Fidi en bloc

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Dietrich Fischer-Dieskau – Complete Lieder Recordings on Deutsche Grammophon (00289 486 2073). Die neue DG-Box hat die Ausmaße eines Grundsteins. Des Grundsteins zu einem musikalischen Denkmal für einen der bedeutendsten Sänger nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Tat gibt es auch richtige plastische Darstellungen zum Ruhme von Vertreter der singenden Zunft in Parks und an Straßen. Sie lassen sich anfassen und taugen Touristen als Fotomotive. Neuerdings begegnet man Maria Callas lebensgroß am Fuß der Akropolis in Athen. Kirsten Flagstad, mit der Fischer-Dieskau als Kurwenal beim Tristan Furtwänglers noch im Studio zusammentraf, steht vor dem Opernhaus in Oslo. Als Büste findet sich Caruso in der Nähe seines Geburtshauses in Neapel. Kaum wiederzuerkennen ist Fritz Wunderlich in ebensolcher Darstellung in seinem Heimatort Kusel. Und Gottlob Frick grüßt mit Schlips und Kragen Spaziergänger von seinem Sockel in Mühlacker, wo er starb.

Es darf darüber gestritten werden, ob derlei stumme Abbilder, deren Existenzform die Erstarrung in Bronze oder Stein ist, Sängern gerecht werden können. Ich bezweifle das. Sie geben keinen Ton von sich. Gründet sich das Andenken nicht vielmehr auf die Zeugnisse ihre Wirkens – die Tonaufzeichnungen? Im Falle von Fischer-Dieskau ist daran kein Mangel. Auf dem Grundstein der neuen Edition – um im Bilde zu bleiben – türmen sich Berge von Tonträger aller Art und unterschiedlichster Provenienz. Filme sind auch dabei. Fischer-Dieskau war bei mehreren Firmen sehr aktiv. Nicht alles ist zugänglich. In Rundfunkarchiven und privaten Sammlungen hat sich angestaut, was so schnell nicht ans Licht gelangen dürfte. Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, was es alles gibt. Die bislang umfangreichste Diskographie legte Monika Wolf vor, zuletzt 2005 erschienen bei Book on Demand. Audite kommt das Verdienst zu, anlässlich des 85. Geburtstages des Sängers Teile des Rias-Archivs erschlossen zu haben. Beim Rundfunk im amerikanischen Sektor der geteilten Stadt, wurden die Potenziale des politisch unbelasteten jungen Sägers sehr früh erkannt und dokumentiert. Er stand für den Neubeginn wie kaum ein anderer.

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Dietrich Fischer Dieskau Das Foto/DG (im Original schwarz-weiß) stammt aus dem Booklet der neuen Edition und zeigt den jungen Dietrich Fischer-Dieskau am Neujahrstag 1950. Kurz zuvor hatte die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Deutschen Grammophon begonnen.

Die Edition bietet 107 CDs auf, dazu ein broschiertes Buch mit 238 Seiten, das erklärende Texte, die Tracklisten sowie zahlreiche Fotos enthält. Präferiert wird die Einteilung nach Komponisten. Musikalisch gesehen, stellen sie das höchste Ordnungsprinzip dar. Die Sammlung beginnt denn auch mit Philipp Emanuel Bach. Ludwig van Beethoven schließt mit 5 CDs direkt an, gefolgt von Johannes Brahms, der einmal kurz durch die Biblischen Lieder von Antonin Dvorak unterbrochen ist (12), Franz Liszt (4), Carl Loewe (2), Gustav Mahler (3). In ihrer Gesamtheit bezeugt die Zusammenstellung Jahre der Meisterschaft, in denen er ständig als künstlerischer Weltbürger unterwegs war, auf Opernbühnen und bei den internationalen Festivals. Allein in Salzburg fehlte er in fünfzig Jahren nur selten. Erstmals sang er dort 1951 noch unter Wilhelm Furtwängler die Lieder eines fahrenden Gesellen. Um das halbe Jahrhundert voll zu machen, trat er zuletzt als Sprecher und als Dirigent auf. In der Edition wird er bei den Gesellen-Liedern von Rafael Kubelik und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks begleitet (1968). Sie bilden mit den Kindertotenliedern, den Rückerliedern, bei denen Karl Böhm die Berliner Philharmoniker leitet (1963) und dem Lied von der Erde in zweifacher Ausführung die Mahler-Abteilung. Vom Komponisten als Symphonie für eine Tenor- und Alt- (oder Bariton-)Stimme bezeichnet, sprengt Das Lied von der Erde zwar den Rahmen, der Titel aber legitimiert die Berücksichtigung. Zu hören sind der allseits bekannte Wiener Mitschnitt mit Fritz Wunderlich unter Josef Krips (1964) sowie die von Leonard Bernstein geleitete Studioproduktion mit James King (1966). Nach Mahler kommt Friedrich Nietzsche (1). Danach wird die alphabetische Reihung unterbrochen, was noch mehrfach notwendig ist, wenn nämlich ein Komponist nicht eine ganze CD ausfüllt. Es folgt Max Reger, der sich eine CD mit Hans Pfitzner teilt. Auf der zweiten CD mit Liedern von Othmar Schoeck ist noch Platz für den Hermann-Hesse-Liederzyklus Leb wohl, Frau Welt von Gottfried von Einem.

