Mit der Reihe „autograph“ hat Warner Classics begonnen, eine jeweils umfangreiche Würdigung hochrangiger Künstler (weitgehend aus den alten, übernommenen EMI-Beständen) in Jubiläums-Boxen aufzulegen. Unter den ersten drei Ausgaben über José van Dam (Februar 2015 zum 75.Geburtstag, noch nicht erschienen), Thomas Hampson (März 2015 zum 60.Geburtstag) und Angela Gheorghiu (April 2015 zum 25-jährigen Bühnenjubiläum) ragt die Box über Thomas Hampson auf Grund seines ungewöhnlich breit gefächerten Repertoires von der Oper über Operette und Musical bis hin zum Lied heraus: Es umfasst Werke aus vier Jahrhunderten von Monteverdi („Vesper“ von 1610) bis Christopher Theophanides (Uraufführung von „Heart of a Soldier“ 2011) in etwa einem Dutzend Sprachen. Außerdem hat sich Hampson große Verdienste in der Sängerausbildung und Erforschung von Urschriften erworben. (Ich werde nie eine Unterrichtsstunde vergessen, die er während des Gesangspädagogen-Kongresses in Leipzig in den 90-er Jahren gehalten hat, in dem er tiefe Einblicke in die schwierige Ausbildung junger Sänger ermöglichte und mit Witz und Charme bei sicherer Kenntnis der Sängerstimme mit kleinsten Anmerkungen und Hilfen deutliche Verbesserungen bei den Probanden erzielte.) Ungewöhnlich ist auch eine derart weit gefächerte Auseinandersetzung mit der Musik im Kontext von Literatur, Kulturgeschichte und sozialhistorischer Entwicklung. Dazu trug wohl Hampsons Studium der Politikwissenschaften und Geschichte entscheidend bei.
Die 12 CDs umfassende Jubiläums-Box enthält Beispiele aus dem extrem weit gespannten Repertoire des berühmten Baritons, sortiert nach Komponisten, bzw. sängerischer Gattung und Entwicklung. Die Zusammenstellung der Opern-Ausschnitte und Lieder erfolgte unter Mitwirkung des Sängers, dessen internationale Karriere 1981 als Ensemble-Mitglied der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf begann. Aber schon bald traf er auf Nikolaus Harnoncourt, der ihn für Mozarts Da-Ponte-Zyklus von 1984-87 mit Jean-Pierre Ponnelle nach Zürich einlud. Leider sind die auf der CD 1 angeführten Beispiele erst spätere Einspielungen (1988-93). Aber der Vergleich der Conte-Szene „Hai già vinta la causa!“ von 1993 und 2003 ist interessant; 10 Jahre später ist die Sprache entschiedener, der Ausdruck viriler und deutlich gereift. Eine der wichtigsten Mozart-Rollen ist für ihn natürlich der Don Giovanni, den er ebenfalls erstmals unter Harnoncourt 1984 sang. Auf der letzten CD (12) stellt er sich in englischer Sprache in einem Interview den Fragen von Jon Tolansky, dem CD-Herausgeber und Verfasser des erfreulicherweise dreisprachigen instruktiven Beiheftes. Dabei geht Hampson eingehend auf die wichtige Rolle ein, die Harnoncourt damals für seine Rollenauffassungen gespielt hat. Aus Così ist u.a. die ursprünglich von Mozart vorgesehene, dann aber verworfene Arie „Rivolgete a lui lo sguardo“ des Guglielmo im 1.Akt zu hören.
Für die 2.CD hat Hampson Vertonungen von Goethe und Shakespeare gewählt, wo er zu Beginn der 90er-Jahre in Mendelssohns „Walpurgisnacht“ ebenso beeindruckt wie in dem ihm sehr gut liegenden französischen Idiom bei Gounod (Valentin in „Faust“: „Ecoute-moi bien, Marguerite“ jagt einem Schauer über den Rücken; weichstimmig erklingt „Adieu, mon bon frère“, hier mit der in ihrem Zenit singenden Cheryl Studer) und Thomas (Hamlet, eine seiner besten Rollen); weitere Facetten mit sicheren Höhen zeigt Hampson als Macbeth (2000). „Fathers and Fanatics“ ist der Titel seiner Verdi-CD (3): Zu ersteren gehört neben Germont (Traviata) und Simon Boccanegra der Montfort (Les Vêpres siciliennes), hier in der französischen Urfassung gesungen, wobei Hampson schon allein die beiden Worte „Mon fils“ bei seiner Intensität des Singens unnachahmlich gelingen. Conte Luna (Trovatore) und Posa (Don Carlos) sind beste Beispiele für die Fanatiker. Die Ausschnitte und Szenen aus allen Opern glänzen auch durch die ergänzenden Besetzungen, die durchweg ebenfalls vom Feinsten sind. Wagner ist ebenfalls eine eigene CD (4) vorbehalten; neben Ausschnitten aus Tannhäuser – mit einem Vergleich von „O du, mein holder Abendstern“ im Abstand von 7 Jahren –, Walküre („Winterstürme wichen dem Wonnemond“) und Ensembles aus der Götterdämmerung (Gunther) sind einige sehr selten zu hörende Lieder aus Wagners früher Zeit (1838-40) beigefügt, teils in französischer Sprache, einige auch aus den interessanten Orchesterliedern zu Goethes Faust. Ähnlich wie Verdi befasste sich auch Benjamin Britten (CD 5) in seinen Werken mit menschlichen Problemen und moralischen Konflikten. Das wird besonders deutlich am War Requiem, das für Thomas Hampson eins der bedeutendsten Werke des 20.Jahrhunderts ist; ein Vergleich von Aufführungen aus den Jahren 1997 und 2013 weist auf seine intensive Beschäftigung mit diesem wichtigen Requiem hin. Daneben gibt es Ausschnitte aus Billy Budd, eine seiner früheren Lieblings-Partien.
