„Es ist viel wunderbare Poesie.“

 

Über die bulgarische Mezzosopranistin Vesselina Kasarova muss man nicht mehr viele Worte machen – ihre beeindruckende Karriere im Mezzo-Fach auf den Bühnen der Welt spricht für sich, namentlich für die Zürcher Besucher sind ihre bewegenden Partien wie Carmen oder die Monteverdische Penelope nachhaltig in Erinnerung. Dass sie aber nicht nur eine bedeutende Opernsängerin mit vielen Aufnahmen für die Fans ist, zeigt sie immer wieder in ihren Liederabenden und Einspielungen, nun neu mit Liedern des wenig bekannten deutsch-französischen Geigers und Komponisten Henri Marteau (* 31. März 1874 in Reims; † 4. Oktober 1934 in Lichtenberg/Oberfranken) bei solo musica/ Sony (SM 263). Diese Lieder, gesungen von Vesselina Kasarova, werden ergänzt durch die „Schilflieder“ vorgetragen von Dietrich Fischer Dieskau in einer Radio-Aufnahme von 1956. Aus diesem Anlass bringen wir nachstehend einen Artikel zum Komponisten und ein Gespräch mit der Sängerin und ihrer Klavierbegleiterin Galina Vracheva von  Ulrich Wirz.

 

Vesselina Kasarova und ihre Pianistin Galina Vracheva/ Foto Thomas Becker

Henri Marteau und sein Werk: Beim Label solo musica erschien als Vol. 2 der Diskographie des kompositorischen Schaffens des französischen-deutschen Geigers und Komponisten Henri Marteau (1874–1934) eine CD mit drei Liedzyklen. Die Lieder op. 19c und op. 28 wurden in Co-Produktion mit dem SRF Zürich in dessen Tonstudio mit Vesselina Kasarova (Mezzosopran) und Galina Vracheva (Klavier) erstmals überhaupt eingespielt. Die Fünf Schilflieder op. 31 interpretierte bereits Dietrich Fischer-Dieskau erstmals im Oktober 1956 für einen Mitschnitt im Studio des NDR als Hörfunkproduktion.

„Entdeckung eines Romantikers“ wurde schon die erste CD betitelt. In der Tat handelt es sich um wertvolle „Entdeckungen“, denn Henri Marteau war weit mehr als nur ein komponierender Geiger. Sein kompositorisches Schaffen bleibt längst nicht auf Werke für sein Instrument oder für dessen Instrumentengattung beschränkt. Zwar hat er auch ein Violinkonzert und ein Cellokonzert komponiert sowie ein Streichtrio, mehrere Streichquartette und-quintette und ein wunderschönes Klarinettenquintett. Unter seinen 45 Werken mit Opuszahl finden sich neben Kammermusik aller Art auch Orchesterwerke, Chorwerke, Kirchenmusik und Lieder. Sogar einen komischen Einakter schrieb er, den er dem schwedischen König Gustav V. gewidmet hat. Die von der Internationalen Musikbegegnungsstätte Haus Marteau und solo musica produzierte Diskographie soll Marteau der Musikwelt als durchaus bedeutenden Komponisten der frühen 20. Jahrhunderts präsentieren.

Die Biographie von Blanche Marteau über ihren Mann/ Amazon

Sein nur sechs Jahrzehnte währendes Leben verlief hochdramatisch. Vor dem Ersten Weltkrieg durchschritt er eine märchenhafte Karriere vom Wunderkind zum nicht zuletzt an vielen Fürstenhöfen gefeierten Weltstar als Violinvirtuose. Von 1900–1907 in Genf und von 1908–1914 als Nachfolger von Joseph Joachim in Berlin wirkte er außerdem als höchst angesehener Violinpädagoge. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg ließ er sich im oberfränkischen Städtchen Lichtenberg, unweit von Hof gelegen, eine stattliche Villa im Heimatstil errichten, die er nach einer mehr als zweijährigen Odyssee durch verschiedene Internierungslager und dem Verlust seines Berliner Lehrstuhls mit seiner Familie nach dem Krieg als Hauptwohnsitz nahm. Seine Karriere und sein Künstlerleben erfuhren in den Kriegsjahren eine dramatische Wende, die auch in seinem kompositorischen Schaffen spürbar ist.

