Palnès (HMM 902306.07). Schöne Ausstattung, Beiheft mit sämtlichen Liedtexten. Die belgische Sopranistin Sophie Karthäuser singt gleich die Nacht der Sterne, Nuit d’étoiles, auf einen Text von Théodore de Banville mit der auch diese Edition beginnt, mit einer magischen Klarheit, klanglichen Brillanz und Schönheit. In der Folge fallen ihr drei Lieder der Fêtes galantes zu, darunter das berühmte Clair de lune, die Chansons de Bilitis, und die unter dem Eindruck der Bayreuth-Besuche 1888 und 1889 entstandenen Cinq Poèmes de Charles Baudelaire, wobei die spontan wirkende Natürlichkeit, die Durchdringung und die Leichtigkeit der Sopranistin überwältigen, die diese Liebeserinnerung innig, aber unverkitscht singt. Schwer, fast düster, in der grobkörnigen Lasur durchaus elegant singt Stéphane Degout die Trois Mélodies nach Paul Verlaine, und es ist sofort klar, dass die Zuteilung der Lieder nur so sein kann. Degouts schwermütig dunkler Klang, sein wuchtiges Agieren ist wie gemacht für die Trois chansons de France, Trois Ballades de François Villon, Trois Poèmes de Stéphane Mallamé und die Le Promenoir des deux Amants. Manchmal wirkt Degouts Wucht fast zu überstark, doch dann ist er, wie in den Trois Chansons de France. zu leuchtender Sanftheit fähig. Die beiden ausgezeichneten Sänger lassen diese Auswahl zu einem Erlebnis werden, wie sie Silben ausdeuten, dem Text eine Bedeutung geben, klang- und wortsensibel agieren ist von sublimem, manchmal sinnlichem Reiz.
Die Aufnahmen entstanden Ende 2017 und Anfang 2018 in Berlin, wo Sophie Karthäuser bereits im Jahr zuvor, ebenfalls mit Eugene Asti, Le Bal des Animaux aufgenommen hatte, wofür sich harmonia mundi (902260) eine besonders hübsche Ausstattung hat einfallen lassen. Wen finden wir da nicht alles auf diesem „Ball der Tiere“, Ravels Pfau stolziert zwischen Lalos Nachtigallen, Faurés Schmetterling flattert zwischen Chabriers kleinen Enten und Zikaden, Hahns Nachtigall, Chaussons Kolibri, dem kleinen Vögelchen der Viardot und den Marienkäfer Bizets, und Poulenc entlässt gleich eine ganze Menagerie vom Dromedar und der tibetische Ziege bis zur Maus, dem Grashüpfer und dem Floh auf diese Wiese. Dieses musikalische Bestiarium ist eine rein französische Angelegenheit, inklusive der Zugereiste und Offenbach und Rossini als Franzosen ehrenhalber, wobei man inzwischen festgestellt hat, dass Rossini gar nicht der Autor des Duetto buffo di due gatti ist. Karthäuser singt wieder mit Charme und der Kunst der Anverwandlung. Und es gelingt ihr fast immer, jedem dieser oftmals sehr rasch vorbeifliegenden oder hüpfenden Tiere ein Bild zu geben. Kurze Impressionen, Salonpiècen, Charakterstücke und Romanzen wechseln sich ab, darunter das Katzenduett Rossinis – gemeinsam mit Dominique Visse höchst charaktervoll gemiaut – Offenbachs frühe Vertonung einer Fabel von Jean de la Fontaine Le Corbeau et le Renard, die bereits spätere Comique-Couplets ankündigt, Bizets raffinierten Walzer La Coccinelle und Faurés Strophenlied op. 1 Le Papillon et la Fleur. Rolf Fath