„Aus leuchtender Romantik“

 

„Aus leuchtender Romantik in dunkle Zeit“: So ein Titel lässt die Handschrift von Peter P. Pachl vermuten. Genauso ist es. Diesmal tritt der vielseitige Musikwissenschaftler, Regisseur und Autor aber nicht aktiv in Erscheinung. Er besorgt im Hintergrund die Musikregie. Das neue Album in Zusammenarbeit mit dem pianopianissimo-musiktheater, dessen künstlerischer Leiter Pachl ist, erschien wieder bei Thorofon (CTH26562). Wie auf dem Titel ausdrücklich vermerkt wird, enthält es ausschließlich CD-Erstveröffentlichungen. Bei der erlesenen Programmauswahl ist das auch nicht verwunderlich. Eingespielt wurden Liederzyklen und Kammermusik von Arnold Winternitz, Ludwig Ferdinand von Bayern und Casimir von Pászthory.

Wer waren die doch schnell? Selbst mancher Kenner der Szene wird erstmal nachschlagen müssen. Für Winternitz, (1874-1928) hält selbst die allwissende Wikipedia keinen Artikel bereit. Dafür gibt sich das Booklet sehr auskunftsfreudig. Winternitz stammt aus Linz, gehörte zum Kreis um Arnold Schönberg. Als Dirigent wirkte er in Chicago, später dann im Hamburg, wo seine Oper Meister Grobian und seine musikalische Komödie Der Brautschatz uraufgeführt wurden. Daraus sind in Klavierfassungen mit Rainer Maria Klaas einmal ein eingängiges tänzerisches Zwischenspiel und zum anderen das knappe und pointierte Vorspiel zu hören, während die Sopranistin Rebecca Broberg die Liedersammlung „Japanischer Frühling“ nach Hans Bethge, der auch die Texte für Mahlers „Lied von der Erde“ lieferte, einfühlsam vorträgt. In gut sortierten Sammlungen findet sich vielleicht noch die bei Colosseum erschienene LP mit dem musikalischen Märchen „Die Nachtigall“, auf der Maria Schell als Sprecherin von den Nürnberger Symphonikern begleitet wird.

Der 1886 in Budapest geborene Österreicher Casimir von Pászthory ist noch am ehesten durch seine 1942 entstandene aber erst 1959 in Basel uraufgeführte Oper Tilmann Riemenschneider in Erinnerung geblieben. 2004 habe es einen Wiederbelebungsversuch in Würzburg, wo der Bildschnitzer und Bildhauer wirkte und starb. Das am meisten gespielte Werk Pászthorys, das Melodram nach Rilkes „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ hatte Pachl bereits in seine ebenfalls von Thorofon veröffentlichte Sammlung „Flügel musst du jetzt mir geben“ aufgenommen. Nun gibt neu „Sieben Lieder nach Gedichten von Rainer Maria Rilke“ und „Sieben Lieder nach Gedichten von Hermann Hesse“, wortverständlich gesungen vom Tenor Hans-Georg Priese. Darunter ist das wohl berühmteste Hesse-Gedicht „Stufen“ aus seinem Roman „Das Glasperlenspiel“. Nur im ersten Zyklus tritt auch Rebecca Broberg mit „Pietà“ in Erscheinung. Bei der Sonate für Violoncello und Klavier op. 13 ist neben dem Pianisten Klaas auch Bernhard Schwarz als Solist zu hören.

Neben seiner Tätigkeit als Militärarzt und General der Kavallerie betätigte sich der Bayernprinz Ludwig Ferdinand (1859-1949) als Komponist. Er war ein Cousin des Königs Ludwig II., dem er bis zu seinem Tod sehr nahe stand. Unter seien Werken sind die „Fünf Schilflieder“ nach Lenau, die auch Mendelssohn, Schönberg und Schock vertont hatten. „Der Spätromantiker Ludwig Ferdinand von Bayern bracht diesen Vergleich nicht zu scheuen“, heißt es im Booklet. Sein „Tonfall“ schmiege sich aufs Engste der bitteren Melancholie Lenas an. Diesem Ansatz versucht auch Rebecca Broberg in ihrer Interpretation der Lieder zu folgen. Rüdiger Winter

 