Die Lieder Schuberts bilden den Mittepunkt der neuen Edition. Zuerst sind sie in prachtvoll ausgestatteten Plattenkassetten erschienen.

Wie ein monolithischer Block erheben die Franz-Schubert-Lieder auf 31 CDs heraus. Damit wird überdeutlich, wem die beständige große Liebe des Baritons galt. Wie kein anderer Komponist hat Schubert seine lange Karriere geprägt und er die Interpretationen seiner Lieder. Diese Erfahrungen hat er sogar in einem Buch mit dem Titel „Auf den Spuren der Schubert-Lieder“ zusammengefasst, das 1976 erstmals bei Bärenreiter erschien und seitdem eine große Verbreitung fand. Dessen letzter Satz: „Wenn es auch künftig Hörer mit einem Gefühl für Künstlerisches geben wird – immer vorausgesetzt, es handele sich um eine Kommunikation zwischen Interpreten höchsten Ranges und ebensolchen Hörern -, dann wird die meisterliche Vertonung eines Gedichts ein unvergängliches Erlebnis bleiben.“ Nicht ohne Eitelkeit beschreibt er mit diesen Worten Ziel und Zweck seines künstlerischen Wirkens. Er war nie auf ein Massenpublikum aus, das ihm nicht hätte folgen können. Vielmehr wollte er Menschen um sich haben, die ihn verstanden, bei denen er – gleich einem Dozenten im Hörsaal – nicht erst bei null anfangen musste, um höhere Erkenntnisse zu vermitteln. Für dieses Publikum ist die Grammophon-Edition, für die im heimischen Regal der Brockhaus oder der Goethe etwas zur Seite gerückt werden müssen, genau richtig. Fischer-Dieskau kam nie von Schubert los, hat nach immer neuen Ansätzen und Ausdrucksmöglichkeiten gesucht. Die Ergebnisse sind – je nach Wahrnehmung und Erwartung – bekanntermaßen unterschiedlich ausgefallen. Zwei Drittel der Schubert-Titel gehen auf die Einspielungen mit Gerald Moore zurück, die zwischen 1966 und 1972 in Berlin entstanden und bereits als Sammelbox herausgekommen sind. Über Frischer-Dieskau reden, heißt, auch über Moore reden. Der diskrete englische Pianist und Fischer-Dieskau waren ein ideales Paar. Ihre Interpretationen sind wie aus einem Guss. Moore versteht seinen Roll als Begleiter ohne eigene herausgehobene Ambitionen. Er gestattet dem Sänger den künstlerischen Vortritt, der sich auf den versierten Mann am Klavier hundertprozentig verlassen kann. Daraus gewinn Fischer-Dieskau seine absolute Sicherheit, die sich im Zusammenspiel mit Moore als durch und durch harmonisches Erlebnis mitteilt. In dem bereits erwähnten Buch nennt ihn der Sänger den „König unter den Begleitern“. Es entspreche seinem Rang, dass er wohl der „einzige Liedpianist auf der Welt“ sei, der sämtliche Schubert-Lieder gespielt habe. „Dabei erweist sich vor allem sein rhythmischer Impetus als ein Wesenszug, auf den eine Schubert-Interpretation nicht verzichten kann.“