Die Meisterschaft Thomas Hampsons im Liedgesang wird auf CD 6 mit Schuberts „Winterreise“ vorgestellt, die eine höchste künstlerische Anforderung darstellt. Er selbst gibt einen Einblick in seine Gedanken über den Zyklus auf CD 12. Die Einspielung mit Wolfgang Sawallisch als Begleiter stammt von 1997 und ist ein sehr gutes Beispiel für die hohe Interpretationskunst des Sängers. Auf der Robert Schumann gewidmeten CD 7 mit Liedern nach Texten von Kerner, Heine und Burns wird er in den Jahren 1990-94 von Geoffrey Parsons begleitet, der Stimmklang noch etwas weicher als bei der „Winterreise“. Durch deutsche und französische Lieder von Berlioz, Liszt, Strauss, Mahler und Korngold zeichnet sich die CD 8 aus. Im Übrigen ist Gustav Mahler ein profundes Zentrum für Hampsons Schaffen, wobei er sich als einer versteht, der versucht, allen einen Zugang zu Mahlers Musik zu verschaffen und dafür zu begeistern (Kommentar CD 12). Interessant ist hier der Vergleich von „Der Einsame im Herbst“ aus „Das Lied von der Erde“ einmal aus 1995 mit Orchester, dann 1996 mit Wolfram Rieger am Klavier; es gelingt Rieger gut, die vielen Orchesterfarben auf den Tasten umzusetzen, und der Bariton gewinnt noch an Intensität.
Mit CD 9 erfüllt sich Hampson seinen Wunsch, die Lieder seiner Heimat vorzustellen. „Die Lieder Amerikas spiegeln die Geschichte des Landes wider“ – so lässt sich sein Kommentar (CD 12) dazu zusammenfassen. Die Aufnahmen datieren von 1992 (Copland) und 2008 (u.a. Bernstein, Bowles, Ives). Eine weitere Facette seiner musikalischen Breite präsentiert Hampson mit CD 10: Operette und Broadway. Von ersterer Gattung sind nur Die lustige Witwe (alternativ) und Die Fledermaus für einen Bariton gut besetzt; in den anderen Ausschnitten wie Bettelstudent, Zigeunerbaron oder Gräfin Mariza sowie Schlagern (Robert Stolz) singt er gekonnt die Tenorrollen. Bei den Musical-Songs aus den Jahren 1990 bis 1994 ist er ganz in seinem Element. CD 11 schließlich ist geistlichen Werken von Bach, Mozart, Brahms, Fauré, Puccini und Duruflé in Aufnahmen aus der Zeit von 1983 bis 2000 gewidmet. Der Ausnahmekünstler macht auch auf diesem Gebiet anhand von intelligent gewählten Beispielen die Entwicklung seiner Stimme noch einmal deutlich.
Ebenso breit gefächert wie sein Repertoire sind Hampsons Aktivitäten für die „Hampsong Foundation“, über die man sich im Internet ausführlich in allen Bereichen informieren kann: Darunter sind z.B. auch Angaben zu Kursen beim „Heidelberger Frühling“, zu neuen oder ausgegrabenen Kompositionen, zu seinem eigenen umfangreichen Repertoire und vieles mehr. Der Allrounder strebt an, durch seine Initiativen wieder mehr Musik in die Schulen zu bringen, unterschiedliche Kulturen anhand von „Poetry and Music“ einander näher zu bringen und die Jugend wieder für das Singen zu begeistern.
Jon Tolansky ist mit dieser Box ein wirklich
guter Überblick über alle sängerischen Gebiete Thomas Hampsons gelungen, die aber nach Art der „Häppchen-Klassik“ nicht ganz befriedigen kann, sondern nur Anstöße für weitere Anschaffungen vollständiger Aufnahmen geben wird (Warner Classics 12 CD, 0825646190454).
Marion Eckels