 

Die zwei Liederzyklen Opus 19c und Opus 28: „Während der Schutzhaft zwischen 1915 und 1917 komponiert“ erläuterte Henri Marteau mit Bleistift die Umstände der Entstehung auf dem Deckblatt der Skizzen zum von ihm ursprünglich als Opus 19 gezählten Zyklus. Betitelt sind die 8 Lieder „8 mélodies pour chant avec accompagnement de quatuor d’instruments à archet (2 violons, alto et violoncelle), ou de piano“. Zeitnah bat er seinen in Zürich geborenen und in Berlin ausgebildeten Kammermusikpartner Pantscho Wladigueroff (1899–1978), Bruder des Marteau-Schülers Lüben Wladigueroff, um Einrichtung der Klavierfassung des Werks. Die Gedichte, die Marteau äußerst feinfühlig vertont hat, stammen aus der Feder seiner französischen Landsmänner Sully Prudhomme (1839–1907) und François Coppée (1842–1908).

Henri Marteau/ Wiki

Die Lieder beschreiben bildhaft und symbolisch Natur und Regen, die Landschaft der Bretagne, das Meer und die hübschen Grisetten, die sich nach der Arbeit ihren Liebhabern hinwenden. Als durchaus noch impressionistisch angehaucht entfaltet Marteau in op. 19c eine sehr poetische und atmosphärische Musiksprache. Die meisten Lieder sind in langsamem Tempo gehalten, die Stimmungen eher verhangen und in Moll.

In den 8 Gesängen mit Klavierbegleitung Opus 28 hingegen vertont Marteau deutsche Gedichte, von Friedrich Hölderlin (1770–1843), Otto Julius Bierbaum (1865–1910), Emanuel Geibel 1815–1884), Martin Greif (1839–1911) und von der rumänischen Königin Elisabeth (1843–1916), die eine geborene Prinzessin zu Wied, also deutscher Abstammung, war und die unter dem Pseudonym „Carmen Sylva“ geschrieben hat. Die Lieder sind nun kürzer, die Harmonien dazu angemessen kompakter, die Tempi flüssiger und die Grundstimmung aufgehellt und in Dur.

 

Vesselina Kasarova in „Herzog Blaubarts Burg“ am Staatstheater Wiesbaden/ Foto: Karl & Monika Forster

Und nun die beiden Künstlerinnen im Gespräch mit  Ulrich Wirz:  Beide Werke waren Ihnen bis zum ersten Blick in die Noten unbekannt. Wie war der erste Eindruck, wie kann man die Musik stilistisch einordnen? Vesselina Kasarova: Auf den ersten Blick sehen die Lieder nicht so komplex aus, wie sie sich am Ende dann wirklich erweisen. Wenn man intensiv damit arbeitet, tritt eine Art von Musik zu Tage, die wirklich sehr anspruchsvoll ist auf ihre Weise – der Text und die Musik im Zusammenspiel.

Wenn man sich den Klavierpart anschaut, sieht man wahnsinnig viele Noten. Beim Gesang dagegen kann man es nicht auf den ersten Blick erahnen, aber beim Klavierpart denkt man sofort, die Begleitung ist dick instrumentiert. Galina Vracheva: Ich habe zuerst eine emotionelle Verbindung gesucht, weil mir die vielen Noten sofort gesagt haben, das kann nur impressionistisch sein. Das war in Marteaus Zeit durchaus etwas ganz Gängiges. Er war ja Zeitgenosse von ganz vielen impressionistischen Künstlern, allen voran Claude Debussy. Er schrieb aber auch Harmonien, die an Kirchenmusik erinnern.

Können Sie ein Beispiel nennen?  Galina Vracheva: Durchaus, und zwar „Vitrail“ aus op. 19. Es ist wie ein Gebet, aber auch wie eine ehrliche Betrachtung der Welt, ohne Eitelkeit, ohne menschliche Unzulänglichkeit. Die Harmonien sind knapp, die Farben sind diesmal nicht da, die Kirchenfenster (vitrail) werfen den Blick sozusagen zurück, nach innen. Es ist ein stilles Lied, ein leises Lied, trotzdem wirkt es sehr stark. Es lädt ein zum Innehalten, vielleicht weil man vor seinem Gewissen steht, oder vor dem Allerhöchsten?

