Zuerst: Das Blatt, welches diesen CDs beigeben ist, damit sie nicht ganz schmucklos im Regal stehen, ist eine Unverschämtheit. Die „Cavalvcade of English Singers“ (bei Dutton) hätte es zweifellos verdient, außer mit einer klein gequetschten Titelei auf der Rückseite mit einer Handvoll biografischer Notizen vorgestellt zu werden. Die beiden CDs versammeln einige englische Sänger aus einer Zeit, als Kavalkaden, Reiterzüge, ein gewohnter Anblick waren. Ihren Landsleuten ähnlich vertraut waren diese Sänger , die uns in den um 1930 entstandenen Ausnahmen eine Ahnung vom Oratoriengesang auf der Insel geben. Darunter Walter Widdop (11892-1949), der zwischen 1925 und 30 einige Titel von Händel aufnahm – Acis and Galatea, Jephta – mit einer teils schwer erträglichen weinerlichen, blechern durchdringenden und wenig einschmeichelnden Stimme, aber auch („Deeper and Deeper“ aus Jephta) schiere Kraft und vokales Stehvermögen, dazu erstaunliche Beweglichkeit und Zartheit beweist, was ihn in seiner Heimat zu einem geschätzten Heldentenor und bis heute idolisierten Sänger werden ließ. Etwas altmodisch wirkt heute der gestelzte Vortrag des Bassisten Trevor Anthony in einer Nachkriegsaufnahme von „Revenge! Timotheus cries“ aus Alexander’s Feast, schwer erträglich auch der schwerfällig-schwermütige Vortrag des mit einem üppigen Bass auffahrenden Norman Allin. Hübschen, kleinformatig festen und reinen Sopranklang bieten die als Oratoriensängerin fast institutionalisierte Isobel Baillie (1895-1983) 1941 in The Blesses Virgin’s Expostulatin und die gleichaltrige Dora Labette (1898-1984), welche als Lisa Perli an Covent Garden im italienischen Repertoire fremdging, mit zwei Arien von Haydn und Bishop. Eine Kategorie für sich ist Clara Butt. Der Unbefangene könnte hinter manchen Tönen dieser (zu) späten Aufnahmen eine Travestie vermuten: „He shall feed his flock“ aus Messiah und „O rest in the Lord“ aus Elijah. Dame Clara erklimmt Sopranhöhen, steigt in gruselige Basstiefen und bietet einen unerschrockenen Gesang zwischen nobler Ausstrahlung und Rotkäppchens Großmutter. Clara Butt war eine nationales Monument, der klingende Ausdruck der postviktorianischen Ära, sie wirkte Gutes im Ersten Weltkrieg, wurde dafür geadelt, erkrankte späte schwer und absolvierte ihre späten Aufnahmen im Rollstuhl. Nach so viel Oratoriengesang sind die von der piepsigen, technisch gut ausgerüsteten Evelyn Scotney abschießend gesungenen Arien der Donna Anna und Elvira („Mi tradi“ und „Non mi dir“) nicht das, was man erhoffte.
Und weiter stürmt die Reiterschar auf der zweiten Ausgabe, wo wir einigen zentralen Sängern jener Epoche begegnen, wie dem lyrisch leichten Heddle Nash (1894-1961) und dem ebenfalls lyrischen, heute vor als Lehrer von Jussi Björling bekannten Joseph Hislop (1884-1977). Doch zuerst stellt uns abermals Norman Allin (als Sarastro) eine Geduldsprobe, während Frank Mulligans packend, kraftvoll und ausladend aus Gounods The Queen of Sheba singt. Nash singt „O Paradis“ und „Una furtiva lagrima“ (als „Down her soft cheek a pearly tear“) mit bubenhafter Frische und Natürlichkeit, während Hislop mit zwei Ausschnitten (1929 unter John Barbirolli) als Lohengrin und Stolzing mehr Wagner-Kompetenz beweist als Widdop. Den Schwerpunkt von Volume 2 bildet ein 1931 unter der Leitung von Clarence Raybould entstandener Querschnitt aus der 1845 uraufgeführten grand opera Maritana von William Wallace, die im 19. Jahrhundert zusammen mit Balfes The Bohemian Girl und Julius Benedicts Lilly of Killarney zum eisernen Kanon nationaler Opern im Vereinigten Königreich gehörte. Größtenteils mit Miriam Licette (1885-1969) und Dennis Noble (1898-1966), die zuvor auch das Rosina-Figaro-Duett aus dem Barbiere recht hübsch (natürlich auf Englisch) sangen. Selbst wenn man da und dort Einschränkungen machen möchte und die Stimme gelegentlich sehr individuell sind, handelt es sich bei den Maritana- Ausschnitten (wozu es im Faltblatt immerhin eine Inhaltsangabe gibt) um idiomatische und charaktervolle Aufnahmen von eingeschnürter Heiterkeit.
Wer Lust auf mehr English Singers hat, wird sich Alfred Deller zuwenden, der eine Generation jünger als seine hier versammelten Kollegen, seine Karriere erst nach dem zweiten Weltkrieg startete. Seine Aufnahmen von Dowland, Purcell – auf INA erweitert um Robert Johnson, Palestrina, Bach, Grandi – eröffneten in den 1960er und 70er Jahren neue Welten. Das klingt auch beim Wiederhören manchmal noch verführerisch, balsamisch, manchmal auch eierig.
Rolf Fath
Singers to Remember: Cavalcade of English Singers Vol. 1 mit Walter Widdop, Trevor Anthony, Dora Labette, Isobel Baillie, Clara Butt; Dutton CDBP 9797
Singers to Remember: Cavalcade of Englis Singers Vol. 2 mit Heddle Nash, Joseph Hislop, Norman Allin, Miriam Licette, Clara Serena; Dutton CDBP 9802
Alfred Deller. Contre tenor mit Monteverdi . Bach . Purcell.; INA mémoire live IMV004