Ein Zeitgenosse Puccinis, aber ein in der Nachfolge von Wagner wie Debussy komponierender Holländer war Alphons Diepenbrock, Autodidakt an Klavier, Viola, Dirigentenstab und selbst Sänger, von dem in den Neunzigern 3 CDs mit Liedern bei Brilliant eingespielt wurden, die jetzt veröffentlicht worden sind. Die längste, eine Stunde beanspruchende, ist deutschen Texten gewidmet, die zweite französischen, so Verlaine und Baudelaire, die zu einem großen Teil bereits vor ihm von französischen Komponisten vertont worden waren, die dritte, gerade einmal vierzig Minuten umfassende, lateinischen, italienischen und holländischen.
Bei allen fällt auf, dass dem Klavier geradezu orchestrale Aufgaben auferlegt werden, dass es nicht eine reine Begleiterfunktion ausübt, sondern oft ein höchst interessantes Eigenleben führt. Daniel Esser begleitet die fünf Sänger vorzüglich, weiß aber auch die besondere Bedeutung seines Parts hervorzuheben. Für einige der Lieder hat der Komponist später, wohl im Bewusstsein davon, noch eine orchestrale Fassung verfertigt.
Nicht erstaunlich ist, dass die Anklänge an Wagner, so der Tristanakkord für Mignon oder Ring-Anklänge für den König von Thule, besonders bei den deutschen Liedern wahrzunehmen sind, die Erinnerungen an Debussy auf der zweiten CD wach werden.
Roberta Alexandra ist auf allen drei CDs vertreten. Für Novalis‘ Texte hat sie die schöne Intimität, eine flirrende Mädchenstimme, für der Spinnerin Lied viel Frische, für Claire de lune ein schönes Flirren und jubelnden Übermut für die Mandoline. Tapfer behauptet die Sängerin in Come raggio di sol sich neben dem dominanten Klavier, einen feinen Jubelklang hat sie für Ik ben eenzaamheid.
Es gibt zwei Mezzosoprane, davon einen holländischen, Jard van Nes, die sich der Mignon und des Königs von Thule mit warmer, runder Stimme angenommen hat, die allerdings an Textverständlichkeit viel zu wünschen übrig lässt. Das ist besonders schade bei dem Lied nach einem Text von Karoline von Günderode, der deutschen Romantikerin, die mit 26 Jahren Selbstmord beging, nachdem ihr leidenschaftliches Aufbegehren gegen die Rolle, die Frauen zu ihrer Zeit zugewiesen wurde, auf wenig Resonanz gestoßen war. „Kann ich im Busen heiße Wünsche tragen?“ ist ein symptomatischer Titel. In Meinacht (holländisch!) kann die Stimme schön aufblühen, aber auch die Muttersprache klingt verwaschen.
Der zweite Mezzosopran stellt sich mit Christa Pfeiler vor, die mit deliziösem Timbre die Invitation au voyage singt, für Incantation auch dramatische Qualitäten hat, apart im Ave Maria klingt und in Bejaard noch einmal auf dramatische Qualitäten verweist.
Wo es Lieder gibt, da darf der Tenor Christoph Prégardien nicht fehlen, der gewohnt deutungsintensiv und einfühlsam zunächst drei Balladen interpretiert, dessen gute Diktion eine Labsal ist, selbst wenn sie zur Wortverliebtheit ausartet, und der nicht frei von Manierismen ist. Keine unangebrachten Gefühlsaufwallungen werden in Preghiera alla Madonna verschwendet, und ein Mondlicht kann bei dem Tenor auch auf Holländisch schimmern.
Eine ganz großartige Besetzung ist Robert Holl, dessen Bass so samtweich wie todtraurig, dazu mit exzellenter Diktion Der alte König singt, der das Humorvoll-Drastische der Goethischen Celebrität vollkommen darzustellen und der exakt die Stimmung des Recueillement zu treffen weiß. Französisch singt er mit gleich bewundernswerter Diktion wie Deutsch, und der große künstlerische Ernst des Interpreten zeigt sich auch hier einmal mehr.
Wer ist Alphons Diepenbrock, fragt sich, wer das Cover mit der nach einem „Signal“ ausschauenden jungen Frau sieht, und erhält beim Hören als Antwort: ein Komponist, dessen Liedvertonungen durchaus an der Seite von denen eines Richard Strauss oder Faure bestehen könnten- wenn man sie nur aufführte (Brilliant 3 CD 96103). Ingrid Wanja