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit von Ihnen beiden bei der Erarbeitung? Vesselina Kasarova: Wir sind beide sehr erfahrene Künstlerinnen. Trotzdem – es gab Momente, wo wir viel nachdenken mussten, wie wir die Lieder interpretieren sollen. Wir begannen jede für sich zu Hause Lied für Lied durchzuarbeiten. Galina Vracheva: Bei unserer ersten gemeinsamen Probe suchten wir dann gemeinsam nach verschiedenen Klangfarben. Jeder hatte das zunächst daheim für sich getan und dann gemeinsam eben bei der ersten Probe.

Vesselina Kasarova: „Alcina“ mit Anja Harteros an der Wiener Staatsoper/ Szenen-Still/ Medici-TV

Wie war ihr Eindruck, als Sie die Texte lasen? Vesselina Kasarova: Die Texte – das muss ich sagen – beschreiben die Natur, die Liebe. Es ist viel wunderbare Poesie. Die französische Sprache passt bei den Liedern op. 19c perfekt zu dieser Musik. Man braucht viel Fantasie, man braucht einen Künstler mit viel Gefühl. Jetzt spreche ich für uns beide:  Es braucht auch viel menschliche Erfahrung und die Musik hat auch eine Spur Melancholie. Galina Vracheva: Bei unserer gemeinsamen Arbeit passierte auch viel Merkwürdiges. Ein Beispiel: Wir haben ein neues Lied geprobt. Beim ersten Durchspielen wollten wir verstehen, welchen Eindruck es hinterlässt. Es passiert sehr schnell, die Wirkung ist sehr stark. Es ist uns einmal passiert, dass Vesselina Tränen in den Augen hatte. Ich fragte sie, was los sei. Sie sagte mir, dass sie gerne empfindsame Leute hat. Das finden wir in Marteaus Musik. Er war ein ganz besonderer Mann.

Man findet auch ganz verschiedene Stimmungen in seiner Musik – auch verschiedene Charaktere in seinen Liedern. Vesselina Kasarova: Absolut – wir haben uns die Frage gestellt, welche Tempi wollte er haben? Das ist wirklich schwierig. Nur kleine Nuancen – Millimeter in der Geschwindigkeit – verändern den Ausdruck eines Liedes enorm. Sprachlich manchmal nicht mehr machbar.

Die Tempi sind ein gutes Stichwort. Über die Wirkungsmöglichkeiten der Tempi haben sich Komponisten wohl immer ihre Gedanken gemacht. Marteau schreibt teilweise sehr ausführliche Anweisungen dazu. Wie nahmen Sie diese Hinweise auf?  Galina Vracheva: Die langsamen Tempo-Anweisungen haben uns zuerst ziemlich verwirrt, bis wir darauf gekommen sind, dass uns der Komponist vielleicht durch diese Angaben sagen wollte: „bitte den Text verständlich machen und nicht hastig zum Ausdruck bringen.“ Allerdings interpretiere ich in diese Tempoangaben auch Marteaus Wunsch hinein, den Moment zu erhalten, gewissermaßen „verweile doch…“ zu sagen. Wir sind deshalb ganz vom Text und den musikalischen Phrasen ausgegangen, bis wir so zu einem natürlichen Tempo gefunden haben. Dieser Lernprozess war für uns wie eine Reise in (s)eine innere Welt, die mir persönlich viele Emotionen und nicht zuletzt auch den Schlüssel zur Interpretation gebracht hat.

Vesselina Kasarova: „Il Barbiere di Siviglia“ in Zürich/ Foto-Still/ Medici TV

Und in op. 28? Auch da sind die Tempovorgaben eher getragen. Welche Stimmungen vermittelt uns diese Musik?  Galina Vracheva: Ich könnte mir vorstellen, dass Marteau mit Tempoangaben wie „Maestoso“ oder „Sostenuto“ u. ä., seine musikalischen Ideen geordnet hat. Ansonsten ist die Stimmung in diesem Opus sehr viel positiver, die Melodien sind kürzer, klarer definiert. Das Klavier sorgt hier für die Stimmungen, während die Singstimme mehr beschreibt als erzählt.

