Die kanadische Mezzosopranistin Julie Boulianne ist hierzulande noch eher unbekannt, an der Frankfurter Oper singt sie in der Spielzeit 2017/18 die Charlotte in Massenets Werther, in Aix-en-Provence singt sie im Sommer in der Uraufführung von Philippe Boesmans Pinocchio, Rollen wie Rossinis La Cenerentola, Mozarts Donna Elvira, Berlioz‘ Béatrice gehören zu ihrem Repertoire, ihr Fokus liegt auf der Epoche zwischen Barock und Rossini. 2014 erschien ihre Solo-CD Händel & Porpora, nun folgt Alma Oppressa mit Arien von Händel und Vivaldi, mit denen Boulianne die besungene Liebe im barocken Affektspektrum in ihren Facetten zwischen Tragik und Triumph auskosten will und dabei eine beachtenswerte Visitenkarte hinterlässt. Die Sängerin scheut nicht den Vergleich, sie wählt Bekanntes und Beliebtes wie die von ihr hingebungsvoll gesungene Arie Sestos „Cara speme“ (Giulio Cesare), bei Almirenas berühmten und geläufigen „Lascia ch’io pianga“ (Rinaldo) hört man ihr auch zum wiederholten Male gerne zu, das freudvolle „Con l’ali di costanza“ (Ariodante) mit seinen langen Koloraturläufen und das in sich zufrieden ruhende „Qui d’amor nel suo linguaggio“ (Ariodante) überzeugen. Bei der die CD eröffnenden Titelarie „Alma oppressa“ aus Vivaldis La Fida Ninfa kann man als Vergleich Vivica Genauxs Aufnahme aus ihrem Vivaldi-Album (2009) mit Europa Galante und Fabio Biondi heranziehen und feststellen, dass sich beide Einspielungen musikalisch und sängerisch auf Augenhöhe bewegen, beide Interpretationen sind erregt und seelenbewegt, Genaux ist vielleicht etwas agiler, aber beide trennt nicht viel. Weniger bekannt sind Teseos selbstsicheres „Salda in quercia“ (Arianna) und Tirintos männlich klagendes „Se potessero i sospir‘ miei“ (Imeneo), im melodiösen „Sovente il sole“ (Andromeda liberata) trumpft Boulianne mit einer schönen, ausdrucksvollen Tiefe auf, „Dite, oimè! Ditelo, al fine“ (La Fida Ninfa) ist eine ergreifende Verzweiflungsarie. Julie Boulianne singt hier mit weichem, lyrischem Mezzosopran und sehr gutem Ausdrucksvermögen, man hört geschmeidige Stimmakrobatik und sicher sitzende Koloraturen, Affekte klingen bei ihr nie affektiert oder sogar übertrieben. Man kann Alma Oppressa ohne Ermüdungserscheinungen am Stück durchhören – ein Verdienst, das auch die Musiker betrifft. Der Cembalist Luc Beauséjour und das kanadische Ensemble Clavecin En Concert spielen hörbar mit Freunde und Engagement und belegen ihr eloquentes Orchesterspiel mit der Ouvertüre zu Armida al campo d’Egitto, Dario und der Gavotte aus der Ouvertüre zu Lotario. Das karge Beiheft enthält leider keine Arientexte, aber das ist auch das einzige Manko dieser gelungenen Visitenkarte. (Analekta, AN 2 8780). Marcus Budwitius