Grümmer, Araiza, Podvalová, Levko

Elisabeth Grümmer ist auf Tonträgern vergleichsweise wenig vertreten. Elisabeth Schwarzkopf dominierte in jenen Jahren einen Großteil dieser medialen Szene, vor allem ihrem Gatten Walter Legge, Produzent der EMI, hat sie das zu verdanken. So ist es erfreulich dass immer mehr Aufnahmen Elsabeth Grümmers aus den Rundfunkarchiven den Weg auf CD und DVD finden. Ein Schwetzinger Liederabend vom Mai 1958, der seit 2009 bereits auf hänssler classic erhältlich ist, ist nun auch bei Andromeda erschienen. Er präsentiert Elisabeth Grümmer als kluge Interpretin bekannter Lieder von Mozart, Schubert, Brahms und Wolf. Ihr regelmäßiger Partner am Klavier, Hugo Dietz, bleibt dabei allerdings recht passiv. (ANDRCD 9085).

grümmerNeu hingegen ist die fabelhafte Kompilation von Mozart-Aufnahmen des Bayerischen Rundfunks aus den Jahren 1952, 1960 und 1962 auf dem hauseigenen Label (BR Klassik 900308). Mit Hans Altmann hat sie hier einen sensibleren Begleiter für sieben Mozart-Lieder und das Münchner Rundfunkorchester unter Kurt Eichhorn und Horst Stein hat mit ihr auf Deutsch Figaro-Gräfin, Donna Anna und Pamina, sowie auf Italienisch Fiordiligi-Arien eingespielt. Man kann hier alles hören, wofür sie gerühmt wurde, die Leuchtkraft des Soprans, die feinen Nuancen, ihre Ausdrucksfähigkeit, die natürlich klare Artikulation und vor allem die lyrischen, duftig und leicht schwebenden Phrasen, das jugendliche Strahlen in der Höhe. Ihre Intensität wirkt glaubwürdig, authentisch. Freilich ist das stilistisch auch dem Zeitgeschmack um 1960 verpflichtet, doch ihre „Wärme und Innigkeit“ – wie Thomas Voigt es in seinem lesenswerten Booklettext nennt, war im Stande, den „Körper in die Lage zu versetzen, mühelos in Klang zu verwandeln, was Geist und Seele zum Ausdruck bringen möchten.“

Hauptsächlich aus den Archiven des Bayerischen Rundfunks stammen auch die Opernarien auf 4260123641948Francisco Araiza – Legendary Live Recordings bei Solo Musica (SM 194), vom Interpreten höchstselbst mit einem Vorwort begleitet. Sie spiegeln in ihrer Auswahl von Mozart und Rossini über Bizet, Gounod, Massenet hin zu Verdi, Puccini, Giordano, Tschaikowsky und schließlich Wagner den Karriereweg des Tenors. Leider ist der Hauptteil der Aufnahmen (vieles stammt aus Münchner Sonntagskonzerten) zwischen 1987 und 1994 entstanden und blendet (mit Ausnahme von Rossinis „Ecco ridente in cielo“  aus dem Jahr 1978) die ersten zehn, spektakulären Karrierejahre des eleganten Mozart- und Belcanto-Tenors aus, der nicht nur (aber vor allem dort) in München, Wien und Zürich die Frauenherzen höher schlagen ließ. Mozart ist nur mit den beiden Don Ottavio-Arien vertreten (wobei „Il mio tesoro intanto“ von 1994 dem Tenor schon seine ursprünglich Unbeschwertheit fehlt), seine Paraderollen Tamino, Belmonte und Ferrando fehlen leider. Mit Ausnahme eines sehr lyrischen, kräftigen „Ein Schwert verhieß mir der Vater“ aus Gustav Kuhns Walküre in Erl von 2007 (und dem Almaviva von 1978) stammen die Tondokumente also aus jener Zeit, als Araiza den Schritt vom lyrischen Mozarttenor hin zum lirico spinto machte. Nicht jeder, der diesen Karriereschritt miterlebte, hat ihn  verstanden, die Leichtigkeit ging verloren, vieles was früher mühelos kam, klang plötzlich deutlich erarbeitet, exponierte Töne wurden an einigen Abenden zu Wackelpartien, egal ob Rodolfo in München oder Riccardo in Zürich. Was Mitte der Achtziger mit Gounods Faust oder Massenets Des Grieux und Werther noch gut gelang, löste sich mit Verdis Duca oder Manrico nicht ein. Davon ist in dieser Auswahl jedoch wenig zu hören, sie gilt einem Künstler, der vor allem mit strahlender Stimme, klarem Sitz und Eleganz überzeugt, selbst da wo Kleinigkeiten nicht perfekt sind, wie im „La donna e mobile“ oder Lohengrins Gralserzählung.