Vor allem das Liebeslied, welches diesen Zyklus beschließt, vermittelt den Eindruck, dass sich etwas verändert hat. Man glaubt plötzlich, so etwas wie Leichtigkeit zu spüren? Galina Vracheva: Die Leichtigkeit bei Marteau! Das ist Stoff für einen ganzen Aufsatz. Die Leichtigkeit in diesem Liebeslied ist wie ein Teil der Farben in der enormen Klangfarbenpalette des Komponisten. Schon allein seine Harmonien, und die Wege, die er dafür wählt. Seine Lieder sind für mich wie der Blick in ein Kaleidoskop aus feinem Kristall: drinnen gibt es philosophische Einstellungen, große Poesie, die Liebe zur Sprache, und immer wieder diese Freude, auf harmonische Entdeckungsreise zu gehen, auch wenn das Ziel vielleicht vorher noch gar nicht bekannt ist. Das hat für mich auch eine gewisse Leichtigkeit.

Damit sind wir inmitten der Frage nach der Werktreue bei der Interpretation. Aus dem bisher Gesagten kann ich schließen, dass es Ihnen Marteau in dieser Beziehung nicht leicht gemacht hat? Galina Vracheva: Wir sind beide zu einer Seriosität erzogen worden, wirklich jede Note golden zu nehmen. Das ist wichtig. Nur mit der Zeit mussten wir feststellen, dass seine Tempobezeichnungen mehr den Gesang als das gesamte Duo betreffen. Wir mussten einige Veränderungen vornehmen. Um uns zu versichern, dass wir richtig liegen, haben wir unseren wunderbaren Tonmeister Andreas Werner mit einbezogen. Ich glaube, wir haben es am Ende herausgefunden, aber es waren jedes Mal starke Bilder.

Als Interpret findet man während der Erarbeitung der Werke sicherlich auch seine ganz persönlichen Favoriten? Galina Vracheva: In der Tat: Wir haben schon unsere Favoriten. Ich bin z.B. vom siebten, vom vierten, vom dritten und vom ersten Lied – man könnte weinen und lächeln, wenn man es hört – besonders beeindruckt. Vesselina hat auch Ihre Favoriten. Vesselina Kasarova: Aber für mich wird jetzt wirklich der aller spannendste Moment, wenn wir den ganzen Zyklus erstmals selbst in seiner Gesamtheit zum Anhören bekommen.

Das Grab Henri Marteaus in Lichtenberg/ Wiki

Spannend an der ganzen Geschichte ist auch die Entstehung dieser Lieder. Op. 19 hat Marteau in der Gefangenschaft geschrieben. Das war die schlimmste Zeit seines Lebens, weil er nicht konzertieren durfte. In der Zeit konnte er nur komponieren. Das war eine schwere Zäsur in seinem Leben. Deswegen haben diese Lieder eine sehr wichtige Bedeutung in seinem Leben. Vesselina Kasarova: Umso mehr muss ich bestätigen, was ich gefühlt habe, bei seiner Musik. Diese Lieder haben eine enorme positive Energie. Das war mir vorher nicht bewusst – wenn man das jetzt auch noch dazu weiß.

Marteau schrieb nach Rückkehr aus den Internierungslagern im Frühjahr 1917 Dankesbriefe u.a. auch an den Stadtmagistrat von Lichtenberg, die seine optimistische Grundstimmung zum Ausdruck bringen. Die Briefe zeigen, dass er nicht mehr verbittert war – vielmehr äußert er Dankbarkeit für die gemachten menschlichen Erfahrungen. Er wollte nun das Beste aus seiner Situation machen. Er hat diese Stimmungen in mehrere Kompositionen jener Zeit eingebracht. Galina Vracheva: Ich habe aber auch gemerkt, dass ein Teil der Texte, die er ausgewählt hat, sehr gefühlsfordernd sind – und ein anderer Teil gibt Liebe und Stabilität sowie Reinheit. Das hilft uns sehr bei der Interpretation und überrascht.

