Unter dem etwas reißerischen Titel Fantastic Cencic veröffentlicht Erato/Warner Classics auf 3 CDs Aufnahmen mit dem Countertenor Max Emanuel Cencic, die aus mehreren seiner Einspielungen der Jahre 2007 bis 2012 zusammengestellt sind (0190295904722). Für die Freunde des Sängers und Sammler seiner Dokumente dürfte die dritte CD der Anthologie von besonderem Interesse sein, enthält sie doch bisher unveröffentlichtes Material mit dem Knabensopran aus den Jahren 1992/93. Da findet sich romantisches Liedgut neben geistlicher Musik, einer Verdi-Arie und dem Frühlingsstimmen-Walzer von Johann Strauß. Bei den ersten 16 Titeln – Lieder von Schubert, Mendelssohn, Mahler, Schumann und Strauss – begleitet Norman Shetler am Klavier sehr einfühlsam. Die klare, helle Stimme weiß in Kompositionen wie Schuberts ”Ständchen“ und „Romanze“ oder Schumanns „Mondnacht“ durch einen keuschen, innigen Klang besonders anzurühren. In anderen („Die Taubenpost“) geht von dem Vortrag eine zu niedliche Wirkung aus, die nicht den gesungenen Texten entspricht. Überzeugend die Schlichtheit bei drei Mendelssohn-Liedern, imponierend die lupenreine Höhe in zwei „Wunderhorn“-Vertonungen Mahlers. Schuberts „Der Hirt auf dem Felsen“ ist eine bei lyrischen Koloratursopranen beliebte Nummer, und auch der junge Sänger weiß hier (in einer Live-Aufnahme) mit einer ausgewogenen Wiedergabe im getragenen ersten Teil und flüssiger Koloratur im finalen Allegro zu brillieren. Auch drei Lieder von Strauss sind live mitgeschnitten, aber hier gerät der Interpret in der exponierten Lage („Cäcile“/„Zueignung“) an seine Grenzen mit dem Resultat eines verzerrten Klanges. Bei den Oratorien und anderen Werken begleitet Kazuhiro Yamawaki am Flügel. Offenbar handelt es sich dabei um die Aufzeichnung eines Konzertes aus Japan. Leider gibt die Trackliste darüber keine Auskunft, ohnehin ist sie die einzige Beilage dieser bescheiden ausgestatteten Ausgabe. Dem virtuosen „Let the Bright Seraphim“ aus Händels Samson folgen das asketische „Pie Jesu“ aus Faurés Requiem und die innige Arie „Zerfließe mein Herze“ aus Bachs Johannespassion. Für alle Stücke findet Cencic den entsprechenden Ausdruck. Der Übergang zur Canzone des Oscar aus Verdis Ballo in maschera ist allerdings etwas krass, doch hat Cencic dafür den passend koketten Ton parat, was mit spontanem Beifall honoriert wird. Mit dem Frühlingsstimmen-Walzer endet das Programm schwungvoll und charmant mit brillanten staccati, aber einigen knappen Tönen in der Extremlage.
CD 1 bringt zu Beginn fünf Nummern aus der Rossini-CD von Cencic aus dem Jahre 2007, bei der ihn Michael Hofstetterund das Orchestre de Chambre de Genève begleitet hatten. Der Counter gehört damit in der Neuzeit (neben Matthias Rexroth/2004 und Franco Fagioli heute) zu den Pionieren seiner Stimmgattung, die sich auch der Interpretation von Rossinis Musik widmen. Er zeigt sich hier auf der Höhe seiner Kunstfertigkeit mit einem mühelosen Fluss der Koloraturen und – je nach dem Charakter der Arien – vehementem wie berührendem Vortrag. Der Rest der Scheibe stammt aus seinem Venezia-Programm von 2013 mit Riccardo Minasi am Pult des Ensembles Il Pomo d’oro. Der Interpret lässt hier – im Abstand von sechs Jahren zur voran gegangenen Platte – einen neuen Reifegrad der Stimme und ein gewachsenes Ausdrucksspektrum erkennen. Am Beispiel des schmerzlichen „Sposa… non mi conosci“ aus Giacomellis Merope ist das unschwer zu belegen. Von ähnlich ergreifender Wirkung ist „Dolce mio ben“ aus Gasparinis Flavio Anicio Olibrio, während „Barbaro non comprendo“ aus Caldaras Adriano in Siria und „Mi vuoi tradir“ aus Vivaldis La verità in cimento gleichermaßen der Virtuosität wie dem furiosen Affekt huldigen.
CD 2 bietet Ausschnitte aus erfolgreichen Gesamtaufnahmen mit dem Sänger, darunter die Weltersteinspielung von Vivaldis Farnace mit den Barocchisti unter Diego Fasolis, der spektakuläre Artaserse von Vinci, ebenfalls unter Fasolis und die CD-Premiere von Glucks Ezio mit Alan Curtis. Natürlich wurden aus diesen Opern die Highlights ausgewählt – wie das „Gelido in ogni veno“ aus dem Farnace, das die Stimme in ihrem ganzen sinnlichen Reiz und der überwältigenden Ausdruckskraft festhält, das fulminant auftrumpfende „Va’ tra le selve“ aus dem Artaserse und aus dem Ezio das berührend schlichte „Dubbioso amante“ wie halsbrecherisch bravouröse „Se tu la reggi al volo“.
Mehrere Raritäten von Händel runden das Programm ab. Gleich die ersten drei Arien des Titelhelden aus Faramondo fordern in ihrem hohen Anspruch einen Ausnahmeinterpreten, dem sich Cencic souverän gewachsen zeigt. Zu den unbekannten Opern des Komponisten gehören auch Fernando, aus der das heroisch-kämpferische „Sì, sì minaccia“ zu hören ist, und Arianna in Creta, aus der mit „Salda quercia in erta balza“ ein Feuerwerk der Affekte erklingt. Ein solches setzt sich fort bei „Sorge nell’ alma mia“ aus Imeneo, während des Titelhelden „Alma mia“ aus Floridante eine von Händels ergreifend getragenen Arien ist. Immer für ein Counter-Duell gut ist Tamerlano, waren doch der Titelheld und Andronico zwei berühmte Kastratenrollen. Cencic singt hier Andronicos „Benchè mi sprezzi“, das einmal mehr seine Beherrschung des virtuosen Zierwerks demonstriert. Mit „Pena tiranna“ aus Amadigi di Gaula endet das Programm mit einer von Händels berühmten melodischen Eingebungen.
Barockfreunden dürften all diese Nummern bekannt und Bestandteil ihrer Sammlung sein – wer aber keinen gesteigerten Wert auf komplette Werk-Einspielungen legt, ist mit dieser Ausgabe (Und die drei CDs sind randvoll gefüllt!) gut bedient. Vielleicht sind die Ausschnitte auch eine Anregung, sich diese oder jene Gesamtaufnahme zuzulegen. Bernd Hoppe