Natürlich wäre man gern selbst dabei gewesen, allein schon wegen der wahrscheinlich prächtigen Roben der Sängerinnen, für die zumindest Simone Kermes immer ein Garant ist, aber wenn man nur die CD von der inzwischen 26. AIDS-Gala der Deutschen Oper Berlin besitzt, steht es einem frei, ob man die acht (!) Grußworte im Booklet lesen will, die sich die Besucher der Veranstaltung samt und sonders anhören mussten, ehe es losging mit der Musik. Diese begann schwungvoll mit der Polonaise aus Tschaikowskis „Eugen Onegin“, es dirigierte bewährt John Fiore, und Max Rabe, der Nachfolger des unvergessenen Loriot, moderierte. Das gelingt ihm mit jedem Jahr vorbildnaher, auch wenn er immer noch nicht gelernt hat, dass Rossini nicht Giacomo heißt und man in Italien das S scharf ausspricht, dass Simone Piazzola (männlichen Geschlechts) nicht klingt wie Simone Kermes (weiblichen Geschlechts).
Wie eigentlich schon üblich, hat zunächst Mozart das Wort zunächst mit „La ci darem la mano“ aus „Don Giovanni“, in dem Kristina Mlchitaryan eine empfindsam klingende Zerlina gibt und Andrea Mastoni einen eher väterlich klingenden Don verkörpert. Er ist dann auch viel mehr mit Osmins „Oh, wie will ich triumphieren“ in seinem Element, als der er die Extremtiefen genüsslich auskostet. Der Sopran ist noch im Quartett aus „I Puritani“ zu hören, vor allem aber als Sonnambula mit „Care amiche“, deren Fragilität sie mit reichen Mitteln darzustellen weiß. Damit wären wir bereits im italienischen Fach und gelangen zu den Tenören, derer gleich drei und allesamt italienisch zu hören sind. Antonio Poli singt Rezitativ und Arie des Rodolfo aus „Luisa Miller“, zum Glück nicht die Cabaletta, denn der Tenor ist noch sehr lyrisch und kommt mit schönem Timbre besonders im elegischen „Quando le sere“ zur Geltung, die recht dunkle Färbung der Stimme weist in eine Zukunft als lirico spinto. Der zweite Tenor des Abends ist Stefano La Colla mit „Cielo e mar“, das leider jede Poesie vermissen lässt, schön ist das Crescendo auf dem Spitzenton, zu spannungslos langsam ist hier die Begleitung, die Stimme bleibt recht stumpf. Auch im zweiten Teil des Duetts aus dem ersten Akt von Tosca mangelt es der Stimme an tenoralem Glanz. Der dritte Tenor ist der leichteste der drei, René Barbera, auch vertreten im Quartett aus den Puritani, vor allem aber mit Höhenstärke prunkend als Tonio im berühmt berüchtigten „Ah! Mes amis“.
Verdi wird am häufigsten bemüht an diesem Abend, so singt Elena Stikhina die erste Arie der Trovatore-Leonora, die allerdings nicht, wie Rabe meint, eine Klage ist, mit gut im Piano ansprechendem Sopran, flexibel und mit intensiver Farbgebung. Nur die Cabaletta könnte mehr Nachdruck vertragen. Der Sopran ist auch Tosca auf der zweiten der beiden CDs. Die reichste Stimme von allen hat Nino Machaidze, die Rusalkas Lied an den Mond betörend schön und zu Herzen gehend singt. Bliebe bei den Sopranen noch Simone Kermes deren Barock-Arie sicherlich die bessere Wahl im Vergleich zu den maltraitierten Masnadieri von einst ist, und die einen wilden Jubel des Publikums mit einer Bravourarie von Riccardo Broschi auslöst, allerdings matt klingt, wenn die Stimme ihre hoch gelegene Komfortzone verlässt. Zwei Mezzosoprane bescheren reine Hörfreude, die von der Staatsoper kommende Marina Prudenskaja mit dem rasanten Rataplan aus La Forza del Destino und Emily D’Angelo mit Angelinas „Naque all’affano“ in hochvirtuoser Darbietung eines Mezzos wie aus einem Guss. Natürlich gibt es auch einen Bariton: Simone Piazzola, der das in der Stimme hat, was man bei Tenören liebt: la lacrima, die auch einem Bariton gut ansteht, vor allem, wenn dann ein doch ziemlich ausgesungenes Stück wie „La provenza il mar“ wie gerade erst frisch komponiert erscheint, um die Rührung des Publikums zu provozieren. Der oft gelobte Chor der Deutschen Oper darf sein Können in den Puritani und im „Rataplan“ unter Beweis stellen, und zum Schluss führt Simone Kermes das Ensemble, wie auf ihrer letzten CD Klassikgrenzen überschreitend, in Sartoris „Time to say goodbye“ an. Ein sehr guter Jahrgang ist der von 2019! (Naxos 8.551427-28). Ingrid Wanja