Dietrich Fischer-Dieskau und der englische Pianist Gerald Moore arbeiteten oft zusammen. Der Sänger nannte ihn den „König unter den Begleitern“. Foto/DG Archive

Dennoch bevorzuge ich die frühen Aufnahmen, die mir nicht so gedankenschwer und ausgeklügelt vorkommen. Wenngleich Fischer-Dieskau auf mich stimmlich alterslos wirkt, finde ich sie freier und unbekümmerter. Sein einzigartiges Können, stimmlich wie interpretatorisch, hat sich nicht erst mit der Zeit herausgebildet. Es war von Anfang an da – nachzuhören in seiner ganz frühen Einspielung der Lieder Ihr Bild und Das Fischermädchen aus dem Schwanengesang vom März 1949. Da war er gerade mal Mitte zwanzig. Beim ersten Lied zwingt der unbekannte Begleiter den Sänger zu einem extrem langatmigen Tempo, das ihm viel technisches Können abverlangt. Mit fast dreieinhalb Minuten dauert es deutlich länger als in den beiden kompletten Aufnahmen in der Edition mit Moore (1972) und Alfred Brendel (1982). Die Stimme klingt ungemein sanft. Fast unmerklich erhebt sie sich aus der Klavierstimme heraus, entfaltet mit großer Ruhe den melancholischen Zauber von Heines Lyrik, die in der Musik Schuberts aufzugehen und ihre Entsprechung gefunden zu haben scheint. Was er nicht als Talent mitbrachte, hat der Anfänger offenkundig so rasch wie gut gelernt. Konsonanten sind für ihm kein Problem, er kann sie singen wie Vokale, ist immer zu verstehen, weiß in jedem Moment, was er singt. Man spürt ganz deutlich, worauf es hinaus will. Schon im Anfang war der Weg dieser einzigartigen Karriere genau vorgebildet. Obwohl auf CD 52 etwas versteckt, wirken diese zwei Lieder gemeinsam mit den Vier ernsten Gesängen von Brahms – ebenfalls 1949 als erste Platte für die Deutsche Grammophon eingespielt – wie der Ursprung für den gesamten Bestandes der Edition.

Das Buch von Dietrich Fischer-Dieskau über die Lieder Schuberts wurde in mehreren Auflagen veröffentlicht.

Erst im Booklet-Text „Wie Melodien zieht es“ von Markus Kettner, der sich mit sechs bisher unveröffentlichten Aufnahmen beschäftigt, ist zu erfahren, dass beide Lieder in diese Kategorie gehören. Was noch? 1972 kam Janet Baker nach Berlin, um mit Fischer-Dieskau Duette von Schubert aufzunehmen. Das Punschlied – auf der Bandschachtel als „Rest-Original“ bezeichnet – „verblieb im Archiv und wird hier erstmals veröffentlicht“, so Kettner. Einen ähnlich gelagerten Fall gibt es mit der Nummer drei von Schumanns Tragödie op. 64 „Auf ihrem Grab, da steht eine Linde“. Sie fehlt auf dem originalen Plattenalbum mit Duetten dieses Komponisten für zwei Singstimmen, an dem auch Julia Varady und Peter Schreier mitwirkten. „Als Besonderheit mag freilich erschienen, dass dieses kurze Duett, das von Schumann für Sopran und Tenor vorgesehen war“, von Schreier und Fischer-Dieskau interpretiert werde, obwohl der Text vom „Müllersknecht mit seinem Schatz“ berichte. Eine verspätete Premiere erfahren schließlich die Sapphische Ode – ein originäres Frauenlied – und „Wie Melolien zieht es“. Obwohl mit Daniel Barenboim als Begleiter im Rahmen eines großen Brahms-Projekts Ende der 1970er Jahre aufgenommen, verblieben beide Titel aus ungeklärter Ursache für mehr als vierzig Jahre im Archiv.