podvalovaAus tschechischen Archiven kommt eine Porträt-CD mit Aufnahmen Marie Podvalovás, die zwischen 1936 bis 1978 an der Prager Nationaloper engagiert war. Hier war auch der Mittelpunkt ihrer Karriere, in der sie alle wichtigen Partien ihres Faches, bis hin zu Senta und Tosca sang. Bei Supraphon (SU 3504-2 611) ist sie nun in vier ihrer wichtigsten tschechischen Partien zu erleben. Eine technisch beeindruckende, lyrisch-dramatische Sopranstimme von großer dramatischer Suggestionskraft. Die hervorragend remasterten Aufnahmen mit der Anfang Vierzigjährigen entstanden zwischen 1949 bis 1953 und sind Auskopplungen aus Gesamtaufnahmen von Smetanas Dalibor (Milada) und Libuse, Dvoráks Rusalka (Fremde Fürstin) und Fibichs Sarka. Klima, Krombholc und Chalabala sind die Dirigenten dieser idiomatischen Referenzaufnahmen. Beindruckend ist noch immer Marie Podvalovás Fähigkeit zur klangschönen Attacke, die dramatische Kraft ihrer Bögen und das geschmeidig, flexible Rhythmusgefühl. Außerhalb ihres Heimatlands trat sie, die auch für ihre präsente Bühnenerscheinung und ihr Spiel bekannt war,  kaum auf und so blieb die internationale Karriere zu Zeiten des Kalten Krieges aus. Die bewusste Bekanntschaft mit dieser Stimme, die in zahlreichen Supraphon-Aufnahmen mitwirkte, lohnt unbedingt.

5029365940627Großes editorisches Verdienst hat sich Brilliant Classics mit der Veröffentlichung der 11-CD-Box Valentina Levko – Star of the Bolshoi errungen. Die zwischen 1959 und 1991 entstandenen Studioaufnahmen und Livemitschnitte, vornehmlich aus sowjetischen Archiven (Melodiya), aber auch ein paar Lizenzen des Deutschen Rundfunkarchivs sind darunter, decken die große Spannbreite ihres Mezzo- und Alt-Repertoires ab. Von Bach bis hin zu zeitgenössischer sowjetischer Propaganda und Volksliedern reicht die Spanne. Liedern von Tschaikowsky und Rachmaninow ist jeweils eine ganze CD gewidmet. Von den etwa 40 Jahren ihrer Karriere, war sie 25 Jahre Sängerin des Bolshoi, wo sie seit 1956 alle wichtigen Partien ihres Fachs sang und als eine der bedeutendsten Künstlerinnen ihrer Generation verehrt wurde. Heute im Westen kaum noch bekannt, gab sie in den 60ern und 70ern erfolgreiche Gastspiele u.a. in Mailand, New York, Tokio, in Frankreich und der BRD. 1968 und 1970 tourte sie mit Programmen in Westdeutschland, in denen sie vor allem russische Kunst- und Volksieder sang. Die Stimme hat ein charakteristisches, durchaus warmes Timbre, ist beweglich in allen Registern und hat trotz aller Stimmschönheit auch eine gute Anlage für dramatische Momente. Die Interpretationen stehen selbstredend in der Tradition der russischen Schule, stilistisch ist vieles aus der Zeit heraus zu sehen, entbehrt aber nicht einer gewissen Faszination. Die Natürlichkeit, die die Stimme bei aller Wandelbarkeit von dramatischem Impetus für die Oper, über die Gefühlswelten romantischen Liedrepertoires bis hin zur Schlichtheit ihrer Interpretationen von arie antiche hat, bleibt die faszinierende Konstante dieser auch technisch makellos ausgebildeten Stimme. Die Ausstattung der Box ist wie stets bei Brilliant sparsam gehalten, dennoch informiert ein kleines Beiheft über biographische Daten und die Programme der einzelnen CDs (Brilliant Classics 9406).

Moritz Schön

  1. David N.

    Habe vor ein paar Tagen die neue CD von Francisco Araiza „No Limits“ gekauft und finde sie einen absoluten Glücksfall. Leider versäumt es der Verfasser der Kritik auf die Glanzleistungen, der einzelnen Arien einzugehen und die Vielseitigkeit auf höchstem Niveau des Sängers zu erwähnen. Stattdessen wurden vermeintliche Mängel angedichtet z. B. in eine Rolle hinein, die Francisco Araiza NIEMALS GESUNGEN HAT, den Manrico!!! Hat der Verfasser ihn vielleicht verwechselt? – Peinlich!

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    1. Moritz Schön

      Nein, hier liegt keine Verwechslung vor. Sie haben Recht, den Manrico hat Araiza schließlich nicht gesungen, ihn aber damals konkret angekündigt gehabt. Schön, dass Ihnen die CD gefällt und Sie darauf „Glanzleistungen“ hören.

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