Ein neuer Stern am Sopran-Himmel

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Unwillkürlich muss man an die junge Renée Fleming denken, wenn man die neue Platte mit Rachel Willis-Sørensen bei SONY (19439968352) auflegt. Nicht nur in der damenhaft-eleganten Erscheinung und als Typ ähnelt sie ihrer amerikanischen Landsfrau, sondern vor allem in der üppig fließenden Stimme von cremigem, leuchtendem Klang. Und nicht zuletzt finden sich viele Parallelen im Repertoire der beiden Sängerinnen. Davon zeugt auch das neue Recital, das im Juli des vergangenen Jahres im Teatro Carlo Felice in Genua produziert wurde. Das Orchester des Opernhauses begleitet die Sopranistin unter Frédéric Chaslin. Dennoch findet sich nur eine Arie in französischer Sprache in der Auswahl – die Romance der Hélène, „Ami, le coeur d’Hélène“, aus Verdis Les Vêpres sicilennes, also der französischen Urfassung des Werkes. Rachel Willis-Sørensen sang die Partie erstmals 2018 an der Bayerischen Staatsoper in München. Die von Wehmut umflorte Stimme ist betörend, die Kadenz am Ende der Arie mit ihren schwierigen Skalen perfekt gemeistert.

Mit einer ungleich populäreren Verdi-Arie – Violettas Schluss-Szene aus dem 1. Akt von La traviata – beginnt das Album. In dieser groß angelegten, dreiteiligen Scena ed Aria hat die Interpretin Gelegenheit, all ihre stimmlichen Möglichkeiten und gestalterischen Fähigkeiten einzubringen. Sie sang die Rolle zum ersten Mal 2020 in Bordeaux und diese szenische Erfahrung ist auch akustisch jederzeit spürbar. Schon das Rezitativ wird geprägt von der „Fülle des Wohllauts“, schwelgerisch und mit wehmütigem Beiklang entfaltet sich die Arie, in der sogar Variationen und eingelegte Spitzentöne zu hören sind. Im virtuosen Schlussteil mit leuchtenden exponierten Noten und brillantem Koloraturfluss  ist der Tenor Giovanni Sala ein emphatischer Alfredo.

Wie die Violetta war auch die Desdemona in Otello ein Fixpunkt in Flemings Karriere und es wundert daher nicht, dass Willis-Sørensen für ihre CD auch die Canzone del salice und das Ave Maria ausgewählt hat. Sehr wehmütig leitet das Orchester die Szene ein und die Sängerin nimmt die Stimmung mit ihrem ahnungsvollen Gesang berührend auf. Die Sopranistin Olivia Kahler assistiert ihr als Emilia. Desdemona ist eine Traumpartie für die Sopranistin, wie auch die Leonora in Il trovatore, für die es bereits konkrete Aufführungspläne in den nächsten Jahren gibt. Deren Auftritt im 1. Akt bietet Gelegenheit für eine weit ausschwingende Kantilene in der CavatinaTacea la notte placida“ und Sopran-Bravour in der Cabaletta „Di tal amor“. Die Sinnlichkeit des Soprans und dessen schwelgerisches Volumen sind überwältigend wie auch die souveräne Bewältigung der Koloraturketten.

Auch bei der Donna Anna in Mozarts Don Giovanni findet sich ein Verweis zur Fleming, die die Rolle von New York bis Salzburg an vielen großen Häusern gesungen hat. Für Willis-Sørensen markierte sie ihre allerersten Auftritte und zählt daher zu ihren Favoriten. Beide große Arien sind hier zu hören. In „Don Ottavio son morta!/Or sai chi l’onore“  aus dem 1. Akt überzeugt der dramatisch-erregte Ausdruck im Rezitativ (wieder mit Sala als Don Ottavio), in der Arie die Vehemenz und differenzierte Dynamik in den drei Strophen.

„Crudele?/Non mi dir“ aus dem 2. Akt verlangt dagegen Betroffenheit im Rezitativ, die große Linie samt tiefer Empfindung in der Arie und im Schlussteil Koloraturbrillanz. Die Solistin setzt sich mit ihrer mustergültigen Interpretation an die Spitze der derzeitigen Interpretinnen der Partie.

In zwei Szenen der Mimì aus Puccinis La bohème – der Arie „Mi chiamano Mimì“ und dem Duett mit Rodolfo „O  soave fanciulla“ – wirkt mit Jonas Kaufmann ein prominenter Tenor mit. 2019 war Willis-Sørensen dessen Partnerin bei seinem Album mit Wiener Operettenmelodien. Für die Figur der Mimì findet sie die ideale Balance zwischen Innigkeit und schwelgerischem Aufschwung.

Mit der Rusalka und ihrem „Lied an den Mond“ aus Dvoráks Oper ergibt sich ein weiterer Bezug zur Fleming. Willis-Sørensen sang die Partie in San Francisco in einer Inszenierung von David McVicar und hält diesen Auftritt für eine ihrer bisher schönsten Opernerfahrungen. Der Ausdruck von Sehnsucht und Hoffnung bestimmt ihren Vortrag, hinreißend ist der trancehaft entrückte Schluss.

Mit einem Ausflug nach Wien, dem „Vilja-Lied“ aus Lehárs Die lustige Witwe,  endet das Programm. Hier begleitet die Capella Cracoviensis und sorgt gemeinsam mit der Solistin für einen Ausklang voller Melancholie und Raffinement. Das exzellente Deutsch lässt auf zukünftige Rollen in diesem Repertoire hoffen – Wagners Eva und Elsa sowie Strauss’ Arabella und Daphne – womit sich der Kreis zur Fleming schließen würde. Bernd Hoppe