Im falschen Repertoire

 

Der deutsche Tenor Gerhard Siegel ist ein international gefragter Interpret für die Charakterpartien von Wagner (Loge, Mime) und Strauss (Herodes, Aegisth). Beide Komponisten finden sich auch auf seiner neuen CD bei hänssler CLASSIC, die 2017 und 19 in den USA aufgenommen wurde (HC 19078). Der Sänger wendet sich hier einer Auswahl von Liedern der beiden Romantiker zu. Das ist befremdlich, scheint das spröde, raue Timbre des Tenors doch für dieses Genre weniger geeignet. Gleich der Auftakt mit Strauss´ „Zueignung“  aus den Letzten Blättern op. 10 verstört, braucht dieses Lied doch eine leuchtende, emphatisch aufjubelnde Stimme. Die des Tenors aber klingt larmoyant und in der Höhe gequält. Es folgen die weiteren Titel aus dem achtteiligen Zyklus: „Nichts“ gelingt besser, aber der „Nacht“ fehlen die schwebende Kantilene und träumerische Stimmung. Bei der „Georgine“ muss man lange Phrasen von strapazierten Tönen überstehen. Auch die Steigerung in „Geduld“, das der Sänger ganz verhalten beginnt, wirkt bemüht. Gänzlich verfehlt scheint „Allerseelen“, das kraftmeierisch und ohne jede Poesie  daherkommt.

Die zweite Gruppe der Strauss-Lieder besteht aus Titeln verschiedener Werkgruppen – zu Beginn die „Heimliche Aufforderung“ op. 27, Nr. 3 in einer lärmenden Wiedergabe. Für „Fünfzehn Pfennige“ op. 36, Nr. 2 in seinem ironischen Charakter sowie „Ach weh, mir unglückhaftem Mann“ op. 21, Nr. 4 und „Schlechtes Wetter“ op. 69, Nr. 5 in ihrem parlandohaftem Duktus scheint die Stimme passender, auch wenn manche Spitzentöne eher an Herodes´ hysterische Ausbrüche erinnern. Den Abschluss der Gruppe bildet „Morgen!“, das der amerikanische Pianist Gabriel Dobner am Flügel in poetischer Stimmung ausbreitet, welche der Tenor mit seinem rauen Gesang leider nicht aufnehmen kann.

Wagners Wesendonck-Lieder, in zahllosen Einspielungen auf dem Musikmarkt vertreten und zumeist von Frauenstimmen interpretiert, stehen am Schluss des Programms. Auch sie verfehlen ihre Wirkung durch die schmerzhaft bohrenden Töne des Sängers, auch wenn ihm bei „Im Treibhaus“ Stimmungen gelingen, die an Tristans Fiebervisionen im 3. Aufzug von Tristan und Isolde erinnern, und er in „Schmerzen“ mit heldischer Verve auftrumpft. Doch das letzte Lied, „Träume“, verdeutlicht dann noch einmal die Problematik dieser Platte: Hier versucht sich ein Sänger im falschen Repertoire. Bernd Hoppe