Bekanntschaft mit einer neuen Stimme durch eine Recital-CD zu machen, ist immer eine spannende Angelegenheit, die des Tenors Michael Fabiano erweckt das besondere und zusätzliche Interesse jedoch dadurch, dass auf der neuen CD bei Pentatone („Donizetti & Verdi“) zwei der dargebotenen Arien, die des Alvaro aus La Forza del Destino und die des Ernani aus der gleichnamigen Verdi-Oper nicht den Erwartungen entsprechen, sondern einmal aus der Petersburger Fassung des Werks und zum anderen aus der von Verdi für den Tenor Nicola Ivanoff, den Sänger der Pariser Wiederaufnahme, komponierten Abwandlung stammen. Die CD bietet zudem drei Donizetti-Arien und vor allem Kompositionen des frühen und mittleren Verdi an, die Stimme Fabianos ist nicht die eines tenore di grazia, hat aber auch noch nicht die dunkle Farbe für einen typischen Verdi-Tenor oder die Brillanz eines Duca, sondern ist eher ein lyrischer Tenor mit sicherer Höhe.
Für den ersten Teil der Schlussszene des Edgardo aus Donizettis Lucia di Lammermoor überzeugt der Sänger mit viel Sinn für die Bedeutung eines Rezitativs, in der Arie erfreuen ein gutes Legato und eine intelligente Phrasierung. Nur selten gibt es leichte Intonationsprobleme. Die heldische Attacke eines Donizetti-Helden wie des Poliuto gelingt ihm besser als die eines Verdi-Tenors, dazu ist die Stimme angemessen hell und leichtgängig. Viel dolcezza zeichnet den Chalais aus Maria di Rohan aus.
Dass die Stimme noch nicht ganz bei den Verdi-Helden angekommen ist, zeigt die Arie des Rodolfo aus Luisa Miller, wo dem Rezitativ der Aplomb fehlt, der Arie der canto elegiaco dunkler Färbung noch abgeht, alles eher ein wenig weinerlich als tragisch klingt. Die große Arie des Ballo-Riccardo aus dem letzten Akt könnte ebenfalls eine dunklere Farbe vertragen, obwohl die Partie durchaus im Bereich der vokalen Möglichkeiten des Tenors liegt, durch eine reiche Agogik des Singens zwischen Piano und Forte, einem hochsensiblen „del nostro amor“ und einem beeindruckenden Squillo für die Cabaletta überzeugt. Die Petersburger Arie des Alvaro bietet eine versione leggera der heldischen Figur, auch die des Ernani „Sprezzo la vita“ ist der jetzigen Verfassung der Stimme Fabianos angemessen, sogar das eher heldische „Giuriam“ der Cabaletta wird gut bewältigt. Ein Jacopo Foscari mit so heller Stimme wie die seine ist wahrlich Geschmackssache, beim Riccardo aus der Erstlingsoper Oberto kann sich der Sänger darauf berufen, dass die Partie für einen tenore di grazia komponiert wurde, der Corrado aus Il Corsaro hat eine wundervoll elegische Arie, die ebenso gut bewältigt wird wie die mit einem strahlenden Spitzenton gekrönte Cabaletta. Das London Philharmonic Orchestra mit dem Spezialisten Enrique Mazzola am Dirigentenpult erweist sich als kompetenter Begleiter. Das Booklet enthält die Texte der Arien auf Italienisch und Englisch, ein Artikel von Geoffrey Riggs unterrichtet kompetent über die Entstehungsgeschichte der einzelnen Arien (Pentatone PTC 5186 750). Ingrid Wanja