Marteau war ein sehr gebildeter Mann mit phänomenaler Literaturkenntnis und er sprach mehrere Sprachen fließend, neben Französisch und Deutsch auch Schwedisch. So konnte er mit Sicherheit alle für die Lieder ausgewählten Texte sehr gut verstehen.  Galina Vracheva: Man hört vor allem, dass Marteau perfekt zweisprachig war, und sich in jeder Sprache genau auskannte mit der Prosodie. Bemerkenswert ist allerdings, dass er die vielen kurzen Silben der deutschen Sprache mit auffallend leichten melodischen Übergängen ausstattet. So klingt es weder abgehackt noch schwer. Für meine Ohren bekommt es dadurch etwas von der Leichtfüßigkeit der französischen Sprache.

Internationale Musikbegegnungsstätte Haus Marteau Lichtenberg/Wiki

Wenn man das in Zusammenhang mit seiner Lebensgeschichte bringt, bekommt das Ganze eine besondere Qualität. Opus 19 schrieb er wie gesagt während der „Schutzhaft“, op. 28 dann daheim in Lichtenberg. Galina Vracheva: In seinen Kompositionen bringt er sehr viele unterschiedliche Stimmungen zum Ausdruck. Aber grundsätzlich spüre ich schon am meisten Freude in Opus 28, und ich glaube, dass er sich in dieser Zeit in seinem Haus in Lichtenberg wieder sehr glücklich gefühlt haben muss. Er war verbunden mit der Natur, er genoss den Blick in diese schöne Landschaft, und er war oft und gerne in Gesellschaft von Gleichgesinnten. Er pflegte Kontakt zu Zar Ferdinand I. von Bulgarien, der im deutschen Exil unweit von Lichtenberg in Coburg lebte und der mit seiner Entourage mehrmals in Haus Marteau Gast war. Der Hausherr empfing die Gäste als Liebhaber der Jagd, und er verabschiedete sie als Liebhaber der Musik.

Sein Haus in Lichtenberg, die ihn dort umgebende Natur haben einen sehr intensiven Einfluss auf seine Klangfarben ausgeübt. Wenn man dort ist, kann man das sehr gut nachspüren. Galina Vracheva: Vesselina sagte einmal bei einer Probe zu mir, was ist das für ein Lied, wie soll ich das interpretieren? Ich habe ihr gesagt, ich muss dich einmal mitnehmen nach Lichtenberg, wenn es dort regnet, dann weißt du, was Henri Marteau gefühlt haben muss, als er das Lied komponiert hat. Ich hoffe, wir werden einmal die Gelegenheit haben, im Haus Marteau diese Lieder darbieten zu können. Das ist eine lebensspendende Oase dort.

Vesselina Kasarova und ihre Pianistin Galina Vracheva/ Foto Adriana Tripa

Im Sommer wurde neben der Villa ein kleiner Konzertsaal gebaut. Der Unterricht soll weiterhin überwiegend in der Villa stattfinden, um dieses besondere Flair zu haben. Wenn wir zum Abschluss zurückkommen auf Henri Marteau und seine Zeit – und noch einmal seine Harmonien betrachten, so war er für mich schon ein Grenzgänger mit Blick auf die „Moderne“ nach dem Ersten Weltkrieg, weil er durchaus ganz gewagte Harmoniewechsel und Harmonien verwendete, die man von einem komponierenden Geiger so überhaupt nicht erwartet. Galina Vracheva: Marteau war ein sehr ernstzunehmender eigenständiger Komponist, und damit eben nicht einfach nur ein komponierender Geiger. Er wagte sich gewiss nicht so weit nach vorne wie Hindemith, mit dessen Liedkompositionen ein zeitgenössischer Kritiker die Fünf Schilflieder mal verglichen hat. Ich weiß, dass für Marteau das Komponieren wie auch das Geige-Spielen in allen seinen Lebensbereichen tägliche Geistesnahrung war. Er hat es vermutlich nie ganz voneinander getrennt, und er hat eben beides täglich getan – bis fast zum letzten Tag (Foto oben: Vesselina Kasarova und Galina Vracheva/ Foto Thomas Becker). Ulrich Wirz