Der Bariton Michael Volle hat sich in den letzten Jahren als einer der wichtigsten lebenden deutschen Lied- und Konzertsänger etabliert. Sein Repertoire reicht von Mozart über Weber, Tschaikowski und Puccini bis hin zu Henze. Einen Schwerpunkt nimmt indes Wagner ein. Bei den Bayreuther Festspielen war er bereits 2007 und 2008 als Sixtus Beckmesser in den Meistersingern zu hören. Nun, ein Jahrzehnt danach, wagt sich der 57-Jährige dort 2017 gar an den Hans Sachs, für viele die Krönung einer baritonalen Wagnerkarriere. Orfeo legt fast zeitgleich ein Wagner-Recital vor (C 904 171 A), welches Auszüge aus dem Fliegenden Holländer, aus Tannhäuser, aus den Meistersingern sowie aus dem Rheingold, der Walküre und (eher ungewöhnlich) Siegfried auf einer gut 65-minütigen CD vereint. Volles große Textverständlichkeit – heutzutage beileibe nicht mehr die uneingeschränkte Regel im Wagnergesang – profitiert sicherlich von seiner reichhaltigen Erfahrung als Liedsänger. Am besten agiert er tatsächlich in den lyrischen Momenten, besonders in den beiden Wolfram-Ausschnitten („Als du in kühnem Sange uns bestrittest“ und „Blick ich umher in diesem edlen Kreise“) wie im Sachs‘schen Fliedermonolog. Hier darf Volles Vortrag durchaus modernen Referenzcharakter beanspruchen. Warm timbriert, geradezu balsamisch anmutend, strömt sein schön klingender Bariton – und beweist, dass auch ein echter Bariton den Schustermeister verkörpern kann, auch wenn Volles Sachs eindeutig primär ein intellektueller Poet ist denn ein rustikaler Schuhmacher. Sehr gut auch der berühmte Holländer-Monolog, in welchem Volle die Verzweiflung und Zerrissenheit des Verfluchten glaubhaft herüberbringt. In gewisser Weise ähnlich angelegt ist die Figur des hoffnungslosen Amfortas, dessen letzter Auftritt im Bühnenweihfestspiel Parsifal auf der Platte festgehalten wurde („Ja, Wehe! Wehe! Weh über mich!“).
Michael Volle kann also auch Dramatik. Stimmlich souverän, nicht durch Forcierung in Versuchung gebracht, überzeugt er in diesen Partien. Es mag sein, dass es in der Vergangenheit noch expressivere Rolleninterpreten gab (man denke an Thomas Stewart als Holländer und an Dietrich Fischer-Dieskau als Amfortas), doch zeigt Volle, dass es um das Wagnerfach heutzutage keinesfalls so schlecht bestellt ist, wie oft behauptet wird. Dass der Sachs für Volle gleichwohl nahe an einer Grenzpartie ist, offenbart dann allerdings – zumindest in der Einspielung – doch der Schlussmonolog. Es bedarf selbst unter Studiobedingungen all seiner Reserven. Freilich ist sein Vortrag auch hier mehr als hörenswert. Ob er diesen Monolog auch am Ende einer vierstündigen Liveaufführung dergestalt herüberbringen kann? (Der Schlusschor wurde hier übrigens, vermutlich aus Kostengründen, gestrichen. Man fühlt sich ein wenig an die ersten Schallplattenaufnahmen des „Verachtet mir die Meister nicht“ erinnert.)
Noch deutlicher bestätigt sich der leise Zweifel am Bewältigen auf der Bühne bei Wotans Abschied. Gerade in den ersten Minuten desselben wirkt Volles Stimme doch etwas unterdimensioniert für den Göttervater. An die größten Rollenvertreter (etwa Hans Hotter oder George London) sollte man bei seiner Darbietung fairnesshalber nicht denken. Ein wenig erinnert es mich hier an Fischer-Dieskaus Wunsch, das „Leb wohl, du kühnes, herrliches Kind“ zumindest einmal im Studio einspielen zu dürfen. Dass Volle grundsätzlich als Wotan bzw. Wanderer keineswegs fehlbesetzt ist, beweist er dann allerdings wiederum im lyrischen Mittelpart wie auch in den beiden anderen Auszügen („Abendlich strahlt der Sonne Auge“ und „Dir Urweisen ruf‘ ich ins Ohr“), wo seine bereits genannten Vorzüge wieder mehr zum Tragen kommen. Michael Volle wird begleitet vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung des diskographisch bisher nicht in Erscheinung getretenen Kieler Generalmusikdirektors Georg Fritzsch. Klanggewaltige orchestrale Zuspitzung á la Knappertsbusch und Furtwängler darf man nicht erwarten. Es klingt größtenteils gediegen, stellenweise etwas arg pauschal (Sachs-Schlussmonolog, Wotan-Abschied). Die Einspielungen entstanden zwischen 9. und 13. Mai 2016 im Großen Sendesaal des RBB in Berlin; die Klangqualität ist ohne Fehl. Ein deutsch-englisches Booklet liegt bei. Daniel Hauser