The Other Cleopatra– ja, gibt es denn außer Liz Taylor noch eine weitere Königin von Ägypten? Aber tatsächlich handelt es sich bei der auf einer CD vernehmbaren Dame um eine historische Persönlichkeit, die ebenfalls den berühmten, für einmalig gehaltenen, aber sehr gebräuchlichen Namen trägt, die ebenfalls Königin, allerdings von Armenien, war und der gleich drei berühmte Komponisten, alle dasselbe Libretto des Abate Francesco Silvani in allerdings in einer nach ihrem armenischen Gatten Il Tigrane benannten Oper die Ehre erwiesen. Die Vertonungen von Johann Adolf Hasse und Christoph Willibald Gluck wurden zum ersten Mal aufgenommen, die von Antonio Vivaldi genoss bereits diese Ehre.
Die historische Other Cleopatra war die Tochter von König Mithridates VI. von Ponthos, der sie um 95 vor Christi mit dem armenischen König Tigranes verheiratete, um das Bündnis gegen Rom zu festigen. Da Tigranes die Erwartungen ihres Vaters nicht erfüllte, kehrte sie, obwohl sie inzwischen Mutter von drei Söhnen geworden war, wieder zu diesem zurück, verteidigte anders als ihre Brüder erfolgreich die Burg von Phanagoreia gegen die Angriffe des römischen Feldherrn Lucullus.
Im Libretto sieht diese Geschichte sehr anders aus. Hier geht es um wahre Liebe zwischen Cleopatra und Tigranes, der ihren Vater Mithridates unter falschem Namen bekriegt und auf dem Schlachtfeld besiegt, aber ihre Liebe gewinnt. Er wiederum wird von auch von der in Ponthos ansässigen Hofdame Apamia geliebt. Als Tigranes seine wahre Identität enthüllt, wird er zum Tode verurteilt und Cleopatra dazu, den Bruder Apamias namens Orontes zu heiraten. Mithridates hingegen will Apamia ehelichen. Cleartes, ein Freund Tigranes, verhindert mit einem Überfall sowohl Heirat wie Hinrichtung. Als es zum direkten Schlagabtausch zwischen Cleartes und Mithridates kommen soll, erklärt sich Tigranes bereit, für den Vater seiner Geliebten zu kämpfen. Das rührt diesen so sehr, dass er allen Hass vergisst, Cleopatra und Tigranes seinen Segen gibt und selbst Apamia heiratet.
Während Hasse und Gluck das gesamte Libretto vertonten, trifft das bei Vivaldi nur auf den zweiten Akt zu, der erste und dritte Akt wurde andern Komponisten überlassen, diese Teile der Partitur sind jedoch nicht erhalten geblieben.
Es beginnt mit neun Tracks aus Hasses Oper, bevor dann Vivaldi zu Wort kommt, kann der Hörer die Ouvertüre bestaunen, bei der sich zu den Streichern zwei Hörner gesellen und die weitgehend stürmisch auf die Dramatik der Handlung, wenn auch mit happy end gesegnet, hinweist. Aus dem ersten Akt stammt „Vuoi ch’Io t’oda?“, wo sich sofort die zum Glück einzige Schwäche der armenisch-kanadischen Sängerin Isabel Bayrakdarian zeigt, unter anderem Gewinnerin von Domingos Operalia-Wettbewerb, nämlich eine unangenehm klingende, nicht an die Stimme angebundene Tiefe, die in dieser Arie besonders gefordert wird. Trotzdem kann man sich zugleich über eine farbige, aufblühende und weiche Mittellage und Höhe freuen, eine Sopranstimme, die zudem sehr flexibel geführt wird. Es folgt ein ausdrucksstarkes Rezitativ, für das die Stimme angemessen vibriert, tragische Akzente setzt. In der folgenen Arie „Che gran pena“ kann man den schönen Fluss des Soprans bewundern, aber wieder lässt sich ihr Makel, die Tiefe, nicht verleugnen. Weniger Nachdruck, das Tempo ist ein sehr schnelles, kann der Sopran „Strappami pure il seno“ angedeihen lassen, sehr schön ruhig und gelassen hingegen klingt die Stimme in den weitgespannten Bögen von „Degli Elisi alle campagne“, ausdrucksvoll „Parte, parte…“, dem sich ein durch das substanzreiche Piano auszeichnendes „Press‘ all’onde“ anschließt.
Vivaldis Cleopatra scheint milderen Charakters als Hasses zu sein, sanft wie ein Wiegenlied klingt „Qui mentre mormorando“, reizvoll artifiziell „Squarciami pure il seno“. Bei Gluck gibt es kaum Irritationen wegen der tiefen Töne, „Nero turbo“ mekt man nicht an, wie schwierig es ist, und in „Non ho cor“ dokumentiert sich echte Empfindung, die Kadenz wird gut bewältigt. Hörbar wohl fühlt sich die Stimme bei „Priva del caro bene“, wo viel Mitfühlen zu vernehmen ist. Im Vergleich zu Hasse relativ kurz fasst sich Gluck mit „Presso l’onda“, das weit über reinen Ziergesang hinausreicht, dem das Kaunas City Symphony Orchestra, zu dem hier auch zwei Hörner und zwei Oboen gehören, unter Constantine Orbelian ein guter Partner ist (Delos DE 3591; Weitere Information zu den CDs/DVDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Ingrid Wanja