Keiner wie er

 

Für dieses Buch musste der Berliner Musikschriftsteller Einhard Luther nicht in die Archive steigen, Zeitzeugen befragen und alle möglichen anderen Quellen anzapfen. Er schöpft aus seiner ganz persönlichen Erinnerung, seinen  Aufzeichnungen, seinem fotographischen Gedächtnis – kurz, aus dem unversiegbaren Funds seiner langjährigen Freundschaft mit dem Heldentenor Max Lorenz. Der steht im Mittelpunkt des Buches „Keiner wie er“. Der Verdacht, allzu große Nähe zur historischen Person, deren Leben und Wirken eine Biographie zum Gegenstand hat, birgt die Gefahr von Verblendung mit sich, kommt bei Luther gar nicht erst auf. Er wollte ein sehr persönliches Buch über Lorenz schreiben, das nicht nur den Künstler sondern auch den Menschen gebührend heraus stellt. Das ist vorzüglich gelungen. Zunächst lässt der Autor immer die gesicherten Fakten sprechen, die er dann mit viel Fleisch versieht und auch anekdotisch ausschmücken versteht. Zustande gekommen ist ein Buch, das aus dem Vollen schöpft, vor prallem Leben und Sinnlichkeit nur so strotzt.

Luther arbeitet sehr deutlich heraus, dass Lorenz seinen künstlerischen Weg mit einer Entschlossenheit und Unnachgiebigkeit ging wie sie nur den wirklich großen Talenten gegeben ist, weil die Entschlossenheit Teil des Talents ist.

Lorenz hat in dunkler Zeit Aufrichtigkeit und Zivilcourage gezeigt, fest zu seiner jüdischen Frau gehalten und sich wegen seiner Homosexualität nicht erpressen lassen.

Dass er im Dritten Reich dennoch die unangefochtene Nummer Eins in seinem Fach war, ist – und daran besteht nicht der geringste Zweifel – einzig seiner Leistung als Sänger geschuldet. Wagner-Aufführungen wären ohne ihn völlig unmöglich gewesen, so sehr verkörperte er stimmlich wie darstellerisch die tragischen Helden des Bayreuther Meisters. Keiner wie er!

In dem Buch wird das sehr ausführlich und genau geschildert, mit teilweise sehr seltenen Fotos auch üppig illustriert. Mir ist Max Lorenz, dessen Schallplatten einst den Grundstock für die eigenen Sammlung legten, durch die Lektüre noch näher gekommen, und ich habe alle seine Aufnahmen, die allerdings nur einen Abglanz seiner tatsächlichen Wirkung darstellen dürften, wieder gehört. Luther hat mir für manches Detail, manche Rolle, die auf Tonträgern erhalten ist, neue Einsichten beschert. Das geschieht bei ihm nicht akademisch und mit dem besserwisserisch erhobenen Zeigefinger.

Dieser Autor hat eine Lust am Erzählen, kommt wie jeder gute Erzähler vom Hundertsten ins Tausendste.

Einem durchaus ersten Unterfangen wie es die Biographie über einen Heldentenor darstellt, werden auch sehr vergnügliche Seiten abgewonnen. Das machte für mich das Buch so gut lesbar – und am Ende war ich traurig, als ich es durch hatte. Es hätte noch viel länger und umfangreicher sein können. Dennoch hatte ich nicht das Gefühl, dass nicht alles gesagt ist. Einhard Luther entlässt seine Leser in die Neugierde, sich mit neu gefundenen Einsichten dem Sänger wieder stärker zuzuwenden, die Platten und CDs hervorzuholen und das für sich selbst nachzuspüren, was man eben gelesen hat. Andere, die Lorenz weniger gut kennen, werden hoffentlich ermutigt, sich mit einem der letzten Heldentenöre, wenn nicht dem letzten, zu befassen. Der Autor setzt spezielles Insiderwissen nicht zwangsläufig voraus.

Die CD von Preiser

Die passende CD von Preiser

Keiner wie er!  Wie die Überschriften der einzelnen Kapitel, ist auch der Titel des Buches dem Werk Richard Wagners entlehnt. Die jeweiligen Zitate sind durch Faksimiles aus den Klavierauszügen belegt. „Keiner wie er so hold zu werben weiß!“ Mit diesen Worten reagiert der Chor auf der Festwiese der „Meistersinger“ beglückt auf Stolzings Preislied. Genau darauf bezieht sich der Buchtitel. „Keiner wie er“ kommt im Werk Wagners aber noch an einer anderen Stelle vor, nämlich im Schlussgesang der Brünnhilde, als sie Siegfrieds Treulosigkeit beklagt: „Die treueste Liebe trog keiner wie er!“ Zufall? Gewiss. Doch bei Einhard Luther, der die Operndichtungen Wagners bekanntlich nur so aus dem Ärmel schüttelt, kann man sich da nie ganz sicher sein. Das Buch erschien bei Pro Business GmbH, 191 Seiten, ISBN 978-3-86805-409-5. Passend dazu hat das Label Preiser eine CD mit gleichem Titel herausgebracht, auf der Lorenz in seltenen Live-Aufnahmen zu hören ist.

Rüdiger Winter