So aufwändig wie sichtbar mit großer Liebe gemacht sind die CD-Bücher oder wie man sie sonst nennen mag bei Desirée Records, die dem Andenken großer australischer Sänger gewidmet sind. In dem den CDs angemessenen quadratischen Format, durch die braun-gelbe Farbgebung vergilbt erscheinend, verbergen sich ein umfangreicher Text des Produzenten Brian Castles-Onion über den Werdegang des jeweiligen Künstlers, oft viele, manchmal weniger Fotos, das letzte eines aus der Zeit nach der Karriere, und Anmerkungen zu den einzelnen Tracks, darüber, wo, wann und mit welchen Partnern eine Partie gesungen wurde. Manchmal taucht ein Stück auch mehrmals auf, um die Entwicklung der Stimme zu dokumentieren, oder es gibt eine originale und eine englische Version. Jedem Sänger sind drei CDs gewidmet, deren technische Qualität recht unterschiedlich ist, die am wenigsten vollkommenen wurden wohl heimlich und damit nicht unter den besten Bedingungen aufgenommen (zu beziehen über: https://fishfinemusic.com.au/).
Die erste Dreifach-CD ist der Sopranistin Nance Grant zugedacht, die zunächst Klavier studierte, ehe sie sich dem Gesang zuwandte, und die an der Australian Opera Karriere machte, nachdem Edward Downes dort Direktor geworden war. Von Händel bis Britten sang sie alles, was die Musikliteratur für einen recht dramatischen Sopran bereit hält, ihre Karriere beendete sie im Jahr 1991. Gluck, viel Mozart, Verdi und Wagner, aber auch Richard Strauss gehörten zu ihrem Repertoire, und als Orfeo offenbart die erste CD eine sehr reiche Stimme mit dunklem Grund und melancholischem Touch. Eine ausgesprochene Mozartsängerin dürfte sie nie gewesen sein, besonders als Donna Anna sprengt sie das stilistische Mozart-Korsett mit leidenschaftlicher Klage, erkämpft sich die Höhen und klingt auch manchmal scharf, während die Contessa auf die Wehmut in der farbenreichen Stimme bauen kann. Vorzüglich geeignet erscheint sie für die Senta mit der notwendigen Hysterie in der Stimme, und als Sieglinde, leider nur konzertant, thront der Sopran siegreich über dem Orchester. Ortrud war die letzte Partie der Grant, die Elsa auf der CD süß-malizös betört, für Elisabeth klingt der Sopran nicht keusch genug, leider ganz schlecht ist die Aufnahme als Marschallin, und auch als Fidelio hätte man gern eine jünger klingende Stimme. Auf der dritten der drei CDs überrascht die Sängerin mit einer schlanken Lucia, interessanten Verzierungen, wenn auch nicht so weich klingend wie ein italienischer Sopran, und als Violetta des 1. Akts prunkt sie mit zusätzlichen hohen Tönen und einer Cabaletta wie aus einem Maschinengewehr. Ihre Blonde ist ganz Kratzbürste und kein bisschen zu soubrettig (GAV 001).
Nur eine der vier (bisher?) erschienenen Aufnahmen ist einem Sänger, dem Bariton Robert Allman (Desirée Records GAV 004), gewidmet, der von 1927 bis 2013 lebte, u.a. in Paris studierte und ab 1955 an Covent Garden sang, aber auch in Deutschland oder in Zürich. Eine Tournee mit Joan Sutherland und Luciano Pavarotti dürfte auf dem Höhepunkt seiner Karriere stattgefunden haben. Die Fotos zeigen einen äußerst attraktiven Sänger mit markanten Zügen, sein Repertoire war umfangreich, reichte von Mozart über Verdi bis hin zu Wagner. Er wird oft als Bassbariton bezeichnet, hört sich aber eher wie ein Heldenbariton an, und eines der Glanzstücke ist die Auftrittsarie des Holländers, die er mit viel Dämonie in der Stimme und in perfektem Deutsch gestaltet. Für den Gunther klingt die Stimme fast zu markant, dem Wolfram, von dem er „Blick‘ ich umher in diesem edlen Kreise“ singt, traut man ein lyrisches Lied an den Abendstern nicht so recht zu. Für den Amfortas hat die Stimme schöne Schmerzenslaute, für den Jochanaan überzeugend Prophetisches und im Deutschen generell eine gute Diktion. Ganz in seinem Element ist der Sänger in „Nemico della Patria“ mit viel Metall, imponierendem Material und nur eine Spur zu sehr in der Kehle gesungen. Große Bögen und eine sichere Höhe zeichnen die „Cortigiani“ aus, recht veristisch beklagt Macbeth „Pietà, rispetto, amore“ oder vielmehr deren Fehlen, generell, so auch beim Simone, wird dem „Ausdruck“ die eine oder andere Gesangslinie geopfert, während Scarpia und Telramund auch stilistisch ganz auf der Höhe sind. Berlioz (Trojans) auf Englisch klingt doch sehr fremd (und ein wenig proivinziell), Orest auf Deutsch vorzüglich, weil dunkel umnachtet und eindringlich. Für Leporello war die Stimme, wenigstens zum Zeitpunkt der Aufnahme, nicht mehr besonders geeignet. Die Bekanntschaft mit diesem Sänger lohnt sich auf jeden Fall.
