Hoher Anspruch

 

Das Schlichteste an der CD mit Liedern, gesungen von Marlis Petersen, ist wohl das ihr vorangestellte Motto Goethes von dem Glück, das immer da ist und das man nur ergreifen muss. Geplant ist eine Trilogie namens „Dimensionen“, deren erster  Teil, betitelt „Dimensionen Welt“, nun vorliegt und sich unterteilt in „Himmel & Erde“, „Mensch & Natur“, „Los & Erkenntnis“, „Hoffnung & Sehnsucht“ sowie abschließend  „Conclusio“. Der „Welt“ folgen sollen noch „Anderswelt“ (da soll es u.a. um Elfen gehen) und „Innenwelt“. Nimmt man zur Kenntnis, dass sich auf dieser CD und wohl auch den beiden folgenden Lieder mit Klavierbegleitung befinden, erscheinen einem diese zarten Gebilde durch den hohen Anspruch der Sängerin und ihres Klavierbegleiters doch arg beschwert und belastet und die Intentionen der beiden Künstler kaum vereinbar mit denen der Musiker, die die zu einem nicht unbedeutenden Teil literarisch nicht besonders hochwertigen Gedichte (Eichendorffs „Mondnacht“ ist eine der wunderbaren eher Ausnahmen) vertonten. Der hohe Anspruch der CD offenbart sich in dem von den beiden Künstlern selbst verfassten Booklet, das dem Hörer „innige Hörmomente“ verspricht und passend dazu die Sängerin in weißem Flattergewand durch dasselbe wallen lässt. Verdienstvoll ist, dass neben den bekannten Liedkomponisten Schumann, Schubert und Brahms auch der Schwede Sigurd von Koch und der Spätromantiker Hans Sommer berücksichtigt werden, seltsam, dass eines der Wesendonck-Lieder  im Booklet-Teil mit den Texten Franz Schubert zugeschrieben wird, während es zutreffend im Inhaltsverzeichnis als Komposition Richard Wagners aufgeführt wird. Und auch sonst gibt es kleine Mängel, wenn anstelle von „besäumt“ ein „beschäumt“ zu lesen ist oder ein „nächsten Flut“ anstelle der „nächt‘gen Flut“.

Schreitet man vom Lesen des Booklets zum Anhören der CD, stellt man mit Freude fest, dass der Sopran von Marlis Petersen in der letzten Zeit (Die Aufnahme stammt vom Sommer 2017.) reicher an Farben geworden ist, über sattere Töne verfügt, die in Schumanns  „Himmel und Erde“ für den Frühling zart erklingt und für den Herbst ein schönes Leuchten hat. Cora, die bei Schubert ihre Bitten an die Sonne richtet, hat eine naive Kinderstimme, für seine Ode an das sinkende Gestirn wird jeder feierliche vokale Gestus vermieden, auch der Refrain eher schlicht genommen, was bei dem seltsamen Text ( „Es segnen die Völker , es säuseln die Lüfte, es räuchern die dampfenden Wiesen dir nach…“) auch anzuraten ist, ebenso wie die Beschleunigung, wenn es allzu triefend von angeblicher Romantik wird. Im „Herbstabend“ von Hans Sommer hebt der Sopran die letzte Strophe, die dem „süßen Frieden“ geweiht ist, sehr schön vom Rest des Liedes ab. Für jedes der folgenden Lieder findet sie den angemessenen Ausdruck, so für Schuberts „Mutter Erde“ die sanfte Schönheit oder für seinen „Naturgenuss“ die schöne Leichtigkeit, die ebensolche Entschlossenheit für Schumanns „Die Hütte“. Allerdings fällt hier und an anderer Stelle auf, dass die Zuordnung zu einem der oben genannten Themen nicht zwangsläufig, sondern recht beliebig und austauschbar ist. Das gilt ganz besonders für Schuberts „Die Berge“, die eigentlich viel besser ins vorangegangene Kapitel passen würden.  Hier kann die Stimme ausschwingen, in „Juchhe!“ von Brahms einen schönen Jubelton annehmen. Hans Sommers „Gesang des Lebens“ auf ein Gedicht von Hartleben gibt der Sängerin die Gelegenheit, einen dramatischen Verkündigungston anzunehmen und „leuchtend“ hörbar zu machen.  Bei Brahms‘ „Der Strom“ kann man die Baritonstimme, die einen damit bekannt machte, nicht aus seinem Gedächtnis verbannen, obwohl sich der Sopran durchaus auch im Dramatischen behaupten kann.  Raffiniert ist in von Kochs „Das Los des Menschen“ die Verlängerung des Vokals  im „hin“ und im „zerfließt“. Und Schumann und Eichendorff finden für ihre „Mondnacht“ eine Interpretin, die den angemessenen schwebenden Klang durch alle drei Strophen durchhalten kann, so wie in Brahms‘ „Feldeinsamkeit“ von ihr das „mir ist’s“ in schönem Abgehobensein gestaltet wird.

Noch schöner wäre es, wenn das Künstlerpaar – Stephan Matthias Lademann ist der hochsensible Begleiter- weniger kopflastig und missionierend in Sachen Liedgesang vorgehen würde und die Kunstwerke für sich selbst sprechen lassen würde. Ob alle jedoch, besonders die auf Texte von dilettierenden schönen Seelen, der Wiedererweckung wert sind, sei dahingestellt (Solo Musica SM274). Ingrid Wanja