„… in trunken-schönem Tanz!“: Wie der Titel bereits andeutet, steht der Tanz im Mittelpunkt dieser Veröffentlichung von Thorofon (CTH2644), welche Nachträge zu den bereits vorliegenden pppmt-Editionen Erich J. Wolff (Nr. 8), Ludwig Thuille (Nr. 3), Anton Urspruch (Nr. 2) sowie Siegfried Wagner liefert. Konkret enthalten sind zum einen Vier Lieder op. 3 von Wolff (mit der Sopranistin Rebecca Broberg) sowie sein sogenannter Zlatorog, eine Schlussszene für Klavier und vierstimmigen Frauengesang (ausgeführt von den Vokalistinnen des pianopianissimos-musiktheaters). Was Thuille angeht, hat man das Melodram Die Tanzhexe für Deklamation und Klavier inkludiert; als Sprecher hört man Peter P. Pachl, der diesen Part auch im Bales-Tänzchen von Siegfried Wagner übernimmt, das zudem für Sopran (wiederum Broberg) und Tenor (Thorsten Scharnke) komponiert ist. Am Klavier begleitet, wie in allen auf der CD enthaltenen Stücken, Rainer Maria Klaas. Der noch immer im Schatten des Übervaters stehende Wagner-Sohn ist zudem mit der Herzog Wildfang-Fantasie (nach gleichnamiger Oper) in der Klavierbearbeitung von Eduard Reuss berücksichtigt worden. Drei Klavieradaptionen von Opern Urspruchs beschließen diese Nachträge, nämlich die Ouvertüre und das Vorspiel zum zweiten Akt von Der Sturm nach Shakespeare sowie ein Potpourri seines Werkes Das Unmöglichste von Allem, einer komischen Oper nach Lope de Vegas.

Ohne das nachhaltige Engagement Pachls wäre es wohl kaum zur anhaltenden diskographischen Beschäftigung mit diesen vergleichsweise wenig bekannten Komponisten gekommen. Auch wenn sich die vorliegende Ausgabe vornehmlich als Nachtrag versteht, mindert dies ihren Wert nicht im Geringsten. Dies liegt im Grunde genommen an allen Beteiligten und beginnt bei Pachl selbst, der als Rezitator fungiert und als Meister des kunstgerechten Vortrages mit dem notwendigen und hier angebrachten Pathos agiert. Überhaupt erscheint gerade Die Tanzhexe von Ludwig Thuille als Mittelpunkt der Platte – und wurde passenderweise auch als sechster der elf Tracks ins Zentrum gerückt. Der Tenor Thorsten Scharnke brilliert in seinem kurzen Auftritt im Bales-Tänzchen, wo auch die Sopranistin Rebecca Broberg erscheint; ihren wichtigsten Auftritt hat diese freilich in den einleitenden, erst kürzlich aufgefundenen und bis dato fehlenden Liedern des Wolff’schen Liederzyklus, wo sie ausdrucksstark für sich einnimmt. Die vier Vokalistinnen  des pianopianissimo-musiktheaters haben nur einen kurzen Auftritt in der Schlussszene der Ballettpantomime Zlatorog. Heimlicher Star der Aufnahmen ist der Pianist Rainer Maria Klaas, der sich sowohl als kongenialer Begleiter als auch als virtuoser Solist erweist und den Geist des Fin de siècle herüberbringt.

Die Einspielungen – bis auf eine Ausnahme (Wolffs Irmelin Rose) Ersteinspielungen – entstanden zwischen dem 6. und 10. November beziehungsweise zwischen dem 6. und 7. Dezember 2017 im Schüttbau Rügheim. Verwendung fand ein Flügel von Steinway. Die Musikregie wurde von Peter P. Pachl übernommen; Tonmeister war Bernhard Schwarz. Den informativen und ausführlichen Begleittext steuerte wiederum Pachl bei (Aufnahme: 2017; Erscheinungsdatum: 2018). Daniel Hauser

 

Mit einem Wagner-Zyklus der etwas anderen Art überrascht das Label Thorofon. Doch der Komponist ist nicht jener Wagner, an den zuerst denken wird, wer das Album in Händen hält (CTH2644). Dieser Zyklus stammt von Robert Stolz, dem letzten Meister der Wiener Operette, dessen Lieder so populär geworden sind, dass darüber manchmal ihr Schöpfer vergessen wird. Die Textvorlage lieferte der österreichische Theaterdirektor Kurt Robitschek, wie Stolz jüdischer Herkunft. Beiden ist also keine böse Absicht zu unterstellen, wenn sie mit einer gewissen Bissigkeit die Geschichte des jüdischen Händlers Klein erzählen, der zum christlichen Glauben konvertiert ist, seine Kinder Tristan und Isolde nennt, sich selbst Wotan und seinem Haus den Namen Walhall gibt. Wie so oft beim echten Richard Wagner geht auch diese Geschichte nicht gut aus und endet mit einer Götterdämmerung. Stolz hantiert mit Zitaten aus Lohengrin und dem Ring des Nibelungen, erweist sich so als Kenner der Materie und zieht doch gleichzeitig ironisch darüber her. Man fühlt sich irgendwie an Thomas Manns Novelle „Wälsungenblut“ erinnert.