June Bronhill, eigentlich mit Nachnamen Gough, den sie zugunsten des Namens ihres Geburtsortes ablegte, war ein Koloratursopran mit häufigen Ausflügen in Operette und Musical namentlich in England mit Star-Status im leichten Fach, was sich anhand ihrer drei CDs überprüfen lässt. Sie führt sich beim Zuhörer mit einer reichlich neckischen Martha ein, mit höhensicherer und klarer Stimme, die besser noch zur Norina, die folgt, passt. Diese hat wie die Blonde die akustischen Krallen für die Rolle, während Maria Stuarda einfach zu soubrettenhaft klingt, auch wenn die Partie technisch bewältigt wird. Mehr als bei dem Bariton wird hörbar, dass auch Singen modisch vom jeweiligen Zeitgeschmack abhängig sein kann. Das macht sich auch bei den beiden Arien Gildas bemerkbar, wo auch in der zweiten die stupenden Höhen wichtiger zu sein scheinen, als die Situation, in der gesungen wird, die Tiefen bei den Intervallsprüngen nach unten matt klingen. Heute würde man eine Stimme mit mehr corpo bevorzugen. In La Rondine verfügt der Sopran über eine tolle Höhe, ist aber eher Kammerkätzchen als Herrin und ohne das Geheimnis, das die Figur umgeben sollte. Die Erfahrung mit der Operette wird unter anderem mit der Lustigen Witwe dokumentiert, es schadet nichts, wenn der Vortrag leicht manieriert klingt, Una voce poco fa stammt wohl von einer Platte mit einem Knacks, Lucia und Mimi stellen sich mit Klavierbegleitung vor und beweisen, dass sie, mehr noch die Erstere, ins Repertoire von June Bronhill gehören (GAV003).
Bereits mit 36 Jahren musste Jenifer Eddy 1974 wegen einer Krankheit von der Opernbühne in das Büro einer Künstlervermittlung wechseln, wo sie allerdings auch eine beachtliche Karriere machte. In ihrem Booklet taucht auch ein Foto mit Widmung von Dietrich Fischer-Dieskau auf, mit dem sie nicht nur die Begegnung zwischen Zerlina und Don Giovanni vereinte, sondern auch die Liebe zum deutschen Lied, wovon der größte Teil der letzten CD Kunde gibt. Schumann, Wolf und Schönberg sind hier vertreten und werden sehr einfühlsam und in perfektem Deutsch gesungen. Besonders die berückenden Pianissimi lassen den Hörer staunen. Hier hört man auch nicht, dass sie nach Harald Rosenthal „die beste englische Soubrette“ ihrer Zeit war, sondern freut sich wie auch bei ihrer doppelt vertretenen Adele über eine reine, klare, süße Mädchenstimme von schöner Zartheit. Von Zerbinetta gibt es leider nicht die „Großmächtige Prinzessin“, aber auch in den „Huguenots“ kann sie diese Qualitäten und dazu eine stupende Technik unter Beweis stellen (GAV006)
Man hört also alle zwölf CDs mit großem Gewinn, bewundert die Qualitäten der vier Stimmen und konstatiert, inwieweit die Hörgewohnheiten seit der gar nicht so weit zurückliegenden Zeit, in der sie wirkten, sich geändert haben. Weitere Veröffentlichungen wären zu begrüßen. Ingrid Wanja
Und als nachgereichten Bonus gibt es im selben Format noch eine Joan-Sutherland-Veröffentlichung bei Désirée Records GAV (004)/ Cover oben: Live-Mitschnitte in zum Teil wirklich schwierigem Sound, was rabiate Fans der Diva vom Kauf nicht abhalten wird. Wegen der akuten Seltenheit nehmen diese Ausschnitte aus Lucia, Sonnambula, Faust, Semiramide, Elisir und – ungemein selten – Eugen Onegin anlässlich ihrer großen Australien-Tournee 1965 besonderen Platz in der Diskographie für Freunde ein, namentlich für die „Aussies“, die an berühmten Sängern nicht sonderlich gesegnet sind und die Joan Sutherland zu recht für die legitime Nachfolgerin der anderen großen australischen Sängerin halten, Nellie Melba. 1965 feierte die Sutherland-Williamson-Grand-Opera-Season rauschende Erfolge in den Hauptstädten des Kontinents, und viele der Besucher werden sich diese Live-Mitschnitte als Memoramibilien hinlegen. Ausgestattet ist das 3-CD-Album luxuriös mit schönen Fotos, Bekenntnissen der Diva sowie ein detallierter Bericht über den Ablauf und die Aufnahme der Tour. Umgeben ist La Stupenda in diesen reifen Tagen ihrer Karriere von illustren wie kompetenten Kollegen: Luciano Pavarotti strahlt routiniert neben ihr in der Traviata, John Alexander gibt die Tenorfolie in weiteren Auftritten, dazu kommen Cornelius Opthof, Richard Cross, die wunderbare Lauris Elms und die unerschütterliche Monica Sinclair, Elizabeth Harwood, Spiro Malas, Alberto Remddios, der Kanadier Joseph Rouleau, John Ward neben Ortsansässigen wie der bezauberndernden Margreta Elkins, Australierin wie Sutherland, mit der sie ja oft gesungen hat. Unter den Dirigenten finden sich neben Ehemann Bonynge vor allem auch der von mir sehr geschätzte John Matheson (der die hinreißenden Verdi-Original-Fassungen bei der BBC leitete) und andere mehr. Was für eine großartige Sache war doch die Grand-Season-Tour 1965. Und Dank an Brian Castle Onions, dem spiritus rector dieser Zusammenstellungen, der ja bereits manche Alben der Stupenda herausgebracht hat. G. H.