Auf Schubert – um die lexikalische Ordnung der Edition wieder aufzugreifen – folgt Robert Schumann mit 11 CDs. Im Zentrum stehen gleich vier Aufnahmen der Dichterliebe mit Christoph Eschenbach (1976), zweimal mit Jörg Demus (1957 und 1965) sowie mit Alfred Brendel (1985). Der Zyklus hat im Wirken des Sängers einen ähnlichen Rang wie Schuberts Winterreise. Zwei CDs sind Dmitri Shostakovich gewidmet. Dessen 14. Sinfonie – eine Folge von Gesägen, die thematisch um den Tod kreisen, wurde für Bariton und Sopran komponiert. Sie entstammt der Decca-Gesamtaufnahme der Sinfonien mit wechselnden Orchestern unter Bernard Haitink, der hier 1980 das Concertgebouw-Orchester Amsterdam leitet. Mit dabei ist wieder die Ehefrau Julia Varady. Dass auch die Michelangelo-Suite berücksichtig ist, versteht sich bei dem Rang dieses Opus von selbst. Gewählt wurde die orchestrierte Fassung mit dem von Vladimir Ashkenazy geleiteten Radio-Symphonie-Orchester Berlin (1991).

Die berühmte Plattenproduzentin Elsa Schiller betreute viele Einspielungen bei Deutsche Grammophon. Foto/Sammlung Marta Dobay-Fricsay

Dem Alphabet nach ist nun Richard Strauss an der Reihe (4). In dessen Opern hat Fischer-Dieskau deutlichere Spuren hinterlassen als in seinem Liedern. Die Wahl fiel auf mehrere Werkgruppen mit Titeln wie Ruhe meine Seele, Morgen, Ich trage meine Minne, Heimliche Aufforderung oder Schlechtes Wetter. Begleitet wird er von Wolfgang Sawallisch, der als Dirigent bereits 1958 im EMI-Studio in London mit Fischer-Dieskau zusammentraf, als der den Olivier in der ersten Platteneinspielung des Capriccios von Strauss sang. Beim Krämerspiegel begleitet Demus. Das Melodram Enoch Arden, 1964 ebenfalls gemeinsam mit Demus produziert, ist gewissermaßen ein Vorgriff auf das Finale der Edition, die mit reinen Sprachaufnahmen ausklingt (106 und 107), in denen der Sänger Einblicke in seine Werkstatt gibt. Er hatte eine aristokratische Sprechstimme, die ihn dazu prädestinierte, auch rezitierend aufzutreten. Das ging so weit, dass er für die EMI die Schöne Müllerin um Prolog, Epilog und jenen Versen von Wilhelm Müller ergänzte, die Schubert nicht vertont hatte. Enoch Arden verlangt nach einem Schauspieler. Schließlich hatte Strauss das ausladende Melodram 1897 für Ernst von Possart geschaffen, der vor allem in den Dramen Shakespeares in Erscheinung trat. Es war in seiner Zeit sehr populär. Fischer-Dieskau schätze es. Von seinen mindesten drei Einspielungen nimmt die Edition gleich zwei auf. Neben der ersten, die damit endlich auf CD gelangt, die letzte von 2003 als er seine aktive Sängerlaufbahn längst beendet hatte. Nach einem mit Aribert Reimann am Klavier gestalteten Pyotr-Tchaikovsky-Programm von 1981 folgt der letzte große Block (12), der Hugo Wolf gewidmet ist. Wie Elisabeth Schwarzkopf hat auch Fischer-Dieskau bei der Beschäftigung mit diesem Komponisten, der vornehmlich Lieder hinterließ, das Ausdrucksspektrum deutlich erweitert. Die ersten Versuche auf Tonträger sind von 1951 belegt, als er mit der Pianistin Hertha Klust, die beim kulturellen Neubeginn im Nachkriegs-Berlin eine wichtige Rolle spielte, Teile des Italienischen Liederbuchs einspielte. Als Gesamtaufnahme ist der Zyklus in der Edition zweifach zu finden – mit Irmgard Seefried und Erik Werba (1958) sowie mit Christa Ludwig und Daniel Barenboim (1974/1975). Beim Spanischen Liederbuch sind die Schwarzkopf und Moore die Partner. Bleibt noch Alexander Zemlinsky für den letzten Buchstaben des Alphabets. Dessen Lyrische Symphonie mit sieben Gesängen für Sopran, Bariton und Orchester sprengt noch einmal den Rahmen. Mit Lorin Maazel am Pult der Berliner Philharmoniker bietet das 1981 eingespielte Werk abschließend noch eine Gelegenheit, das Ehepaar Fischer-Dieskau/Varady als künstlerisch erfolgreiches Team in Erinnerung zu rufen.