Der Wagner-Zyklus war als Opus 106 der herausragende Beitrag im Sammelband „Brettel-Lieder“ von Stolz. „Im Erscheinungsjahr 1916 dieser Publikation hatte sich die Brettl-Kultur, die 1901 mit der Gründung des Kabaretts ,Überbrettl‘ in Berlin ihren Anfang genommen hatte, im deutschen Sprachraum rapide verbreitet“, schreibt Peter P. Pachl im Booklet. Vorbild war das Pariser Kabarett „Le Chat Noir“, das – wie weiter zu erfahren ist – von 1881 bis 1897 auf dem Montmatre existierte. „Mit der Namensgebung des am 18. Januar 1901 in Berlin eröffneten Kabaretts“ habe Ernst von Wolzogen, der spätere Librettist der Richard-Strauss-Oper Feuersnot die Assoziation zu Nietzsches „Übermensch“ geschaffen. Den Unterschied zum französischen Vorbild lässt Pachl Wolzogen selbst erklären: „Aus meinen Pariser Erfahrungen und meinem eigenen Empfinden heraus gestaltete sich nunmehr mein Überbrettl folgendermaßen: kein Bier- und Weinausschank und Tabaksqualm, sondern regelrechtes Theater. Eine Rampe und ein gehöriger Orchesterraum zwischen mir und dem Publikum, eine Kleinbühne für anmutige Kleinkunst aller Art, keine Zimperlichkeit im Erotischen…“ Derlei Freizügigkeit, die – so Pachl – „im Gegensatz zu den Moralnormen der Zeit stand“, zog zahlreiche junge Komponisten, Dichter und bildende Künstler an. Pachl ist auch der Interpret des Albums und wird von Rainer Maria Klaas, der mit „Mademoiselle Aschenbrödel“ ein eigenes Werk beisteuert, am Klavier begleitet. Er trat als Regisseur, Hochschullehrer und Musikschriftsteller hervor, setzt sich leidenschaftlich für den Komponisten Siegfried Wagner ein und steht jetzt als Intendant den Berliner Symphonikern vor. Seinem vielseitigen und umtriebigen Wirken hatte er schon mit den Aufsehen erregenden Sammlungen von Melodramen, die ebenfalls bei Thorofon erschienen waren, eine weitere Facette hinzugefügt.

Pachl gilt als Entdecker. Er holt einst weit verbreitete und beliebte Genres in die Gegenwart zurück. Sozusagen als Angebot und Bereicherung der aktuellen Spielpläne. Und nicht aus nostalgischen Gründen. Er hat selbst Spaß an seinen neuen Ausgrabungen, diesen frechen Stücken. Spaß, der sich auf seine Zuhören überträgt. Das Letzte, was er dabei anstrebt, ist Schöngesang. Oft klingt er grell, übertreibt ganz bewusst und ist gerade dadurch authentisch. Es ist zwar schade, dass die Texte offenkundig aus Platzgründen im Booklet nicht abgedruckt werden konnten. Durch den klaren Vortagsstil wird dieses Manko aber ausgeglichen. Die meisten Titel – vierzig an der Zahl – erscheinen erstmal auf Tonträgern. Mit seinem Wagner-Zyklus ist Stolz nur einmal im Album vertreten, das – wie es der Untertitel verheißt – noch „andere erotische und animalische Extremi- und Perversitäten“ bereithält. Das Gros stammt von Oscar Straus. Dazwischen tauchen Arnold Schönberg, Ludwig Thuille, Alexander Zemlinsky und sogar der tüchtige Conradin Kreutzer auf, der durch seine Oper Das Nachtlager von Granada in Erinnerung geblieben ist. Als großer Vorzug der aus zwei CDs bestehenden Sammlung erweist es sich, dass im Booklet mit biographischen Daten, historischen Hintergründen und erhellenden Schilderungen von Zusammenhängen nicht gespart wird. Rüdiger Winter