Die Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem wurde von zahlreichen Plattenfirmen, darunter die Deutsche Grammophon, wegen ihrer idealen Akustik als Aufnahestudio genutz. Foto/Wikipedia

Mal mehr, mal weniger bekannt sind die Titel. Sensationsfunde dürfen nicht erwartet werden. Editionen tragen in klarer Übersicht zusammen, was es schon immer gab. Die genau aufgeschlüsselten Aufnahmedaten und Aufnahmeorte – oft das Studio Lankwitz und die Jesus-Christus-Kirche in Berlin – lassen ein zusätzliches Ordnungsprinzip erkennen. Die Produzenten, deren Anteil am Zustandekommen von Tonaufnahmen nicht hoch genug zu würdigen ist, werden genannt. Zu des Sängers Zeiten hatten sie das Sagen in den Studios. Sie wachten über die musikalische Genauigkeit, standen mit ihren Namen wie ein Gütezeichen für Qualität. Immer wieder wird Cord Garben genannt, der sich auch als Dirigent und Liebegleiter hervorgetan und die erste Gesamteinspielung der Lieder und Balladen von Carl Loewe bei cpo zustande gebracht hat. Von 1984 an leitete er bei der Grammophon zudem sämtliche Opernproduktionen, für die er sieben Grammys erhielt. Hinter den Kulissen verantwortete auch Elsa Schiller (1897-1974) Plattenproduktionen mit Fischer-Dieskau und anderen legendären Sängern. Ihre Nachfolge war Otto Gerdes (1920-1989), der nebenbei dirigierte. Beim Grammophon-Tannhäuser mit Fischer-Dieskau als Wolfram, Wolfgang Windgassen in der Titelrolle und Birgit Nilsson als Venus und Elisabeth stand er am Pult Orchesters der Deutschen Oper Berlin.

Nicht immer bilden die CDs die ursprünglichen Platteninhalte ab. Die Edition konnte auch die Reihenfolge der Lieder nach Komponisten nicht durchgehend einhalten. Vor allem dann nicht, wenn Versen von Goethe von unterschiedlichen Komponisten vertont wurden. Es bedarf – um dieses Beispiel weiterzuverfolgen – eigener Recherche, um herauszufinden, dass es sich dabei um die komplette Übernahme einer 1972 erschienen Platte mit Demus am Hammerflügel handelt. Sie erschien ursprünglich als eine der erlesenen Grammophon-Archiv-Produktionen, wurde später bereits in eine Sammlung mit frühen Aufnahmen des Sängers für die Firma übernommen. Typisch für diese Archiv-Reihe und typisch für den Sänger ist das Programm mit seltenen Kompositionen von Zeitgenossen des Dichters, darunter Johann Friedrich Reichardt, Carl Friedrich Zelter, Conradin Kreutzer, Siegmund von Seckendorff, Christian Gottlieb Neefe und Anna Amalia von Preußen, jüngste Schwester Friedrich des Großen – und nicht zu verwechseln mit Herzogin Anna Amalia in Weimar. Wie so oft, begab sich Fischer-Dieskau auch hier auf Spurensuche durch die Musikgeschichte. Er hielt sich nämlich nicht nur bei den großen Namen auf, die für das Publikum und die Industrie bis heute Selbstläufer sind. Mit seiner ganzen Autorität setzte er sich mit schöner Regelmäßigkeit für jene ein, die aus dem Schatten der Giganten nie herauskamen, zumindest lokal aber einen durchaus bemerkenswerten eigenen musikalischen Beitrag leisteten, der mehr Aufmerksamkeit verdient. Rüdiger Winter

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